Probiotika Pillen

Probiotika versprechen Erleichterung bei zahlreichen Beschwerden. Die kleinen Pillen sollen die Verdauung verbessern und so Einfluss auf unsere Gesundheit nehmen. Doch stimmt das? Wie effektiv sind die Pillen wirklich? 

Im Monat Mai geht es bei alexandria um die Frage: Too good to be real? Dafür haben wir uns einige spannende Konzepte und Entwicklungen aus Wirtschaft, Medizin, Politik und Technik herausgesucht, die unser Leben nachhaltig verändern könnten. Sind sie die Zukunft - oder doch „too good to be real"?

Warum das wichtig ist: Probiotika sind ein Milliardengeschäft. Egal ob in Fernsehen, im Radio, auf Social Media oder in Apotheken: Überall wird mit ihrer positiven Wirkung auf unseren Organismus geworben. Doch ob sie tatsächlich Abhilfe bei Magenbeschwerden, Stimmungsschwankungen und Hautproblemen schaffen, ist in der Forschung nicht eindeutig belegt.

Meistens sind sie weiß, manchmal sind sie durchsichtig, aber sie sind immer mit tausenden Bakterien gefüllt: Jeder spricht über die Kapseln, die man Probiotika nennt, als wären sie ein Wundermittel.

Ihre Einnahme verspricht ein beinahe unendliches Spektrum an gesundheitlichen Vorteilen: Die beinhalteten Bakterienstämme – wie beispielsweise Laktobazillen – sollen nicht nur die Verdauung nach einer Antibiotikakur verbessern.

Angeblich besitzen sie auch die Macht, Haut und Haar zu verschönern, die Stimmung zu steigern und einen Blähbauch wegzuzaubern. All das kann man erreichen, indem man zwei Kapseln pro Tag schluckt. Hört sich „too good to be real“ an.

Auf den ersten Blick ergibt die Schlussfolgerung jedoch durchaus Sinn. In unserem Darm hausen viele Milliarden Kleinstlebewesen. Dabei handelt es sich nicht nur um Bakterien, auch Viren und Pilze fühlen sich in dem Organ wohl.

„Stelle dir eine belebte Stadt an einem Montagmorgen vor, die Gehwege überflutet mit Menschen, die zur Arbeit oder zu Terminen eilen“, steht auf der Website der Harvard T.H. Chan School of Public Health über unseren Darm.
An der berühmten US-amerikanischen Universität wird Forschung über das sogenannte „Mikrobiom“ betrieben, das auch unter dem Namen Darmflora bekannt ist. Bei ihm handelt es sich um die Gesamtheit aller Mikroorganismen im Darm.

Das Mikrobiom ist ein Alleskönner

Die Wissenschaft scheint sich bis zu einem gewissen Grad darüber einig zu sein, dass dieses Mikrobiom von großer Wichtigkeit für den Menschen ist. Seit mehreren Jahrzehnten wird Forschung dazu betrieben und die Hinweise häufen sich: Die Zusammensetzung der Darmflora ist offenbar ein Spiegel unserer Gesundheit.

Ausschlaggebend ist vor allem eine hohe Diversität und Quantität von Organismen im Darm. Das Mikrobiom beinhaltet nicht nur gesundheitsfördernde Bakterien, sondern beispielsweise auch Viren, die das Gegenteil erreichen wollen. Solange das Verhältnis zwischen „Gut“ und „Böse“ ausgewogen ist, funktioniert der Darm einwandfrei.

Eine der wichtigsten Fähigkeiten der Flora steht offenbar im Zusammenhang mit dem Immunsystem. Ein Mensch mit einem gesunden Mikrobiom wird seltener krank, was vor allem durch die Untersuchung von Frühgeborenen und Neugeborenen evident wird.
Auch Übergewicht scheint mit einem unerwünschten Darmflora-Ungleichgewicht Hand in Hand zu gehen (Liu et al., 2021; Van Hul et al., 2023). Und überaus deutlich ist der Zusammenhang zwischen chronischen Darmerkrankungen (z.B. Morbus Crohn) und dem Mikrobiom.

Gesundes Mikrobiom - gesunde Psyche

Besonders interessant ist die Darm-Hirn-Achse: Inzwischen weiß man, dass eine Verbindung zwischen den beiden Organen besteht und sie miteinander kommunizieren (Wang & Wang, 2016).
Obwohl Wissenschaftler:innen bis heute bei den Details im Dunkeln tappen, ist der Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und dem Mikrobiom deutlich ersichtlich. Eine Metastudie ergab, dass man bei diversen psychischen Erkrankungen eine Reduktion von antientzündlichen und eine Anreicherungen von entzündungsfördernden Organismen im Darm feststellen kann (Nikolova et al., 2021).

Noch unglaublicher: Wenn man in den Darm einer Maus das Mikrobiom eines depressiven Menschen einpflanzt, zeigt das Tier Verhalten, das einer Depression ähnelt. Dies deutet darauf hin, dass eine ungesunde Darmflora eine psychische Krankheit auslösen könnte und nicht nur von ihr verändert wird (Kelly et al., 2016).

Darm Hirn Achse

Die Darm-Hirn-Achse spielt für unsere Gesundheit eine wichtige Rolle - zurzeit wird sie intensiv erforscht 

Probiotika in wissenschaftlichen Studien

Nun sind Probiotika angereichert mit vielen Bakterien, die sich wissentlich positiv auf unseren Körper auswirken. Doch ob die Kapseln tatsächlich einen Einfluss auf unseren Darm haben, ist nicht eindeutig bewiesen.

Wissenschaftliche Untersuchungen führen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Universität Basel veröffentlichte im Jahr 2022 eine Studie mit Fokus auf Menschen, die Anti-Depressiva einnahmen: Wenn diese 31 Tage zusätzlich Probiotika schluckten, war die Stimmung nach einem und zwei Monaten signifikant besser als die der Kontrollgruppe (Schaub et al., 2022).

Andere Untersuchungen zeichnen ein negativeres Bild. Laut einer Metastudie des Universitätsklinikums Tübingen waren die Unterschiede bei psychisch kranken Proband:innen so gering ausgeprägt, dass den Probiotika kein Effekt zugesprochen werden konnte (Le Morvan de Saqueira et al., 2022).

Andere Daten zeigen eine Korrelation von Verbesserung der Darmgesundheit und Einnahme der Kapseln. Doch wird in einer weiteren Metastudie von Forscher:innen aus Indien und Deutschland geurteilt, dass noch mehr Grundlagenforschung vonnöten ist, um einen eindeutigen Beweis erbringen zu können (Kaur & Ali, 2022).

Eine Studie aus dem Jahr 2019 fasst einige Meta-Studien weiter zusammen und kritisiert damit viele Papers, die bis dahin publiziert wurden. Die Untersuchungen seien oftmals wissenschaftlich inkorrekt durchgeführt worden und die Forscher:innen seien voreingenommen gewesen (Lerner et al., 2019).
Aus Studien ist nicht ersichtlich, warum die Probiotika oftmals keine Wirkung zeigten. Es könnte allerdings einen Grund dafür geben.

Probiotika Pillen

Die Probiotika-Pillen sind klein, leicht einzunehmen, versprechen Erleichterung bei allerlei Beschwerden - und sind nebenbei ein Milliardengeschäft

Warum Probiotika (manchmal) schädlich sein
könnten

Selbst wenn das Einnehmen von Probiotika tatsächlich eine Wirkung im Darm erzielen kann, so sind Massenprodukte aus der Apotheke scheinbar selten hilfreich. Denn das Mikrobiom jedes Individuums ist einzigartig, weshalb auch die Probleme zumeist speziell sind.

Mit einer Probiotika-Einnahme können Verdauungsbeschwerden sogar noch drängender werden: Zwar ist in der Wissenschaft klar, welche Darmbakterien sich im Allgemeinen günstig auswirken. Trotzdem kann auch ihr Übergewicht im Mikrobiom zu Problemen führen. Nun ist ohne genaue Untersuchung nicht ersichtlich, welche Darmbakterien im Darm eines Menschen selten und welche in Überzahl vorhanden sind. Wenn man als Konsument:in durch Probiotika Organismen zu sich nimmt, die bereits in der Überzahl sind, werden die Beschwerden weiter verstärkt.
Dass es zu dieser Fall eintritt und Probiotika tatsächlich schaden, gilt allerdings als eher unwahrscheinlich.

Was hilft wirklich?

Laut Expert:innen scheint klar: Die Ernährung hat einen erheblichen Einfluss auf das Mikrobiom (Perler et al., 2023). Auf jedem Speiseplan sollte eine Vielzahl von Gemüse, Obst und Vollkornprodukten stehen. Außerdem sollte man das eigene Stresslevel möglichst auf ein Minimum reduzieren und im Allgemeinen auf einen gesunden Lebensstil achten. (Molina Torres et al., 2019)

Wer also ein gesundes Mikrobiom haben will, muss wortwörtlich in den (nicht zu) sauren Apfel beißen: Eine Ernährungsumstellung wird mit hoher Sicherheit helfen. Eine zusätzliche Kur mit Probiotika kann unterstützend wirken.
Die Studienlage deutet darauf hin, dass das Schlucken der Bakterien-Kapseln eventuell einen positiven Einfluss haben kann, ein negativer Einfluss ist unwahrscheinlich.
Ein Wunderheilmittel, wie es in Werbungen öfters dargestellt wird, sind Probiotika aber wahrscheinlich nicht.

Kaur, H., & Ali, S. A. (2022). Probiotics and gut microbiota: mechanistic insights into gut
     immune homeostasis through TLR pathway regulation. Food Funct., 13, 7423-7447.
Kelly, J. R., & et al. (2016). Transferring the blues: Depression-associated gut microbiota
     induces neurobehavioural changes in the rat. J Psychiatr Res., 82,109-18.
Le Morvan de Sequeira, C., & et al. (2022). Effect of Probiotics on Psychiatric Symptoms
     and Central Nervous System Functions in Human Health and Disease: A Systematic
     Review and Meta-Analysis. Nutrients, 14(3), 621.
Lerner, A., & et al. (2019). If it does not help it does not do any harm. Really?
     Microorganisms, 7(4), 104.
Liu, B., & et al. (2021). Gut microbiota in obesity. World J. Gastroenterology, 27(25),
     3837-3850.
Molina-Torres, G., & et al. (2019). Stress and the gut microbiota-brain axis. Behavioural
     Pharmacology, 30, 187-200.
Nikolova, V. L., & et al. (2021). Perturbations in Gut Microbiota Composition in
     Psychiatric Disorders: A Review and Meta-analysis. JAMA Psychiatry,
     78(12),1343-1354.
Perler, B. K., & et al. (2023). The Role of the Gut Microbiota in the Relationship Between
     Diet and Human Health. Annual Review of Physiology, 58, 449-468.
Schaub, A., & et al. (2022). Clinical, gut microbial and neural effects of a probiotic add-on
     therapy in depressed patients: a randomized controlled trial. Translational Psychiatry 12,
     227.
Van Hul, M., & Cani, P. D. (2023). The gut microbiota in obesity and weight
     management: microbes as friends and foes. Nature Reviews Endocrinology, 19, 258-271.
Wang, H., & Wang, Y. (2016). Gut Microbiota-brain Axis. Chin Med J, 129(19),
     2373-2380.

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