Beinhaus Hallstatt

Wie Menschen von ihren Verstorbenen Abschied nehmen, verrät viel über den Umgang einer Kultur mit dem Tod. Doch nicht alle Begräbnisse sind traurige Anlässe, manche feiern auch das Leben.

Dieser Beitrag erscheint im Rahmen des alexandria-Themenschwerpunkts Leben nach dem Tod, in dem wir uns diesem Thema aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven nähern.

Auf der ganzen Welt wird gestorben.
In versteckten Runddörfern tief im undurchdringlichen Dschungel, in den geduckten Jurten der winddurchbrausten Steppen Zentralasiens und in den Bienenwaben-gleichen Wohnungen der glasglatten Wolkenkratzer: Überall leben und sterben Menschen.

Und überall bleiben Angehörige zurück, die mit der einfachen, aber ungeheuerlichen Tatsache umgehen müssen, dass ein Mensch eben noch da war, gelacht, geliebt, geweint, gelebt hat, und es plötzlich nicht mehr ist. Wie soll man das aushalten?

Vielleicht ist es diese Unmöglichkeit, die den vielen Bestattungsriten zugrunde liegt, die die Menschheit hervorgebracht hat. Die Riten, meist von religiösen Vorstellungen über das Schicksal der Menschen nach dem Tod geprägt, sollen auch den noch Lebendigen helfen, mit dem Verlust umzugehen.

Doch obwohl Tod und Trauer universell menschliche Erfahrungen sind, begraben nicht alle Kulturen gleich. Im Gegenteil: Die Gestaltung der letzten Reise eines Angehörigen ist so vielfältig wie die Menschen selbst und unterscheidet sich stark zwischen verschiedenen Kulturräumen.

Um die Verabschiedung eines geliebten Menschen ist meist ein enger Kreis gezogen. Daher scheint es einen besonders intimen Einblick in das Gefühlsleben und die Vorstellungswelt von Menschen zu gewähren, wenn sie ihre Bestattungsrituale teilen. alexandria nimmt euch deshalb mit zu einer Reise um die Welt in fünf Begräbnissen.

1. Himmelsbestattung - Tibet

Wir beginnen am Dach der Welt. In den eisigen Höhen des Himalaya mit ihren gefrorenen Böden haben sich die in Europa üblichen Erdbestattungen erst spät durchsetzen können. Auch Verbrennungen waren jenseits der Baumgrenze nur reichen Menschen und Eliten vorbehalten.

Aus diesen Bedingungen hat sich etwa in Tibet ein ungewöhnlicher Bestattungsritus herausgebildet. Nachdem den Verstorbenen einige Tage lang weiter symbolisch Speisen gebracht werden, beginnt die eigentliche Bestattungszeremonie: An hochgelegenen Orten bereiten eigens bestellte Leichenzerteiler die Körper der Toten darauf vor, von wilden Aasgeiern gefressen zu werden.

Die Vögel, extra für die Zeremonie angelockt, werden als Geleiter der Verstorbenen in ein Zwischenreich zwischen Tod und Wiedergeburt angesehen. Damit spielen sie die Rolle eines Psychopompos, der in verschiedensten Religionen und Mythologien auftritt.

2. Totenwendungsfest - Madagaskar

Die nächste letzte Reise begleiten wir auf Madagaskar – und es ist eine Reise, an deren Ende nicht ewige Ruhe steht. Im Gegenteil: Die Dorfgemeinschaften der Afrika vorgelagerten Insel begehen Famadihana, das rituelle Wenden der Toten.

Während dieses Festes werden die Verstorbenen mitunter Jahre nach ihrer Beisetzung exhumiert, in neue Leichentücher aus kostbarer Seide gewickelt und wieder zur Ruhe gelegt. Davor allerdings tanzen die Angehörigen mit der Leiche über ihren Köpfen durch das Dorf, ein Weg, die Welt der Toten mit jener der Lebenden zu verbinden, über deren Bewohner die Ahnen wachen sollen.

Famadihana ist also kein trauriger Anlass, vielmehr ein rauschendes Fest, wo mit viel Speis und Trank die Verbindung der Welt der Lebenden und der Toten gefeiert wird. Jedoch geht der Brauch zurück, nicht zuletzt deshalb, weil das Totenwendungsfest mit Pestausbrüchen in Verbindung gebracht wird.

Die Erreger der Seuche können von den Leichen auf die Feiernden übertragen werden. Daher geht die madagassische Regierung gegen die Graböffnungen von Pestopfer vor – mit mäßigem Erfolg. Die Tradition scheint stärker als die Angst vor Ansteckung zu sein.

Totenwendung in madagaskar

Bei der Famadihana werden Tote exhumiert und gewendet - mit problematischen hygienischen Folgen

3. Diamantbestattung - USA

Wir landen in der Welt der Stars und Sternchen, des Glitzers und Glams, an der amerikanischen Westküste. Hier scheint zu gelten, was Marilyn Monroe einst sang: „Diamonds are a girl’s best friend“ – doch für manche Girls (und Boys) sind Diamanten nicht nur beste Freunde, sondern auch die letzte Ruhestätte.

Aus wenigen Gramm Krematoriumsasche, wobei die Einäscherung bei niedrigeren Temperaturen stattfinden muss, lassen sich Diamanten herstellen. Dazu wird die Asche, die den Kohlenstoff enthält, aus dem die Edelsteine wachsen sollen, extremen Bedingungen ausgesetzt: Bei Temperaturen von über 1.500 Grad Celsius und Drücken von mehreren Zehntausend Bar züchten verschiedene Unternehmen Diamanten.

Je nachdem, wie lange dieser Prozess dauert, könnten die Juwelen bis zu ein Karat schwer werden – dafür sind aber einige Wochen Wartezeit nötig. Die entstandenen Steine können wie andere Diamanten geschliffen und zu Schmuck verarbeitet werden.

Bestattungsdiamanten haben wegen der verschiedenen Spurenelemente, die aus der Asche in den Edelsteine gelangen, verschiedene Farben, etwa führt Bor zu einer leicht bläuliche Farbe, eine bei Diamanten sehr begehrte Variante.

Freilich ist die Diamantbestattung nichts für schmale Geldbeutel. Auf die Angehörigen kommen Kosten von umgerechnet einigen tausend Euro bis über zehntausend Euro zu. Die restliche Asche muss allerdings regulär bestattet oder – wenn erlaubt – verstreut werden.

Diamantbestattung

Nur wenige Gramm Krematoriumsasche sind für einen Bestattungsdiamanten notwendig. Der entstehende Edelstein kann wie herkömmliche Diamanten geschliffen und zu Schmuck verarbeitet werden. (Adobe Stock, © Rainer Fuhrmann)

4. Totenkult der Toraja - Sulawesi

Unsere nächste Station ist das Hochland der indonesischen Insel Sulawesi, wo wir bei einer Familie aus dem Volk der Toraja freundlich aufgenommen werden. Nur die Großmutter stellt sich nicht vor, sie sei krank. Erst nachdem wir eine Woche die Gastfreundschaft des Dorfes genossen und die spektakulären Dächer seiner Häuser bewundert haben, stellt sich heraus: Die Großmutter ist längst tot.

Sterben ist hier ein gradueller Prozess. Erst wenn das Begräbnis beginnt, sprechen die Angehörigen von ihren Verstorbenen als Toten – und das kann dauern, denn alle Familienmitglieder müssen sich über ein Datum einig werden und Geld sparen, denn ein Toraja-Begräbnis ist aufwendig und teuer.

Größter Kostenpunkt sind die zahlreichen Wasserbüffel, die im Rahmen der Begräbnisfeierlichkeiten rituell geschlachtet werden. Bei reichen oder adligen Familien lassen mitunter hunderte Büffel ihr Leben. Ihr Blut soll die Toten ins Jenseits befördern. Doch bis genug Tiere aufgetrieben werden können, vergehen mitunter Wochen, in denen die Leichen der Verstorbenen, mit Formalin präpariert, weiter Teil der Familie bleiben.

Nach den Totenfeierlichkeiten werden die Verstorbenen in Steingrüfte in den steilen Klippen der Region verbracht, ihr Weg manchmal bewacht von hölzernen Ebenbildern. Ihre letzte Ruhe finden die Toten dort aber nicht, denn immer wieder werden sie von den Nachfahren aus den Särgen geholt, gewaschen und neu eingekleidet. So soll der Tod und die Verstorbenen den Lebenden nahe bleiben.

5. Beinhaus in Österreich

Den letzten Halt legen wir am Heimweg ein, in Österreich. Auch hier gibt es ungewöhnliche Bestattungsriten, so etwa im oberösterreichischen Hallstatt. Das malerische Dorf am Ufer des gleichnamigen Sees ist in erster Linie für seine Postkartenidylle und das bronzezeitliche Salzbergwerk bekannt. Doch am Friedhof der katholischen Kirche befindet sich eine weitere, etwas morbidere Sehenswürdigkeit: das Beinhaus.

Solche Karner oder Ossarien genannte Gebäude gibt es grundsätzlich viele: Wo die Erde hart oder der Platz knapp ist, werden die Knochen der Verstorbenen nicht ewig in der Friedhofserde gelassen, und finden letztlich in Beinhäusern Ruhe. So reihen sich auch hier im Karner der Michaelskapelle in Hallstatt rund 1.200 Schädel aneinander, rund 700 davon sind, und hier liegt die Besonderheit, aufwändig bemalt.

Liegt ein Verstorbener zehn bis zwanzig Jahre in seinem Grab am dicht gedrängten Friedhof, kann der Schädel entnommen werden. Nachdem er von Totengräber:innen gereinigt wurde, muss der Knochen im Freien von Sonne und Witterung gebleicht werden. Erst dann kann eine:r der Schädelmaler:innen die Blumengirlanden, Kreuze und Namensschriftzüge anbringen, die gewährleisten, dass der Schädel im Beinhaus einem Verstorbenen zugeordnet werden kann – zum Andenken und zur Würdigung.

Ende des 17. Jahrhunderts wurden die ersten verzierten Schädel ins Hallstätter Beinhaus verbracht. In den dreihundert Jahren dieser Tradition lassen sich verschiedene Epochen festmachen, in denen sich die Formen der Bemalung verändert hat: Dominieren bei älteren Schädeln Kränze, folgen bei jüngeren grüne Blattmotive an den Schläfen und schwarze Kreuze an der Stirn. Obwohl es auf besonderen Wunsch nach wie vor möglich ist, werden heute nur noch wenige Schädel im Beinhaus beigesetzt.

Totenschädel im Beinhaus

Hunderte bemalte Schädel finden sich im Hallstätter Beinhaus. Individuelle Bemalung und Beschriftung stellen sicher, dass Angehörige den Schädel ihres Verstorbenen wiedererkennen.

1. Himmelsbestattung - Tibet
Hummel, S. (1961). Die Leichenbestattung in Tibet. Monumenta Serica, 20, 266–281.

2. Totenwendung - Madagaskar:
Miller, S. G. (2017). "Dancing with the Dead" Ritual Could Help Plague Spread.
     LiveScience. Zuletzt aufgerufen am 25. Oktober 2023.

3. Diamantbestattung - USA:
Bundesverband Deutscher Bestatter. Diamantbestattung.
Mühlberger, A. (2006). Der Verblichene im Ohrring. tagesschau.de-Archiv. Zuletzt
     aufgerufen am 25. Oktober 2023.

4. Totenkult der Toraja - Sulawesi:
Australian Museum. (2018). Burial - Toraja, Sulawesi. Zuletzt aufgerufen am 25. Oktober
     2023.
Ratzow, S. (2019). Indonesien: Totenkult auf Sulawesi. Das Erste. Zuletzt aufgerufen am
     25. Oktober 2023.

5. Beinhaus - Österreich:
Senft, H., & Senft, W. (2012). Das Beinhaus von Hallstatt. Austria-Forum. Zuletzt
     aufgerufen am 25. Oktober 2023.

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