Das MedAustron in Wr. Neustadt

Im September 2022 durften zwei Redakteur:innen von alexandria das MedAustron, ein Zentrum für Krebsbehandlung, im niederösterreichischen Wiener Neustadt besuchen. In diesem Artikel hat Physik-Redakteur Dorian die Reise der Protonen und Kohlenstoffionen durch den Teilchenbeschleuniger nachgezeichnet. Nun schreibt Medizin-Redakteurin Veronika über das Ziel dieser Teilchen: die Tumore.

Strahlentherapie - notwendig, aber risikoreich

In Österreich erhalten jedes Jahr etwa 42.000 Menschen eine Krebsdiagnose.
Bei den meisten Krebserkrankungen handelt es sich um solide Tumore, also Tumormassen, die irgendwo in unserem Körper wachsen und gesundes Gewebe entweder verdrängen oder sogar infiltrativ in dieses einwachsen und metastasieren. Die häufigsten Arten sind Prostata-, Lungen-, Brust- oder Darmkrebs. (Statistik Austria, 2022).

Genauso kompliziert wie seine Entstehung ist auch die Behandlung von Krebs. Je nach Stadium und Krebslokalisation benötigt man eine Operation, Chemotherapien und/oder nach dieser eine Bestrahlungstherapie. Die konventionelle Strahlentherapie mittels radioaktiver Gammastrahlen geht allerdings mit einigen Nebenwirkungen einher.

Die Strahlen durchdringen neben der Haut auch andere Organe und gesundes Gewebe, die sich im Strahlenfeld vor dem Tumor bzw. in seiner unmittelbaren Nähe befinden. Dadurch kommt es zu Schleimhautentzündungen (besonders im Nasen- und Mundbereich und in der Speiseröhre), Übelkeit, Durchfällen und Hautrötungen. Das umliegende Gewebe kann durch die Bestrahlung langfristig verhärten oder seine Funktion einbüßen (z.B. Speichelmangel nach einer Bestrahlung im Hals-Kopf-Bereich mit andauernd trockenem Mund). Eine nicht zu unterschätzende Nebenwirkung ist die Erhöhung des Risikos für weitere Tumore durch die Strahlentherapie.

Das liegt daran, dass die Bestrahlung direkt die DNA schädigt, sie führt zu Doppelstrangbrüchen. Dadurch können sich Tumorzellen nicht mehr vermehren und sterben ab. Da jedoch auch gesunde Zellen von diesen DNA-Schädigungen betroffen sind, kann es im weiteren Verlauf zu Mutationen und so zu Sekundärmalignomen kommen.

MedAustron geht neue Wege

Eine Alternative hierzu bietet Zentrum für Krebsbehandlung MedAustron mit seiner Ionentherapie. Im Vergleich zur konventionellen Strahlentherapie mit Photonen verspricht diese Partikeltherapie das angrenzende, gesunde Gewebe durch eine geringere Strahlenbelastung fast vollständig zu schonen.

Im Gegensatz zu Lichtteilchen (Photonen), wie Gamma- oder Röntgenstrahlen, handelt es sich bei Protonen und Kohlenstoffionen um geladene, massereiche Teilchen. Durch diese kommt es zu einer geringeren Eingangs- und Ausgangsdosis. Das bedeutet, dass all das gesunde Gewebe, das vor bzw. nach dem Tumor durchquert werden muss, weniger Strahlung abbekommt. Beinahe die gesamte Energie wird am Tumorort selbst freigesetzt. So kann nur der Tumor lokal geschädigt werden und das umliegende Gewebe ist einer geringeren Toxizität ausgesetzt. Dadurch kann das Leben der Patient:innen verlängert und ihre Lebensqualität nachhaltig verbessert werden.

Protonen und Kohlenstoffionen können bei der gleichen Strahlendosis mehr Tumorzellen abtöten als konventionelle Photonen. Dadurch sind Protonen und Kohlenstoffionen besonders gut geeignet für Tumore, die traditionell resistent gegen die konventionelle Strahlentherapie sind. Bei diesen handelt es sich vor allem Knochen- und Weichteilsarkome, Melanome, langsam wachsende Tumore oder Rezidive (Wiederauftreten einer Erkrankung).

Da schnell wachsendes Gewebe durch die häufigen Zellteilungen wesentlich empfindlicher auf Strahlung reagiert, eignet sich die Protonentherapie besonders für Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Indem die Dosis im gesunden Gewebe minimiert wird, kann das Risiko von Langzeitfolgen wie Hormon- und Wachstumsstörungen oder sekundären Malignomen reduziert werden.

Patient wird im MedAustron bestrahlt

Eine Patientin wird im MedAustron mittels Teilchenbeschleuniger bestrahlt (©MedAustron)

Vom pädriatischen Tumor bis ins hohe Alter

Bereits seit 2016 werden Patient: innen in Wiener Neustadt mittels Teilchenbeschleuniger bestrahlt. Besonders häufig werden hier Tumore des Gehirns bestrahlt, da das gesunde Gehirn sehr sensibel auf Strahlung reagiert. Bei konventioneller Strahlentherapie kann es zu langfristigen Funktionseinschränkungen kommen. Gerade im Kindesalter, bei sich noch entwickelnden Nervenzellen, darf dieses Risiko nicht außer Acht gelassen werden.

In der Schädelbasis, also dem unteren Teil unseres Schädels, bedrängen Tumore sehr schnell wichtige Gefäß- und Nervenbahnen, die auch bei einer Operation verletzt werden können. Hier lohnt sich eine Therapie mittels Protonen oder Kohlenstoffionen umso mehr, da das umliegende Gewebe geschont wird und auch Regionen erreicht werden können, in denen eine chirurgische Resektion (operative Entfernung eines Gewebes oder Tumors) nicht oder nicht zur Gänze möglich ist.

Dieses Konzept macht man sich auch im Hals-Nasen-Ohren (kurz: HNO)-Bereich zunutze. Auch hier verlaufen wichtige Bahnen dicht an dicht, sodass eine Behandlung eines Tumors schnell zu Komplikationen führen kann.

Doch nicht nur Tumore in engen Regionen, sondern auch große, inoperable Tumore werden mittlerweile mittels Protonen- oder Kohlenstoffionen behandelt. Das wissenschaftliche Team bei MedAustron forscht während des laufenden Betriebes weiter, um so das therapeutische Angebot noch weiter auszubauen und in Zukunft den Teilchenbeschleuniger für noch mehr Tumorarten einsetzen zu können.

So viel zur Theorie. Doch wie kommen die Patient: innen zu ihrer Protonen- oder Kohlenstoffiontherapie?

Schwer operierbare Tumore

In der Basis, also dem unteren Teil des Schädels können Tumore wachsen, die besonders schwer zu operieren sind, da das Gehirn und viele wichtige Gefäße sowie Nerven darüber liegen.

Der Weg zur Therapie

Meistens wird im Rahmen eines Tumorboardes entschieden, ob für eine:n Patient:in die Ionenstrahlentherapie der sinnvollste nächste Schritt ist. Hierfür setzen sich mehrere Spezialist:innen aus verschiedenen medizinischen Fachrichtungen zusammen, um einen individuellen Behandlungsplan für Patient:innen zu entwerfen.
Wird die Ionentherapie als Strahlentherapie ausgewählt, erhalten die Patient:innen eine Überweisung zum MedAustron und vor Ort kümmert sich das Team um alle weiteren Schritte. Auch Patient:innen können selbst an MedAustron herantreten. Dann wird nach Rücksprache mit den behandelnden Ärzt:innen beraten, ob die Patient:innen auch von einer Ionenbestrahlung profitieren würden. Ist dies der Fall, werden die Therapiekosten in den meisten Fällen vollständig von der Krankenkasse übernommen.

Zum genauen Ablauf der Behandlungsplanung hat uns der Radiotechnologe Christian Reschl am Beispiel eines Hirntumors einige Fragen beantwortet.
Zuallererst kommen die Patient:innen für die Anfertigung einer Computertomographie (CT) zur Behandlungsplanung ins Haus. Falls keine Kontraindikation besteht (z.B.: Metallteile, Herzschrittmacher im Körper), kann zusätzlich eine Magnetresonanztomographie (MRT) angefertigt werden.
Hier sieht man Unterschiede in Weichteilen oft besser, was die Planung vereinfacht. Außerdem wird eine spezielle thermoplastische Maske (bei Hirntumoren an den Kopf) der Patient:innen angepasst, welche dann auch bei der Behandlung getragen werden muss. Diese Maske ermöglicht eine genauere Planung der Bestrahlung und eine genaue Positionierung der Patient:innen. Christian zeigt uns anhand einzelner Beispiele, wie diese Masken genau aussehen.

Tumorboard im MedAustron

Das Tumorboard sorgt dafür, dass die Strahlung auf den Krebs einwirkt und gesundes Gewebe geschützt wird (@Thomas Kästenbauer)

Nach diesen ersten Schritten können die Patient:innen wieder nach Hause gehen. Die Bestrahlung geschieht erst nach der genauen Behandlungsplanung, etwa zwei Wochen später. Bei der Behandlungsplanung werden die vorhandenen Bilder der Patient:innen fusioniert und im Planungsprogramm Tumorstrukturen und Risikoorgane (etwa sensible Bereiche im Gehirn) gekennzeichnet, die während der Bestrahlung geschont werden sollten. Anhand der Planungsbilder kann bereits abgeschätzt werden, wie die Patient:innen während der Bestrahlung gelagert werden sollen. Man möchte mit den beschleunigten Protonen oder Kohlenstoffionen spezifisch den Tumor bestrahlen und hierbei möglichst keine sensiblen Areale im Gehirn passieren. Dies erfordert oftmals eine andere Lagerung der Patient:innen.

Anhand der markierten Tumorstrukturen wird dann das Zielgebiet der Bestrahlung durch Ärzt:innen und Radiotechnolog:innen im Planungsprogramm festgelegt. Dieses umfasst meist den sichtbaren Tumor, sowie einen Randsaum um den Tumor, in welchem sich eventuell noch nicht sichtbare Tumorzellen befinden können, die man gleich mitbestrahlen möchte. Am Ende wird noch ein zusätzlicher Sicherheitssaum um diesen Randsaum gelegt, um technische und anatomische Unsicherheiten auszugleichen. Ob Protonen oder Kohlenstoffionen besser geeignet sind, hängt von der Tumorart ab. Handelt es sich um eine strahlenresistente Art, also ist eine vorhergehende Bestrahlungstherapie nicht erfolgreich verlaufen, wird auf Kohlenstoffionen zurückgegriffen.

Anhand der markierten Tumorstrukturen, des Rand- und des Sicherheitssaumes, wird die gewünschte Dosis für die Bestrahlung im Planungsprogramm berechnet. So soll im Tumorgebiet wird die höchstmögliche Strahlendosis und in dem umliegenden Saum meist eine wesentlich geringere abgegeben werden.

In der Theorie sollen die beschleunigten Teilchen genau im Tumor stoppen, um hier ihre volle Strahlungsdosis zu entfalten. Der Vorteil des Teilchenbeschleunigers gegenüber anderen Strahlentherapien liegt im raschen Dosisabfall. Nachdem das Teilchen im Tumor angekommen ist, sollte im umliegenden (gesunden Gewebe) nur noch eine sehr geringe Strahlung vorhanden sein, sodass gesundes Gewebe geschont werden kann.

Nachdem die gewünschte Dosis und Lokalisation im Programm eingestellt wurde, berechnet eine Software aufgrund der Dichtewerte des Gewebes (Knochen ist dichter als Gehirn, Gehirn dichter als Wasser), wie viel Energie notwendig ist, damit das Ionenteilchen nach Passage all dieser Gewebe genau im Tumor landet und hier die gewünschte Strahlendosis freigesetzt wird. Nach einer erneuten Kontrolle der Planung und möglichen Korrekturen, werden die Patient:innen dann in einem der hellen und gemütlichen Behandlungsräume in mehreren Sitzungen bestrahlt. Während der Bestrahlung merken die Patient: innen nicht, welche große Maschinerie hinter ihnen arbeitet. Im Idealfall haben die Patient:innen kaum Nebenwirkungen und profitieren langfristig von dieser neuen Form der Bestrahlung.

Bis vor einigen Jahren waren Chemo- und Strahlentherapien die einzigen Möglichkeiten, um die Diagnose Krebs zu bekämpfen. Dank des wissenschaftlichen Fortschrittes kommen immer weitere Ansätze zum Einsatz, die bei geringeren Nebenwirkungen einen größeren Therapieerfolg erzielen.
Als einer von diesen Ansätzen bietet die Ionenstrahltherapie neue Möglichkeiten in der Therapie von bisher schwer behandelbaren Tumoren und verspricht in Zukunft noch mehr Betroffenen helfen zu können. 

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