Teilchenbeschleuniger MedAustron

In Wiener Neustadt steht Österreichs größter medizinischer Teilchenbeschleuniger: Am MedAustron wird Krebs mit hochenergetischen Ionenstrahlen bekämpft. alexandria hat sich den Weg der Teilchen von der Quelle bis in die Patient:inen angesehen.

Warum das wichtig ist: In Österreich erkranken jährlich etwa 42.000 Menschen an Krebs. Knapp die Hälfte der Betroffenen überlebt ihre Erkrankung nicht, dennoch steigt die Überlebenswahrscheinlichkeit durch neue Diagnose- und Behandlungsmethoden seit Jahren an. Um Krebs zu behandeln, bieten sich neben der operativen Entfernung der Tumore oder der Chemotherapie die Bestrahlung an. Radioaktive Strahlung soll die Krebszellen zerstören. Leider wird dabei auch umliegendes, gesundes Gewebe in Mitleidenschaft gezogen. Mit Ionentherapie dagegen kann mehr Energie zielgerichtet in die Tumore eingebracht und umliegendes gesundes Gewebe geschont werden.

Mit leisem Klicken und Biepen öffnet sich Tür nach Tür, als uns Claus Schmitzer, Physiker am MedAustron, in Richtung des Herzstücks des Behandlungszentrums führt: Tief im Inneren des weitläufigen Gebäudes, verborgen von Patient:innen und Besucher:innen, befindet sich der Teilchenbeschleuniger, der die Ionenstrahlen erzeugt, mit dem Tumore bekämpft werden. Dafür müssen aus neutralen Atomen erst Ionen gemacht werden, die dann beschleunigt und auf den Krebs gerichtet werden können.

Obwohl die verwendeten Partikel winzig klein sind, sind die benötigten Maschinen riesig: Allein der Beschleunigerring füllt eine ganze Halle. Unser Weg führt uns zuerst zu den Ionenquellen. Dort empfängt uns ein ohrenbetäubendes Dröhnen. Das Brummen und Surren der unzähligen Magnete und Vakuumpumpen werden während unserer Reise durch die Eingeweide des MedAustron unsere beständigen Begleiter sein.

MedAustron Pumpe

Eine Vielzahl solcher Vakuumpumpen sorgt dafür, dass die Ionen ohne Zusammenstöße mit Gasmolekülen den Teilchenbeschleuniger durchqueren können. (©Verena Steinwider)

Die Reise beginnt: die Ionenquellen

Nur Ionen können mit elektrischen und magnetischen Feldern beschleunigt und abgelenkt werden. Claus zeigt auf einen blauen Kasten. Darin befindet sich CO₂, woraus Kohlenstoff-Ionen erzeugen werden sollen, die zur Tumorbestrahlung genutzt werden. Andere Quellen arbeiten mit Wasserstoffgas. Sie erzeugen Wasserstoff-Ionen, die ebenfalls zur Therapie eingesetzt werden.

Ionenquellen

Drei solcher Ionenquellen erzeugen die geladenen Teilchen, die anschließend auf Tumore beschleunigt werden. (©Verena Steinwider)

Im Gehäuse der Ionenquelle stecken starke Dauermagneten, entlang deren Feldlinien sich Elektronen bewegen. Wird eine elektromagnetische Welle eingestrahlt, beginnen die Elektronen in der Quelle zu schwingen und kollidieren mit den Gasmolekülen. Dabei schlagen sie den Atomen Elektronen aus, es kommt zur Stoßionisation. Die erzeugten positiven Ionen werden dann mittels Hochspannung durch ein kleines Loch abgesaugt.

Bei ihrer Reise von den Ionenquellen zu den Patient:innen müssen die Ionen viele hundert Meter zurücklegen. Daher ist der Beschleuniger im Wesentlichen ein langes, evakuiertes Stahlrohr, genannt Beamline. Wäre das Innere des Beschleunigers mit Gas gefüllt, würden die Teilchen ständig mit Molekülen kollidieren und könnten nie lang genug durch die Anlage sausen. Daher sind die Ionenquellen so konstruiert, dass vorne möglichst kein Gas mit den Ionen austritt.

Elektromagnet MedAustron

Der rote Elektromagnet filtert ungewollte Ionenarten aus, der Diagnosetower enthält Geräte, um den Strahl zu vermessen, die orangen Quadropolmagnete bündeln den Ionenstrahl. (©Verena Steinwider)

Nach einem Filter durchquert der Ionenstrahl einen Diagnosetower. Die türkisen und blauen Aufbauten enthalten Messgeräte. Sie registrieren die Strahlbreite und messen, ob der Strahl auseinander läuft oder gut gebündelt ist. Nach der Ionenquelle ist Zweiteres aber nie der Fall: „Noch ist der Strahl eine dirty mess“, lacht Claus. Daher sind nach den Messgeräten drei orange Quadrupolmagnete angebracht. Dabei handelt es sich um vier kreuzförmig angeordnete Elektromagnete, die den Strahl bündeln, indem sie Ionen, die ihnen zu nahe kommen, einen Schubs zur Mitte geben. Solche Magnete sind über die gesamte Länge der Beschleunigeranlage verteilt, um den Strahl auf Linie zu halten.

IonenSprint: Der Linearbeschleuniger

Für uns ist hier erstmal Schluss: Während das Rohr der Beamline von Kabeln umkränzt in einer Wand verschwindet, müssen wir draußen bleiben. Der Bunker, der den Linearbeschleuniger umgibt, ist gesperrt, da Arbeiten an dem Gerät stattfinden. Daher bleibt es unserer Fantasie, und Claus’ Ausführungen, überlassen, den Weg der Ionen weiterzuverfolgen.

MedAustron Ionenquellen 2

Claus erklärt uns die Ionenquellen. Wie alle Teile der Anlage benötigen sie extrem viel Strom. (©Verena Steinwider)

Aufgabe des Linearbeschleunigers ist es, die Ionen einerseits zu mikroskopisch kleinen Bündeln zu formen und andererseits, diese Bündel elektrostatisch zu beschleunigen. Die von den Ionenquellen kommenden Teilchen treffen zunächst auf eine Abfolge von Geräten, die den kontinuierlichen Teilchenstrahl in kleine Portionen unterteilt, den Bunches – der Strahl ähnelt nun einer Perlenkette. Jeder Bunch fliegt anschließend durch geladene Rohrabschnitte, die so umgepolt werden, dass das positiv geladene Ionenbündel immer eine negative Ladung vor sich und eine positive Ladung hinter sich spürt. Dabei ist perfektes Timing essenziell: Nur wenn zum richtigen Zeitpunkt umgepolt wird, klappt die Beschleunigung.

Linearbeschleuniger

Den Linearbeschleuniger können wir nicht besichtigen. Claus erklärt uns am Whiteboard, wie das Gerät funktioniert. (©Verena Steinwider)

Die Ionen haben nun die richtige Energie, um in den Beschleunigerring eingespeist zu werden. Davor müssen sie aber ihre Hüllen fallen lassen. Im sogenannten Stripper durchqueren die Bunches eine dünne Folie, die den Ionen schlagartig alle verbleibenden Elektronen abstreift: Sie verlieren ihre Elektronenhülle und sind vollständig ionisiert. Übrig bleiben Kohlenstoff-12 Kerne oder, falls anfangs die Wasserstoff-Ionenquelle verwendet wurde, Protonen. Zum Abschluss werden die nun nutzlosen Bunches aufgelöst, denn im Synchrotron muss jedes Teilchen allein seine Kreise ziehen.

Teilchen im Kreistanz: Das Synchrotron

Als wir die großen Türen zum Beschleuniger durchqueren, erwarten wir eigentlich, dass unsere Ohren knacken werden. Denn im Bereich des MedAustron, wo die Ionen auf ihre Endenergie beschleunigt werden, herrscht ein künstlicher Unterdruck, um gegebenenfalls radioaktiven Staub zurückzuhalten. Doch nichts passiert, die Druckänderung geht unbemerkt vorüber, als wir die Schwelle zur Synchrotronhalle überqueren

Synchrotron MedAustron

Das Herzstück der MedAustron ist der Synchrotron, wo die Ionen auf die gewünschte Energie beschleunigt werden. (©Verena Steinwider)

Das Synchrotron ist ein ringförmiger Teilchenbeschleuniger mit 77 Meter Durchmesser. Innerhalb der Beamline, beinahe verdeckt von zahlreichen Magneten, Pumpen und Kabeln, kreisen die Ionen so lange, bis sie die gewünschte Energie erreicht haben. Bei jeder Umkreisung durchlaufen sie die beiden silbernen Beschleunigerkavitäten. Diese Kammern sind so konstruiert, dass eine eingestrahlte elektromagnetische Welle gerade so reflektiert wird, dass sich eine stehende Welle ausbildet. Tritt nun ein Ion in die Kammer ein, wird es von dieser Welle angeschoben und so beschleunigt.

Beschleunigeraktivitäten MedAustorn

Die beiden unscheinbaren Beschleunigerkavitäten sorgen dafür, dass die Teilchen bei jedem Vorbeiflog einen Schubs bekommen – und so beschleunigt werden. (©Verena Steinwider)

Damit der Strahl während der Beschleunigung in der Bahn bleibt, müssen die am Synchrotron angebrachten gebogenen Ablenkmagnete parallel zum Anstieg der Teilchenenergie hochgeregelt werden, da immer stärkere Magnetfelder nötig sind, um die Ionen um die Kurve zu bringen. Von diesem parallelen oder eben synchronen Hochregeln der Ionenenergie und Magnetfeldstärke hat der Synchron seinen Namen. Nach den grünen Ablenkmagneten befinden sich wieder orange Quadrupole. Wo noch Platz ist, ragen Detektoren in die Beamline hinein, über 150 Stück. So kann das Verhalten des Ionenstrahls über die gesamte Beschleunigerlänge überwacht werden.

Magnete MedAustron

Die gebogenen, grünen Magneten bringen die Ionen um die Kurve, die orangen Quadrupol-Magnete fangen sie danach wieder zusammen und bündeln den Strahl. (©Verena Steinwider)

Haben die Ionen die gewünschte Energie erreicht, zieht sie eine Kombination von elektrostatischen und magnetischen Weichen aus dem Synchrotron, hin auf die Zielgerade. Von diesem letzten Stück zweigen vier Leitungen zu einem Labor und den drei Behandlungsräumen ab. Im letzten Bestrahlungszimmer ist es bei Protonen möglich, den Strahl um den Patienten rotieren zu lassen, um ihn von allen Seiten bestrahlen zu können.

MedAustron Bild 10

Diese Anlage gibt den Teilchen bereits eine Drehung mit, damit der Ionenstrahl später um die Patienten bewegt werden kann. (©Verena Steinwider)

Vor der letzten Abzweigung befindet sich daher eine drehbare Vorrichtung, auf der Magneten angebracht sind. Will man später den Strahl rotieren, muss diese Drehung hier schon eingeleitet werden, damit der Strahl nicht an die Innenwände der Beamline kracht, bevor er am Ziel ist.

Am Ziel angekommen: die Gantry

Ein Kontaminationsmessgerät entlässt uns aus dem Beschleunigerbereich zurück in die Teile von MedAustron, die Patient:innen und Besucher:innen offen stehen. Nach so viel nacktem Beton, Kabeln und High Tech fühlen wir uns wie in einer anderen Welt: Der Gang zum Bestrahlungszimmer ist mit modernen Holzblenden und steuerbaren LED-Leisten ausgestattet, überall abgerundete Ecken, die Gestaltung soll Ruhe und Professionalität vermitteln. Hier ist die Technik verborgen. Im vierten Behandlungsraum aber finden gerade Wartungsarbeiten statt, daher können wir einen Blick hinter die Hochglanz-Verkleidung des klinischen Bereichs werfen.

Düsen MedAustron

Die rotierbare „Düse“, aus der gewöhnlich die Ionen austreten, ist für Wartungsarbeiten geöffnet. Claus zeigt und das Laser-System, mit dem die Patient:innen so positioniert werden können, dass die Teilchen genau auf den Tumor treffen. (©Verena Steinwider)

In diesem Behandlungsraum kommt der Protonenstrahl aus der Decke, kann aber um die Patient:innen gedreht werden. Wie wird das gemacht? Hinter einer unscheinbaren Tür verbirgt sich die Antwort. Plötzlich findet man sich in einer 14 Meter hohen Halle wieder, der Behandlungsraum entpuppt sich als winziges Zwischengeschoss, aus dem eine Röhre hervorragt. In dieser Röhre wird der Patient auf einer Liege festgeschnallt und mittels Roboterarm positioniert.

Zwischengeschoss für Patienten MedAustron

Ein verkleidetes Zwischengeschoss, mehr ist der Behandlungsraum nicht im Vergleich mit der Halle, in dem sich der Elektromagnet dreht, der den Ionenstrahl um die Patient:innen rotiert. (©Verena Steinwider)

Um den Protonenstrahl um die Patienten rotieren zu können, muss sich der nötige Ablenkmagnet, der die Teilchen auf die Patienten richtet, ebenso drehen. Dazu müssen die Teilchen auf eine enge Kurve gezwungen werden. Je enger die Kurve, desto größer muss der Elektromagnet sein. Der rotierbare, haushohe Elektromagnet, der hier zum Einsatz kommt, die Gantry, wiegt 200 Tonnen.

Zielgenaue Bestrahlung

Die unzähligen Elektromagnete bündeln den Strahl zielgenau auf den Tumor, wo sie ihre Energie abgeben. Dabei soll die DNS, also die Erbinformation der Krebszellen, beschädigt werden. Das hemmt das Wachstum des Tumors und führt im besten Fall dazu, dass die geschädigten Zellen absterben. Allerdings verfolgt die Ionentherapie damit keine neue Strategie: Auch herkömmliche Bestrahlung mithilfe radioaktiver Stoffe soll Krebszellen zerstören. Doch kann die Strahlung bei diesen Verfahren in der Regel nicht so stark fokussiert werden. Vor, hinter und neben dem Krebsgeschwür liegt gesundes Gewebe, das bei der gewöhnlichen Strahlentherapie in Mitleidenschaft gezogen wird.

bildgebende Verfahren MedAustron

Moderne bildgebende Verfahren sorgen dafür, dass der Ionenstrahl wirklich nur auf den Tumor gerichtet werden kann. Bis auf eine kleine Sicherheitszone rund um den Krebs wird kein gesundes Gewebe bestrahlt. (©Thomas Kästenbauer)

Verwendet man hingegen wie am MedAustron einen Ionenstrahl, wird die Energie der Teilchen zielgenau im Tumor deponiert. Dafür sorgt eine physikalische Eigenschaft der Ionen: Fliegen sie durch Materie, geben sie die meiste Energie ab, kurz bevor die stecken bleiben. Stellt man also die Anfangsenergie so ein, dass die Ionen genau im Krebs landen, werden sie dort den meisten Schaden anrichten – und das Erbgut der Krebszellen zerstören.

Damit endet die Reise der Teilchen durch den MedAustron. Die beeindruckende Anlage ist für viele Patient:innen ein Ort der Hoffnung: Mit ein bisschen Glück besiegen die rasenden, mikroskopischen Teilchen, gelenkt von unzähligen Magneten, den heimtückischen Feind Krebs.

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