Frau geht mit Sonnencreme ins Meer

Sommer ohne Sonnencreme ist für die meisten von uns undenkbar. Doch die schützende Paste ist umweltschädlich und zerstört Riffe. Mittlerweile gibt es Produkte, die sich als umweltfreundlich bezeichnen - doch stimmt das wirklich? 

Warum das wichtig ist: Schon seit Längerem ist klar, dass konventionelle Sonnenschutzmittel die ökologisch sehr bedeutenden Korallenriffe zerstören. Seitdem spezialisieren sich immer mehr Firmen auf die Produktion von umweltfreundlicher Sonnencreme, die übliche UV-Filter durch Metalloxide ersetzen. Doch eine Wiener Studie hat nun nachgewiesen, dass auch diese negative Auswirkungen auf die Umwelt haben.

Der Sand ist so weiß wie Schnee, das Wasser so kristallklar wie der Himmel darüber. Am Strand angekommen, breiten die Menschen ihre Handtücher aus, greifen in ihre Taschen und ziehen Sonnencremen heraus.
Die Creme riecht verführerisch nach Urlaub. Sie zieht so schnell in die Haut ein, dass die weiße Schicht nach wenigen Minuten schon nicht mehr zu sehen ist. Und die Menschen stürzen sich in die Fluten.
In den zwei Minuten, in denen wir das Sonnenschutzmittel auftragen, schützen wir unsere Haut und Gesundheit, doch schädigen die Umwelt. Nicht nur das von der globalen Erwärmung immer stärker erhitzte Wasser richtet Korallenriffe zugrunde, auch konventionelle Sonnenschutzmittel verstärken das Problem. Vor allem synthetische UV-Blocker, wie zum Beispiel Ensulizol, sind der Grund. Die Korallen bleichen aus, reproduzieren sich nicht mehr oder erleiden einen Hungertod. Das ist katastrophal, denn Riffe sind das wichtigste Ökosystem des Meeres.
Seit einigen Jahren scheint es dafür aber einen Ausweg zu geben: mineralische Sonnenschutzmittel. Die schädlichen UV-Blocker werden durch Titandioxid und Zinkoxid ersetzt, die angeblich besser für die Umwelt sind. Eine Studie des Instituts für Paläontologie der Universität Wien, die im Februar 2022 veröffentlicht wurde, stellt die Harmlosigkeit von Öko-Sonnenschutzmittel allerdings in Frage.

Ein Hauch aus Kalk

Die nachhaltigen Sonnencremen mit Zink- und Titandioxid gelten als „rifffreundlich“, da sie, im Gegensatz zu konventionellen Produkten, Korallen nicht direkt schädigen. Laut dem Ergebnis der Wiener Studie sind die Inhaltsstoffe von vielen „umweltfreundlichen“ Sonnenschutzmitteln jedoch schlecht für unentbehrliche Riffbewohner. Somit werden Riffe letztlich indirekt doch geschädigt.
Foraminiferen sind sehr kleine Einzeller, die eine wichtige Rolle im gesamten Ökosystem Meer spielen. Ihre Bedeutung liegt unter anderem darin, dass sie ein verbindendes Glied in der Nahrungskette darstellen. Sie fressen Kleinstlebewesen wie Bakterien und Algen, während die Foraminiferen selbst von größeren Tieren wie beispielsweise Schnecken verzehrt werden (Gooday et al., 1992).
Besonders interessant ist das Gehäuse der Foraminiferen, das aus Kalk besteht. Wenn die Einzeller sterben, dann sinkt ihr Skelett auf den Meeresboden ab. Viele Sandstrände bestehen zu einem Teil aus den Gehäusen von Foraminiferen.
In Korallenriffen schaffen ihre Skelette einen weiteren Lebensort: das Sediment. Auch der grobe Sand, der in und um die Riffe liegt, besteht an vielen Orten primär aus ihren Kalkhäusern (Vila-Concejo et al., 2013). Hier tummeln sich beispielsweise Krebse oder Fische, die sich gern verbuddeln, aber auch hunderte andere Arten von Meeresbewohnern. Sowohl eine Unter- als auch eine Überproduktion des Sands kann Probleme schaffen. Wenn das Sediment im Wasser schwebt, führt das zum Beispiel zu weniger Sonnenlicht. Das ist katastrophal für Korallen.
Foraminiferen spielen auch eine Hauptrolle in der Karbonatproduktion von Korallenriffen. Manche Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass sie weit über 50 Prozent des Karbonats in Riffsystemen produzieren. Durch den Mangel an Karbonat kann das Wachstum der Korallen gehemmt werden oder gar ausbleiben. Die Reproduktion kann ebenso zum Erliegen kommen. Ohne Karbonat ist das Überleben des Ökosystems unmöglich (Lintner et al., 2022).

Foraminifere

Es gibt ungefähr 10.000 rezente Arten von Foraminiferen, die sehr unterschiedlich aussehen und verschiedenste Formen besitzen. Sie sind wichtige Bestandteile der Korallenriffe.

Sonnencreme vs. Foraminiferen

Tragen wir die Sonnencreme ins Wasser, kommt es zum Kampf zwischen ihr und den Foraminiferen. Diesen gewinnt wohl oder übel das Sonnenschutzmittel.
Im Zuge der Wiener Studie wurden mehrere Versuche durchgeführt. Für diese verwendeten die Wissenschaftler:innen die Forminiferenart Heterostegina depressa. Bei ihr handelt es sich um Großforaminiferen, also besonders große Exemplare. Die H. depressa leben, wie viele andere Großforaminiferen, in Symbiose mit Kieselalgen. Letztere betreiben Photosynthese und geben ihr produziertes Chlorophyll an ihren Partner ab, der daraus seine Energie bezieht.
Die Bestandteile des Sonnenschutzmittels schädigen nicht den Foraminiferen direkt, sondern ihren Symbionten. Die Kieselalge wurde durch den Kontakt mit Sonnencreme in der Produktion des Chlorophylls eingeschränkt. Die H. depressa bekamen daraufhin weniger Energie und ihre Gesundheit nahm stark ab.
Diese Auswirkungen konnten bei konventioneller Sonnencreme beobachtet werden, viel stärker war dieser Effekt aber bei Öko-Sonnenschutzmittel ausgeprägt. Die Wissenschaftler:innen haben die These aufgestellt, dass der Auslöser bei den ökologischen Produkten wahrscheinlich Titaniumdioxid und Zinkoxid ist. Diese Komponenten sind in den meisten umweltfreundlichen Sonnencremen der natürliche Ersatz für den UV-Filter (Lintner et al., 2022).

Frau geht mit Sonnencreme ins Meer

Wenn wir unbeschwert ins kühle Nass springen, gelangen die Inhaltsstoffe unserer Sonnencremen ins Wasser - mit problematischen Folgen

Viele ungeklärte Fragen

Die Einschränkung der Photosynthese führt höchstwahrscheinlich zu einem verfrühten Sterben der Großforaminiferen und letztendlich dazu, dass ihre Anzahl in der Küstennähe sinkt. Allerdings wurden bisher die Auswirkungen nur mit vier verschiedenen Sonnenschutzmitteln ausprobiert, in denen nicht alle konventionellen und ökologischen Inhaltsstoffe vorhanden sind (Lintner et al., 2022). Weiters gab es noch zu wenige Studien, um empirisch eindeutig beweisen zu können, dass sich die theoretischen Annahmen auch bewahrheiten. Ob sich die Theorie in der Praxis widerspiegelt, wissen wir daher noch nicht mit Sicherheit (Doo et al., 2014).
Was kann ich als Strandliebhaber:in nun tun? Das ist schwierig zu beantworten. Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass höchstwahrscheinlich Titaniumdioxid das Problem ist und Zinkoxid keine oder nur geringe negative Auswirkungen hat. Einige Sonnenschutzmittel benutzen nur Zinkoxid als UV-Blocker. Außerdem gibt es eine Handvoll Öko-Sonnencremen, die ohne jegliche Metalloxide auskommen. Diese sollten aufgrund des jetzigen Wissensstands präferiert werden.
Falls der Eingriff der Menschheit in die Natur in Millionen von Jahren in Vergessenheit geraten sein sollte, dann werden die Foraminiferen nächste Generationen – oder gar außerirdische Ankömmlinge – darüber aufklären. Ihre Häuser aus Kalk bilden nicht nur atemberaubend weiße Strände, sondern oft auch Fossilien. Bei Paläontolog:innen und Geolog:innen sind ihre fossilierten Reste beliebt, da man mit ihrer Hilfe vergangene Umweltveränderungen erkennen kann. So dient ihr verfrühtes Sterben zumindest einem Zweck.

Doo, S.S., Fujita, K., Byrne, M., & Uthicke, S. (2014). Fate of Calcifying Tropical
     Symbiont-Bearing Large Benthic Foraminifera: Living Sands in a Changing Ocean. Biol.
     Bull 226
, 169-186.
Gooday, A., Levin, L., Linke, P., & Heeger, T. (1992). The Role Of Benthic Foraminifera
     in Deep-Sea Food Webs and Carbon Cycling. In: Deep-sea food chains and the global
     carbon cycle.
Springer, 63-91.
Lintner, M., Schagerl, M., Lintner, B., Nagy, M., & Heinz, P. (2022). Photosynthetic
     performance of symbiont-bearing foraminifera Heterostegina depressa affected by
     sunscreens. Sci Rep 12, 2750.
Vila-Concejo, A., Harris, D. L., Shannon, A. M., Webster, J. M., & Power, H. E. (2013).
     Coral reef sediment dynamics: evidence of sand-apron evolution on a daily and decadal
     scale. J. Coast. Res. 65, 606 – 611

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