Von Frau zu mann und umgekehrt

Wenn Menschen mit dem falschen Geschlecht geboren werden, muss das heute kein unabwendbares Schicksal mehr sein. Die Medizin kann mit modernen Methoden das biologische Geschlecht an die gefühlte Geschlechtsidentität anpassen. Wie das funktioniert und was dabei beachtet werden muss, erfährst du in diesem Artikel! 

Warum das wichtig ist: Wenn Medien von transgender Personen berichten, liest man oft reißerische Schlagzeilen wie „Geboren im falschen Körper“. Nur wenigen ist bewusst, wie viele unterschiedliche Personen und Lebensgeschichten dieser Begriff vereint. Manche transgender Personen haben den Wunsch, zur Gänze dem anderen Geschlecht anzugehören. Um auch ihr biologisches Geschlecht der empfundenen Geschlechtsidentität anzupassen, bietet die Medizin heute zahlreiche operative Möglichkeiten an. Dieser alexandria-Artikel befasst sich mit diesen Geschlechtsanpassungen, die individuell ganz verschieden aussehen können.

Was ist überhaupt Transgender?

Die Geschlechtsidentität beschreibt das erlebte und gefühlte Geschlecht einer Person als männlich, weiblich oder einem anderen Geschlecht zugehörig. Stimmt diese Identität nicht mit dem zugewiesenen (biologischen) Geburtsgeschlecht überein, spricht man von „geschlechtsinkongruenten“ oder „transgender“ Personen.
Bis vor einigen Jahren wurde diese Geschlechtsinkongruenz noch als Pathologie, also psychiatrische Störung angesehen. In der neuen Definition des ICD-11, einem internationalen Kodierungskatalog aller Krankheiten, wird die Geschlechtsinkongruenz mittlerweile nicht mehr als psychische Störung definiert und somit entpathologisiert. Nur ein Leidensdruck, der durch eine Geschlechtsinkongruenz entsteht, wird als behandlungsbedürftig angesehen.
Stimmen das biologische Geschlecht und die Geschlechtsidentität überein, bezeichnet man diese Personen als cisgender.

Auch rechtlich eine neue Identität

In Österreich ist es möglich, das eigene Geschlecht zu ändern.
Für die offizielle Änderung des Geschlechtes ist laut derzeitigem Gesetz in Österreich „ein irreversibles Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht und eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts gefordert. Dies kann in aller Regel nur durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ausreichend geklärt werden.“
Diese Voraussetzungen müssen mittels Gutachten von Fachärzt:innen für Psychiatrie, Psychotherapeut:innen oder klinischen Psycholog:innen bestätigt werden.
Nach Bewilligung der Geschlechtsänderung oder -berichtigung werden die Daten über den Geschlechtseintrag im Zentralen Personenstandsregister (ZPR) geändert und es kann eine neue Geburtsurkunde auf Antrag ausgestellt werden. (2)

Seit 2009 ist eine geschlechtsanpassende Operation zur vollständigen Änderung der Geschlechtsmerkmale keine Pflicht oder Grundlage für die Änderung des Geschlechts mehr. (Mehr zur rechtlichen Lage von trans*Personen kannst du hier nachlesen.) (2)

Es ist sehr schwer festzustellen, wie viele Personen in Österreich als transgender gelten. In einer weltweiten Analyse wird die Prävalenz (Häufigkeit) mit 4,6 – 6,8 pro 100.000 Einwohner angegeben. Das wären in Österreich 410 bis 606 Personen. Allerdings werden hier nur Personen erhoben, die eine eindeutige Diagnose erhalten haben. Bei verschiedenen Fragebogenstudien zur Selbstidentifikation als geschlechtsinkongruent wurde in einer Metaanalyse der Anteil in der Bevölkerung sogar auf 0,35 bis 0,6 Prozent geschätzt. Das wären in Österreich mehr als 30.000 Personen. (3)

Mit medizinischer Unterstützung zum richtigen Geschlecht

Medizinisch können transgender*Personen mittels der Einnahme von Hormonpräparaten und operativen Verfahren bei der Geschlechtsanpassung unterstützt werden.
Aufgrund der Anzahl an Verordnungen für hormonelle Therapien kann man schätzen, dass sich jährlich ungefähr 390 Personen diesen Therapien unterziehen.
Im Jahre 2017 wurden in Österreich 309 geschlechtsanpassende Operationen durchgeführt, wobei sich vor allem Personen zwischen 15 und 29 Jahren für operative Eingriffe entschieden haben. Es wurden mehr maskulinisierende (64.1%), als feminisierende (35.9%) Eingriffe durchgeführt. (3)

Was geschieht bei einer geschlechtsangleichenden Operation?

Achtung: Der folgende Abschnitt beschreibt Operationsschritte sehr bildlich. Falls du dich beim Lesen solcher Beschreibungen unwohl fühlen könntest, lies bei „Risiken einer geschlechtsangleichenden Operation“ weiter.

Frau zu Mann - Einzelschritte der Operation

Die Operation von einer Frau zu einem Mann umfasst viele Schritte, manche können in einem einzigen Eingriff erfolgen, andere müssen aufgrund der notwendigen Heilung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Zwischen den einzelnen Eingriffen sollten mehrere Monate liegen, damit das Gewebe heilen kann und so das Risiko für Komplikationen vermieden wird. (4)

Laparoskopisch assistierte vaginale Hysterektomie (Gebärmutterentfernung) und Adnektomie (Entfernung der Eierstöcke)

Zunächst werden die Gebärmutter und die Eierstöcke entfernt. Hierfür muss nicht der gesamte Bauch eröffnet werden, sondern die Operation wird meist über drei Löcher in der Bauchwand durchgeführt. Nach Freilegung der entsprechenden Strukturen, können die Organe letztlich von der Scheide aus entnommen werden. Diese Operation wird auch bei Krebserkrankungen oder nach abgeschlossenem Kinderwunsch bei cis-Frauen durchgeführt. Anschließend wird die Scheide verschlossen (Kolpektomie).

Der Penisaufbau

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um einen Penis zu konstruieren. Beim Klitorispenoid (kurz: Klitpen) wird die Klitoris (die meist unter der Testosterontherapie bereits gewachsen ist) gestreckt. Die vorhandene weibliche Harnröhre wird mittels Verwendung der inneren Schamlippen bis zur Klitoris verlängert. Dadurch ist das Urinieren im Stehen meist möglich.

Ist ein größerer Penis gewünscht, ist ein Penoidaufbau notwendig, für welchen an einer anderen Stelle des Körpers ein großer Hautlappen entnommen werden muss (meist Unterarm – Radialislappen oder ALT-Lappen am vorderen, seitlichen Oberschenkel), der anschließend zu einem Penis inklusive Harnröhre geformt wird. Dieser Penoid wird unter Verbindung der Nerven, Gefäße und Harnröhre an die entsprechende anatomische Stelle transplantiert. Die Wunden am Unterarm oder am Oberschenkel müssen anschließend mit einer Spalthauttransplantation von einer weiteren Stelle im Körper gedeckt werden.

Bei der Sulcus-coronarius-Plastik kann mit einem weiteren dünnen Streifen mittels speziellen Schnitt- und Nahttechniken eine Eichel nachgebildet werden.

Die Harnröhre im Penoid kann erst nach Heilung der bisherigen operativen Maßnahmen vollständig zum Einsatz kommen, sodass für einige Monate noch über den Klitorispenoid Wasser gelassen werden muss.

Aus den äußeren Schamlippen wird ein Hodensack geformt, indem diese zusammengenäht werden. Falls gewünscht, können zwei Silikonimplantate als Hodenprothesen eingesetzt werden.

Etwa ein halbes Jahr, nachdem der Penoidaufbau erfolgt ist und alle Wunden verheilt sind, kann eine Erektionsprothese eingesetzt werden, welche zum Beispiel über eine Pumpe im Hodensack bedient werden kann. Diese Erektionsprothesen kommen auch bei impotenten cis-Männern nach Erschöpfung aller medikamentösen Mittel zum Einsatz. Nach dem Einbau der Prothese muss weitere sechs Wochen gewartet werden, bevor diese bedient werden kann.

Oftmals können noch Narbenkorrekturen und die Korrektur von Stenosen (Verengungen) oder Fisteln (nicht-natürlichen Gängen) notwendig werden.

Geschlechtsanpassung Frau zu Mann

Mann zu Frau - Einzelschritte der Operation

Die operative Geschlechtsangleichung von einem Mann zu einer Frau erfolgt in der Regel in zwei Schritten, wobei die Invaginationsmethode die Grundlage bildet. (5)

Orchiektomie und Bildung einer Neovagina

Zuerst werden die Hoden, Nebenhoden und Samenstränge entfernt (Orchiektomie). Anschließend erfolgt die komplette Entfernung der zwei großen Schwellkörper im Penis.
Nach Entfernung des Penisschwellkörpers und der Orchiektomie wird zwischen Enddarm und Harnblase eine Neovagina gebildet und mit der eingestülpten Haut des Penisschaftes (Invaginationsmethode) ausgekleidet. Zusätzlich wird oftmals ein Hauttransplantat vom Hodensack verwendet, um eine genügend tiefe und weite Neovagina bilden zu können.

Bildung von Klitoris und Schamlippen

Die Eichel wird inklusive ihrer Nerven und Gefäße erhalten und daraus eine Neoklitoris geformt. Hierfür wird die Eichel an der anatomisch korrekten Stelle so eingesetzt und präpariert, dass nur das obere Drittel oder Viertel sichtbar ist.

Anschließend werden aus dem vorderen Anteil der Vorhaut des Penis kleine Schamlippen gebildet und seitlich der Klitoris angenäht. Unter der Labienplastik wird mittels entsprechender Naht und Schnittführung die Bildung großer Schamlippen aus Teilen des ehemaligen Hodensackes verstanden.
Zuletzt wird die Harnröhre verkürzt und an der anatomisch korrekten Stelle unterhalb der Klitoris angenäht.

Erweiterungsplastik

Nach mehreren Monaten kann der zweite Teil der Operation erfolgen. Bis hierhin entspricht das funktionelle oder kosmetische Ergebnis noch nicht dem Endergebnis.
Bei der Erweiterungsplastik des Scheideneingangs wird der Eingang der Neovagina begradigt und erweitert. Außerdem werden die großen Schamlippen am unteren und oberen Teil zusammengenäht, um sie einer cis-Variation anzugleichen.

Meist liegt nach der ersten Operation die Klitoris weit offen, sodass ein verschiebbares Klitorishäutchen über diese gelegt wird. Sollte der Schamhügel nach der ersten Operation zu flach sein, kann Fettgewebe von den Seiten zusammengeführt werden.

Sollte an den großen Schamlippen nach Verwendung des Hodensackes und Verheilung der Wunden überschüssiges Gewebe vorhanden sein, so kann dieses entfernt werden, um die Verhältnisse proportional anzugleichen. Auch die kleinen Schamlippen können ebenfalls in Lage und Größe korrigiert werden, falls notwendig.

Geschlechtsanpassung Mann zu Frau

Risiken einer geschlechtsangleichenden Operation

Nach Verletzungen und Manipulation von Darm, Harnblase oder der Harnröhre kann es zur Ausbildung von Fisteln (nicht-natürlichen Verbindungen bzw. Gängen) oder Stenosen (Verengungen) kommen, welche operativ saniert bzw. korrigiert werden müssen.
Bei Schwierigkeiten mit Implantaten (Verrutschen, Infektionen, chronischer Schmerz), kann es sein, dass diese ausgetauscht oder vorübergehend entnommen werden müssen. Sehr selten kann es zu Gewebeverlust im Sinne des Absterbens eines Penoids oder zu Wundheilungsstörungen kommen. (4) (5)

Im Vorfeld kann keine Aussage zum sexuellen Empfinden nach der Anpassung getätigt werden, da es sich um ein sehr komplexes Zusammenspiel aus seelischen, geistigen und körperlichen Empfindungen handelt und die Ergebnisse individuell sehr unterschiedlich ausfallen.

Bei geschlechtsangleichenden Operationen sind viele Schritte und mehrere Eingriffe notwendig. Jeder dieser Eingriffe ist mit Risiken, die bei jeder Operation auftreten können, verbunden. Hierzu zählen Blutungen, Infektionen und besonders die Ausbildungen von Fisteln oder Stenosen. Patient:innen müssen über diese Risiken umfassend aufgeklärt werden, bevor sie operiert werden.

Es werden selten bei zwei geschlechtsinkongruenten Personen die gleichen Operationen durchgeführt, da die Vorstellungen über das Ergebnis, sowie die anatomischen Voraussetzungen sehr unterschiedlich sind. Dies macht diese Eingriffe noch komplexer.
Vielen transgender*Männern genügt ein Klitorispenoid, womit das Urinieren im Stehen meist ermöglicht wird, was in unserer Gesellschaft ein eindeutig männliches Merkmal ist. Manche transgender*Frauen wünschen einen Brustaufbau, manche nicht. Außerdem können auch Operationen im Gesicht oder sogar am Kehlkopf erfolgen, um weitere weibliche bzw. männliche Merkmale zu erzielen.

Es gibt immer wieder Diskussionen über die Auswirkungen von Geschlechtsangleichungen. Die bisher größte Studie zu diesem Thema erschien im Fachjournal JAMA Surgery. Für die Studie wurden 28.000 Menschen befragt - darunter Menschen, die eine Geschlechtsanpassung vorgenommen haben, als auch solche, die das zwar vorhatten, letztlich aber darauf verzichteten. Es zeigt sich, dass die erste Gruppe deutlich glücklicher ist als die zweite: Menschen, deren biologisches Geschlecht nach der Anpassung mit ihrem sozialen übereinstimmte, litten weniger unter Angstzuständen, Suizidgedanken oder Schlaflosigkeit. Mehr dazu findest du in unserer zweiten Aufgabe, „Warum wir streiten“. (9)

Der Weg zum anderen Geschlecht ist mit und ohne Operation ein sehr langer und umständlicher Prozess, der sehr viel Geduld und Durchhaltevermögen bedarf. Umso wichtiger ist es, Personen, die diesen Prozess durchlaufen, auf ihrem Weg zu begleiten und zu unterstützen. Eine begleitende Psychotherapie kann hier hilfreich sein, um Hürden zu meistern. Sie sollte jedoch nicht das Ziel haben, die Geschlechtsinkongruenz „zu heilen“. Diese sogenannten „Konversionstherapien”, die homosexuelle oder transgender Personen mit fraglichen Therapiemethoden „heilen” sollen, sind in Österreich seit Juni 2021 bei Kindern und Jugendlichen verboten. (6)

Denn egal, ob die offizielle Änderung des Geschlechts, eine andere Frisur, neue Kleidung, die Einnahme von Hormonen oder Operationen notwendig sind, damit transgender Personen sich kongruent fühlen - um eine Krankheit handelt es sich hier nicht. Unsere Gesellschaft sollte für alle Menschen einen Raum bieten, in dem sie vorurteilsfrei und unbelastet ihr Geschlecht anpassen können, um mit dem Geschlecht leben zu können, dem sie sich zugehörig fühlen.

(1) WHO. (2022). Gender incongruence and transgender health in the ICD. World Health Organization. Zuletzt abgerufen am 29.06.2022.

(2) Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (2022). Änderung der Geschlechtszugehörigkeit. oesterreich.gv.at. Zuletzt abgerufen am 29.06.2022.

(3) Österreichische Sozialversicherung. Geschlechtsinkongruenz in Österreich. Eine Schätzung der Größenordnung des Phänomens durch Daten aus der Literatur, in Österreich durchgeführten geschlechtsanpassenden Operationen und verordneter hormoneller Therapie. Österreichische Sozialversicherung. Zuletzt abgerufen am 29.06.2022.

(4) Dr. Lubos Kliniken Bogenhausen GmbH (2022). Transsexualität Frau-zu-Mann. Die Einzelschritte der Operation. Transgenderzentrum. Dr. Lubos Kliniken. Zuletzt abgerufen am 29.06.2022.

(5) Dr. Lubos Kliniken Bogenhausen GmbH (2022). Transsexualität Mann-zu-Frau. Die Einzelschritte der Operation. Transgenderzentrum. Dr. Lubos Kliniken. Zuletzt abgerufen am 29.06.2022.

(6) Parlament. (2021). Parlamentskorrespondenz Nr. 735 vom 16.06.2021. Nationalrat einstimmig für Verbot von Konversionstherapien. Republik Österreich, Parlamentsdirektion. Zuletzt aufgerufen am 29.06.2022.

(7) AWMF. (2019). Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: S3-Leitlinie zur Diagnostik, Beratung und Behandlung. AWMF online. Zuletzt aufgerufen am 29.06.2022.

(8) Nieder, T., Briken, P., & Richter-Appelt, H. (2013). Transgender, Transsexualität und Geschlechtsdysphorie: Aktuelle Entwicklungen in Diagnostik und Therapie. Thieme Verlagsgruppe.

(9) Almazan, A. N., & Keuroghlian, A. S. (2021). Association Between Gender-Affirming Surgeries and Mental Health Outcomes. JAMA Surgery.

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