Bäuerin in Afrika

Klimawandel, Pandemie, Armut, gewaltsame Konflikte und die damit verbundenen Lieferengpässe – das alles sind Gründe für die steigenden Zahlen von Hungerleidenden. Der globale Hunger bedroht derzeit um die 828 Millionen Menschen. Wer sind die Betroffenen dieser Hungerkrise und wie kann man ihnen helfen? Zu diesem Thema haben wir am Falling Walls Science Summit den Agrarwissenschaftler und Vizepräsidenten der Welthungerhilfe Prof. Dr. Joachim von Braun befragt.

Warum das wichtig ist: Der Kampf gegen den globalen Hunger ist ein beschwerlicher. Im vergangenen Jahrzehnt konnten nur wenige Fortschritte erzielt werden. Gegenwärtige Herausforderungen wie die Corona-Pandemie, neue gewaltsame Konflikte und immer extremere Wetterlagen werden das Problem voraussichtlich noch verschlimmert. Viele Menschen verlieren ihre Versorgungsgrundlage, den Zugang zu Nahrung und dadurch unter Umständen sogar ihr Leben.

Am Rande der somalischen Stadt Baidoa tummeln sich die Menschen. Für alle, die ihre Heimatregion aufgrund des Hungers verlassen haben, wurden hier 498 offizielle Camps errichtet – die Anzahl der vielen weiteren informellen Siedlungen ist nicht bekannt. In Somalia leben um die 16 Millionen Menschen – 41 Prozent davon sind von akuter Hungersnot bedroht.
Das Land wird gegenwärtig von der schlimmsten Dürre seit vierzig Jahren heimgesucht. Viele Familien verlassen ihre Wohngebiete aus Mangel an Geld, Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung und suchen Schutz in einem der Hilfslager, wie dem Camp El Jaalle oder den Siedlungen außerhalb Baidoas – so auch Hindiya Hussein Ali.
Von Dinsor, einer Gegend im Süden Somalias, ist sie mit ihren fünf Kindern über 100 Kilometer nach Baidoa gekommen, um dort im Lager humanitäre Hilfe zu erhalten. In Dinsor betrieb die Witwe einen kleinen Laden, doch die Dürre verschärfte die Inflation und Ali konnte sich die Waren nicht länger leisten. Auch die Landwirtschaften ihrer Kund:innen fielen der Trockenheit zum Opfer. So war es ihnen nicht länger möglich bei Ali einzukaufen. In Baidoa erhalten sie und ihre Kinder nun Nahrung, Plastikabdeckungen für das selbstgebaute Zelt aus Zweigen und ein monatliches Hilfsgeld von 80 US-Dollar. Für viele, die nach der Ali-Familie zum Camp gekommen sind, gibt es weniger Hilfsmittel (Fakat et al., 2022).

Die Lage von Hindiya Hussein Ali ist kein Einzelfall. Im Jahr 2022 lag die Zahl der Hungernden laut Welthungerindex der NGO Welthungerhilfe bei 828 Millionen, Tendenz steigend. Überall auf der Welt, vor allem in Gegenden Südasiens und Subsahara-Afrikas, sind Menschen wie Ali von Nahrungsmangel betroffen.
Seit ihrer Grünung 1962 unterstützt die Welthungerhilfe NGO bedrohte Regionen mit Hilfsprojekten und sammelt und veröffentlicht Daten zur weltweiten Ernährungslage. Anhand der Faktoren Unterernährung, Wachstumsverzögerung und Auszehrung bei Kindern sowie der Kindersterblichkeit erfasst ihr Welthungerindex auch, wie schwerwiegend die Hungerbedrohung in gewissen Regionen ist.
Dabei bedeutet Unterernährung, dass der Kalorienbedarf einer Person nicht gedeckt ist. Wachstumsverzögerung und Auszehrung bei Kindern liegen vor, wenn ein Kind unter fünf Jahren die altersgemäße Körpergröße oder das altersgemäße Körpergewicht aufgrund von Mangelernährung nicht erreicht. Und der Faktor Kindersterblichkeit hält fest, wie viele Kinder ihren fünften Geburtstag wegen der unzureichenden Lebensumstände nicht erleben.
Zusammengefasst ergeben diese Faktoren, einen Hunger-Schweregrad von ‚niedrig‘ bis ‚gravierend‘. In 44 Staaten ist die Lage momentan ‚ernst‘ bis ‚sehr ernst‘ – nach ihnen gibt es in der Skala bloß noch ,gravierend‘.

Karte des Welthungers

Der Welthunger-Index der NGO Welthungerhilfe im Jahre 2022 - in vielen Ländern ist die Situation "ernst oder "sehr ernst" (Quelle: NGO Welthungerhilfe)

„Die meisten hungernden Menschen der Welt leben auf dem Land und sind sogar oft Bäuer:innen. Das wirkt paradox, aber ihr Einkommen reicht einfach nicht aus, sich ausreichend zu versorgen.“ Prof. Dr. Joachim von Braun ist Agrarwissenschaftler und Vizepräsident der Welthungerhilfe. Am Falling Walls Science Summit spricht er über Ursachen und Überwindung des globalen Hungers.
„Auf der Welt gibt es ungefähr 400 Millionen Kleinbäuer:innen. Deren Betriebe sind sehr klein, oft nur so groß wie ein Hausgarten. Die meisten dieser Bauern sind Nebenerwerbslandwirte und haben Jobs in der Stadt oder temporäre Beschäftigung auf dem Land, denn sie sind arm, und deswegen müssen sie hungern.“
Obwohl viele betroffene Menschen also ein kleines Stück Land besitzen und bestellen, reichen weder die Ernte noch ihr sonstiges Einkommen, um den Nahrungsbedarf zu decken.
Bei der Landwirtschaft spielt auch der Mangel an Bodenqualität eine große Rolle. Die bedürftige Landbevölkerung kann es sich oft nicht leisten, den Boden nachhaltig zu bewirtschaften. Durch die starke Übernutzung in den letzten Jahrzehnten haben die Böden der Welt an Fruchtbarkeit und Biodiversität verloren.

„Die Bodennutzung ist immer weiter in Gegenden vorgedrungen, wie Berg- oder Sumpfgebiete, wo die Landwirtschaft gar nicht hingehört und selbst eine kurzfristige Landnutzung den Boden merklich verschlechtert“, erklärt von Braun.
So entsteht für die Landwirt:innen ein Teufelskreis: Der nährende Boden wird durch die nicht nachhaltige Bewirtschaftung zerstört, die Versorgung durch Ernte oder deren Verkauf wird erschwert und die hierdurch entstehende Armut verhindert die nachhaltigere Bodennutzung.
Das Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn, an dem Professor von Braun als Forscher tätig ist, bemisst den globalen Bodenschaden mit 300 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Das Wiederherstellen des degradierten Bodens durch nachhaltige Nutzung ist dabei um einiges kostengünstiger als die Ausbeutung des Bodens. Man müsste also mehr Anreize für bodenaufwertende Maßnahmen setzen und die Landbevölkerung bei der Bewirtschaftung unterstützen.
Die vulnerabelste Bevölkerungsgruppe in der Hungerkrise sind Frauen und Kinder. Auszehrung und Wachstumsverzögerung von Kleinkindern sind im Süden Asiens am gravierendsten. Das liegt häufig an der Unterernährung schwangerer Frauen, denn in diesen Regionen ist die gesellschaftliche Stellung der Frau meist sehr schlecht, was die Versorgung erschwert.

Böden dürren aus

Die Wege des Weizens

„Wir leben in einer globalisierten Food-Welt und das hat Vor- und Nachteile“, meint von Braun. Die Covid-Pandemie hat gezeigt, wie abhängig die Menschheit von globalen Lieferketten ist. Durch die weltweiten Grenzschließungen wurde der globale Handel erschwert und viele Güter gelangten erst nach Monaten an ihr Ziel. In vielen Staaten des globalen Südens können derartige Lieferengpässe die Existenzen der Bevölkerung bedrohen. Die Pandemie befeuert weiterhin die wirtschaftlichen Folgen der Krise und damit die Hungersnot in ärmlichen Regionen. Die genauen Auswirkungen kann man jetzt jedoch noch nicht erfassen (UNO, 2022; Welthungerhilfe, 2022).

Seit über dreißig Jahren herrscht in Hindiya Hussein Alis Heimatsstaat Somalia Bürgerkrieg. Viele Campbewohner:innen in Baidoa haben Angst, in ihre Heimatregion im Süden zurückzukehren, denn die dort dominierende islamistische Rebellionsgruppierung al-Shabaab bestraft jene, die sich in einer regierungskontrollierten Gegend wie Baidoa aufhielten. Krieg und Konflikt, ob auf staatlicher oder nichtstaatlicher Ebene, sind weltweit große Hungertreiber. Eine reguläre Wasser- und Nahrungsmittelversorgung kann in Konfliktgebieten kaum aufrechterhalten werden und die Gegend und ihre Bewohner:innen verarmen.

Die Anzahl der Konflikte in der Welt hat sich seit 2010 mehr als verdoppelt (Welthungerhilfe, 2022). Einer davon wird zurzeit in Europa täglich diskutiert: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bedroht seit Februar 2022 nicht nur die ukrainische Bevölkerung.
Die beiden Nationen gehören zu den wichtigsten Sonnenblumenkern- und Getreidelieferanten weltweit. Vor dem Krieg haben die Ukraine und Russland gemeinsam 30 Prozent der globalen Weizenexporte, 20 Prozent der globalen Maisexporte und fast 80 Prozent der weltweiten Exporte von Sonnenblumenkernprodukten, wie Öl, ausgemacht.

„Wenn ein Krieg die Weizenlieferungen aus Russland und der Ukraine verhindert, dann schlägt sich das nieder in zunehmendem Hunger in vielen Ländern der Welt, die von den Importen abhängig sind. Das trifft den Nahen Osten oder Ägypten als größten Weizenimporteur, aber auch viele Länder Afrikas und Ostasiens, wie Indonesien als zweitgrößten Importeur“, erklärt von Braun.

In unserer vernetzten Welt kann es also schnell zu Versorgungskrisen kommen, wenn die Lieferungsketten unterbrochen werden. Sollte man also zukünftig auf regionale Produktion setzen? Im Gegenteil, meint Professor von Braun: „Jetzt alles lokal zu produzieren wäre umweltschädlich und teuer. Wir brauchen resilientere Wertschöpfungsketten, also Strukturen mit Alternativen, die auch in der Krise funktionieren. Insbesondere in der Klimakrise müssen wir mehr Handel haben statt weniger, um die Risiken ausgleichen zu können. Wir dürfen uns aber auch nicht nur von einzelnen Wertschöpfungsketten abhängig machen. Das wäre hochriskant für die Welternährung.“

Joachim von Braun

Joachim von Braun sprach am Falling Walls Science Summit über globalen Hunger und wie wir ihn bekämpfen können 

Was kann man gegen den Welthunger tun?

Zehn Prozent der Weltbevölkerung leiden also momentan unter der Nahrungsmittelknappheit, die Krisen und Kriege verursachen. Diese drastischen Zahlen könnte man jedoch durchaus minimieren, wenn mehr und besser zur Bekämpfung des Hungers investiert wird, erklärt von Braun. Obwohl die Inflation auch die Bevölkerung im globalen Norden belastet, spenden die Menschen gegenwärtig mehr Geld an Hilfsorganisationen. Auch die deutsche Bundesregierung engagiert sich zunehmend und finanzierte 2022 den Kampf gegen die Hungerkrise mit mehr als 1,7 Milliarden Euro.

„Das sind einige positive Tendenzen, die wir aufzeigen können. Aber wir müssen noch viel mehr tun“, appelliert von Braun. Dabei müsse vor allem folgenden drei Bereichen Aufmerksamkeit geschenkt werden: Erstens müssten resiliente Wertschöpfungsketten geschafften werden, um die Versorgung durch Handel zu gewährleisten. Zweitens müsse man gemeinsam den globalen Süden aus der Schuldenkrise holen. Zuletzt sollten kurzfristige Versorgungslösungen insbesondere für Kinderernährung eingesetzt werden, um die akute Bedrohung abzuwenden.

Allein in Konfliktgebieten lässt sich der Hunger kaum vermeiden. Wenn man die übrigen Ursachen von Nahrungsmittelknappheit jedoch erfolgreich bekämpft, könnte man die Anzahl hungernder Menschen von jetzt 10 Prozent auf zwei bis drei Prozent senken. „Wir müssten pro Jahr ungefähr 50 Milliarden US-Dollar zusätzlich zu dem, was bisher ausgegeben wird, investieren“, meint von Braun. „Das ist nicht viel Geld, wenn wir die Kosten des Krieges oder die Umweltschäden am Boden bedenken. Wir geben zurzeit jedoch nur ein Drittel davon aus. Es muss also mehr Geld auf den Tisch, denn es geht nicht nur mit goldenen Worten, nachhaltiger Landwirtschaft und Transformation zur Biolandwirtschaft.“

Bäuerin

Oftmals sind Kleinbäuer:innen von Hunger betroffen

Essenziell sei auch das Empowerment der lokalen Bevölkerung, vor allem der Frauen und Kinder. Wichtig ist beispielsweise, dass die Kinder in die Schule gehen können, weil sie hier nicht nur Bildung, sondern oft auch eine tägliche Schulspeisung erhalten.
Unter der erwachsenen Bevölkerung soll die demokratische Beteiligung gefördert werden, damit die Menschen verstärkt ihre Rechte auf Nahrung und sauberes Wasser bei den verantwortlichen staatlichen Einrichtungen einfordern.
Zu diesem Zweck gibt es Projekte, die der Bevölkerung Zugang zum Regierungsprogramm des jeweiligen Staates in einfacher Sprache und Daten zur nationalen Lage verschaffen. Die Landbevölkerung soll verstehen, was in der Hauptstadt beschlossen wird und mit ihrer Stimme für die eigenen Rechte eintreten können. Verfassungsrechtlich verankerte Rechte auf Nahrung und Wasser seien ein wichtiger erster Schritt, so von Braun.

Was wir im globalen Norden tun können, um den Welthunger zu beenden? „Es braucht den weitgehenden Ausstieg aus dem Fleischkonsum, so wie wir ihn kennen in Europa, und den Einstieg in neue, gesunde Proteine“, meint von Braun.
Die exzessive Zucht von Nutztieren und der Anbau ihrer Futtermittel verbrauchen große Flächen an Land und zerstören natürliche Lebensräume. Der hohe Fleischkonsum trägt damit zur Degradierung unserer Böden bei. Das bedeute jedoch nicht, dass der Konsum von Fleisch gänzlich abgeschafft werden sollte.
„Das ist nicht nötig und wäre sogar falsch“, so von Braun. „Die Welt hat große Weidegründe und viele Völker, die dort leben, können das Grünland nachhaltig nutzen. Diese Viehhalter der Welt nicht zu verteufeln, finde ich ganz wichtig. Indigene Völker, die Menschen in Lappland mit ihren Rentieren, auch bei uns auf den österreichischen Almen, im bayrischen Wald, die Viehhalter in Afrika – sie brauchen alle nach wie vor einen Raum. Und selbst die Viehhaltung auf nachhaltig produzierenden landwirtschaftlichen Betrieben bei uns in Deutschland sollten und müssen eine nachhaltige Zukunft haben, denn sie produzieren zu niedrigen Kosten hochwertige Nahrung. Aber das Exzessive muss weg.“

Es ist also nicht unmöglich, Menschen wie Hindiya Hussein Ali und ihrer Familie zu helfen. Es braucht jedenfalls mehr Initiative von uns im globalen Norden und vermehrt Unterstützung und Empowerment der Menschen in den betroffenen Regionen.

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