Warum das wichtig ist:
Ein Aspekt, den die Desinfektionsstrategien bisher außer Acht lassen, sind Alterungserscheinungen von Werkstoffen, wie beispielsweise Mikrorisse in Kunststoffen, und ihre möglichen Konsequenzen für die Wirksamkeit eingesetzter Mittel. Testsysteme, die z.B. gealterte Oberflächen sowie in Spitälern angewandte Desinfektionspraktiken einbeziehen, sollen Voraussetzungen für die Desinfektionswirkung überprüfen, um eine effizientere Anwendung in „sterilen Bereichen“ zu erzielen.
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Hygienische Herausforderungen werden immer komplexer – sie reichen von der Entstehung resistenter Keime bis zum Ausbruch einer globalen Pandemie, wie wir sie aktuell erleben. Um Entwicklungen wie diese zu vermeiden oder ihnen zumindest adäquat zu begegnen sind Desinfektionsstrategien wesentlich. Bis dahin war eine Auseinandersetzung mit Desinfektion in der öffentlichen Wahrnehmung kaum präsent. In unterschiedlichen Kontexten sind Hygienekonzepte aber seit jeher ein wichtiger Bestandteil des Qualitätsmanagements von Gesundheitseinrichtungen sowie Branchen, in denen das Arbeiten in Reinräumen unerlässlich ist, wie der Lebensmittel- und Pharmaindustrie, bei Herstellern von Medizinprodukten oder in Forschungseinrichtungen. Maßnahmen der Reinigung und Desinfektion kommen in ihren Hygienekonzepten besondere Bedeutung zu.
Krankenhauskeime sind mitunter gefährliche Erreger, die eine nosokomiale, d.h. im Krankenhaus erworbene, Infektion auslösen können.
Reinigung und Desinfektion
Die Begrifflichkeiten Reinigung und Desinfektion werden im Alltag oft synonym benutzt, tatsächlich unterscheiden sie sich aber in ihrer Bedeutung. Unter „Reinigung“ versteht man jene Form der Keimreduktion, bei der primär Mikroorganismen und sonstige (organische) Verunreinigungen mechanisch entfernt, aber nicht explizit abgetötet werden. Bei einer Desinfektion ist das Ziel hingegen einen Großteil bestehender Keime abzutöten, diese in ihrer Anzahl zu verringern oder zumindest zu inaktivieren, damit sie keine Infektionen mehr auslösen können.
Trotz der unterschiedlichen Bedeutungen sind die Begrifflichkeiten nicht getrennt voneinander zu denken: Damit eine Oberfläche wirksam desinfiziert werden kann, ist vorab eine gründliche Reinigung notwendig (Rutala & Weber, 2004). Jegliche Schmutzanhaftungen müssen entfernt sein, damit das Desinfektionsmittel alle Stellen erreichen kann und die Wirksamkeit der eingesetzten Chemie nicht durch organische Reste selbst inaktiviert, d.h. „blockiert“ wird. Eine korrekte Durchführung ist notwendig, damit eine potenzielle Infektionsgefahr auch tatsächlich verringert werden kann.
Gerade in medizinischen Einrichtungen wird viel von den Hygieneteams vor Ort erwartet, sie sollen auf möglichst effiziente Art und Weise für gute hygienische Rahmenbedingungen sorgen. Dabei wird auch vorausgesetzt, dass durch den Einsatz von Reinigungs- und Desinfektionsmitteln keine Schäden an den Materialien entstehen. Auf häufigen Kontakt mit diesen Mitteln reagieren Werkstoffe aber unterschiedlich und es kann etwa zu Mikrorissen in der Oberflächenstruktur kommen. Diese Mikrorisse können der Nährboden für gefährliche Keime sein – besonders gefürchtet ist dabei die Entstehung und Verbreitung so genannter nosokomialer Infektionen. Das sind Infektionen, die im Zuge eines Krankenhausbesuchs auftreten. Diese Krankenhauskeime sind weitgehend gegen die Behandlung mit Antibiotika resistent.
Unter Reinigung versteht man die Beseitigung von sichtbarem Schmutz und unsichtbarem organischen Material, um zu verhindern, dass sich Mikroorganismen darin vermehren können.
Der Begriff Desinfektion wird verwendet, um das Abtöten bzw. Inaktivieren von Krankheitserregern zur Vermeidung von Infektionen beim Menschen zu beschreiben.

Abbildung 1: Die richtige Reinigung & Desinfektion kann Krankenhauskeimen vorbeugen
Die unsichtbare Gefahr
Die Entstehung resistenter Keime ist eine der zentralen Herausforderungen mit denen Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens immer stärker konfrontiert sind. Laut Schätzungen der WHO infizieren sich rund 15 % aller Patient:innen mit Krankenhauskeimen (Sydnor & Perl, 2011). Diesen pathogenen Keimen kann man während eines Krankenhausaufenthaltes auf unterschiedlichen Ebenen ausgesetzt sein, sowohl durch die direkte Umgebung, z.B. den Kontakt mit Oberflächen, als auch durch das Pflegepersonal oder andere infizierte Patient:innen (Khan et al., 2017). Je schwächer das Immunsystem zum Zeitpunkt des Kontakts ist, desto höher ist die Gefahr an einer Infektion zu erkranken.
Patient:innen, die von einer nosokomialen Infektion betroffen sind, müssen mit gravierenden gesundheitlichen Problemen rechnen, die von längeren Krankenhausaufenthalten bis hin zu lebensbedrohlichen Erkrankungen reichen können.
Neben den gesundheitlichen Konsequenzen für die Betroffenen sind auch die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Gesundheitseinrichtungen negativ. Eine längere Belegung von Betten, ein höherer Aufwand an Pflege und medizinischen Mitteln bedeuten höhere Kosten für das Gesundheitssystem (Morillo-García et al., 2017). Die Gesundheitseinrichtungen stehen vor der großen Herausforderung, die Entstehung und Verbreitung von nosokomialen Keimen zu minimieren. Dazu werden gut ausgearbeitete Hygienepläne eingesetzt, die einen detaillierten Prozess der Reinigung und Desinfektion vorschreiben (Doll et al., 2018). Trotz dieser Hygienepläne kommt es zu einem stetigen Anstieg an Risiken in Gesundheitseinrichtungen (Yokoe & Classen, 2008). Auch das Thema Zeitmanagement und der stete Druck, Kosten zu minimieren, tragen dazu bei. Um auf diese Entwicklungen zu reagieren und Hygienepraktiken sowie -prozesse kontinuierlich zu optimieren, ist Forschung notwendig.

Abbildung 2: Viel genutzt, aber oft übersehen: Gegenstände wie Türklinken müssen ebenfalls sorgfältig gereinigt werden
Ganzheitliches Testsystem gesucht
Bei den Untersuchungen am Österreichischen Forschungsinstitut für Chemie und Technik (OFI) galt es herauszufinden, wie man die Behandlung von Medizinprodukten mit Desinfektionsmitteln im Labor realitätsnahe und reproduzierbar abbilden kann. Der Fokus wurde dabei auf unterschiedlichste Oberflächen, die sich im Gesundheitsbereich finden, gelegt. Von Möbeln über medizinische Geräte bis zu Lichtschaltern, wurden Oberflächen untersucht, die von Patient:innen und Gesundheitspersonal berührt oder durch Körperflüssigkeiten kontaminiert werden könnten. Diese Produkte werden im Laufe ihres Lebens stark beansprucht, denn sie müssen nach jeder Kontamination – also nach jedem Kontakt mit Patient:innen – gereinigt und desinfiziert werden.
Wie kann die Beanspruchung medizinischer Oberflächen realitätsnah nachgestellt werden, um auch die Auswirkungen, die diese Beanspruchung auf die weitere Desinfektion haben kann, zu untersuchen? Um sich dem Thema anzunähern, wurde die Fragestellung in unterschiedliche Arbeitspakete geteilt. In einem ersten Schritt wurde untersucht, wie die Abnutzung, d.h. die Alterung, die durch den vielen Kontakt mit Desinfektionsmittel verursacht wird, simuliert werden kann, damit bei der Prüfung realistische Bedingungen vorherrschen. Ziel dieses ersten Arbeitspaktes war die Entwicklung eines repräsentativen Desinfektionsprotokolls für die Praxis.
In einem zweiten Schritt wurde untersucht, welche Auswirkungen der Desinfektionsprozess hat, wie sich Materialien mit der Zeit verändern, wenn z.B. Mikrorisse entstehen. Funktioniert die Desinfektion dann noch, oder besteht das Risiko, dass in unsichtbaren Ritzen oder auf aufgerauten Oberflächen erst recht Keime wachsen?
In einem dritten Schritt wurde nach Alternativen zur klassischen Desinfektion, die mit chemischen Mitteln erfolgt, gesucht. Untersucht wurde, in welchen Bereichen und bei welchen Werkstoffen es sinnvoll sein kann, das Material selbst antimikrobiell auszurüsten –als klassisches Bespiel wäre Silber zu erwähnen - also mit einer Substanz zu bearbeiten, die einen Bakterien- oder Pilzbefall verhindert. Entscheidend in diesem Kontext war herauszufinden, wie die Wirkung gemessen werden kann. Und – hier schließt sich der Kreis – zu erfassen, welchen Einfluss diese Prozesse auf die Materialien nehmen und wie wiederum Alterungsprozesse die Desinfektion beeinflussen.
In Mikrorissen können gefährliche Keime entstehen (© Autor)
Antimikrobielle Ausrüstung ist ein Verfahren, das angewandt wird, um Werkstoffe so mit Substanzen (z.B, Silber, Kupfer, aber auch Antiseptika wie Chlorhexidin) auszustatten, dass Bakterien, Pilze und Viren in ihrer Vermehrung gehemmt werden. Diese antimikrobiellen Substanzen werden auch als Biozide bezeichnet.
Tatort Oberfläche
Desinfektionsmittel, die u.a. in Gesundheitseinrichtungen zur Flächendesinfektion eingesetzt werden, können das Oberflächenmaterial angreifen, insbesondere Materialien aus Kunststoff sind betroffen. Nicht nur Optik und Funktion können gestört werden, was zu massiven wirtschaftlichen Schäden führt, sondern auch die Desinfizierbarkeit von Oberflächen kann dadurch stark beeinflusst werden. Die Effektivität von Desinfektionsmitteln, aber auch die Fähigkeit von Bakterien an Oberflächen anzuhaften, hängt stark von der Rauigkeit und Struktur der Oberfläche ab. Weist eine Oberfläche durch ihre Beanspruchung im Laufe der Zeit kleine, nicht mit freiem Auge sichtbare Veränderungen in der Struktur auf, kann das dazu führen, dass Bakterien leichter haften bleiben und Keime durch menschlichen Kontakt verteilt werden. Inwieweit unterschiedliche Oberflächen über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg durch Desinfektionsmittel geschädigt werden, und welchen Einfluss das auf die hygienischen Eigenschaften der Oberfläche hat, lässt sich nur durch individuelle Alterungstests bestimmen. Mit der Kombination unterschiedlicher Testverfahren lässt sich hier ein realitätsnahes Szenario im Labor nachstellen. Hierfür werden die zu untersuchenden Materialien für eine bestimmte Kontaktdauer – die im Endeffekt der Behandlung mit Desinfektionsmittel über die Lebensdauer des Medizinproduktes entspricht – mit Desinfektionsmittel beaufschlagt und dann in Kombination mit geeigneten Wischtüchern auch noch mechanisch beansprucht und auf etwaige Oberflächen- und Materialveränderungen untersucht und evaluiert. In weiterer Folge kann mit mikrobiologischen Methoden beurteilt werden, ob Materialveränderungen Einfluss auf die zukünftige Reinigung und Desinfektion haben. Solche Untersuchungen bieten einen Mehrwert für Medizinprodukte- und Desinfektionsmittelhersteller, da verschiedene Materialien, von Kunststoffen über Metalle bis hin zu Textilien, unterschiedlich auf Desinfektionsmittel reagieren können und Veränderungen bereits im Vorfeld abgeklärt werden. Durch diese Informationen profitieren in weiterer Folge auch Endanwender wie z.B. Hygienefachkräfte, da so Anwenderfehler vermieden werden können.
Darüber hinaus kann im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes untersucht werden, ob von einer antimikrobiellen Ausrüstung eines Medizinprodukts Vorteile zu erwarten sind. Dabei gilt es Geduld mitzubringen: Die mikrobiologischen Methoden, die hier zur Anwendung kommen, sind arbeits- und zeitintensiv, ebenso wie die realistische Abbildung von über Jahre im Einsatz befindlichen Medizinprodukten und Geräten, die konstant desinfiziert werden müssen. Verkürzte Verfahren funktionieren zwar grundsätzlich, weisen aber signifikante Einschränkungen hinsichtlich Nachweisgrenzen und Sensitivität auf (Hartl, 2020).
Die intensive Auseinandersetzung mit dem Themenfeld Oberflächenhygiene hat gezeigt, dass, obwohl zu einzelnen Punkten wie chemische Beständigkeit, mechanische Beanspruchung von Oberflächen oder Effektivität von Desinfektionsmitteln bereits unterschiedliche methodische Ansatzpunkte und Überlegungen existieren, diese in der Praxis nicht immer zusammenfinden. Austausch, Kooperation und Forschung können so dazu beitragen, dass Hygienekonzepte in der Praxis besser verstanden und korrekt angewendet werden. Das kann in weiterer Folge Menschenleben retten.
Christopher Hartl absolvierte einen Master in Lebensmittelwissenschaft und -technologie an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien. Neben dem Studium war er bereits für das Österreichische Forschungsinstitut für Chemie und Technik (OFI) im Labor tätig. Heute geht er dort seiner Begeisterung für Oberflächenhygiene nach und schloss im Jahr 2020 seine Dissertation zu diesem Themenfeld an der Technischen Universität Wien (TU Wien) ab.
Doll, M. et al. (2018). Environmental cleaning and disinfection of patient areas. International Journal of Infectious Diseases, 67, 52-57.
Hartl, C. (2020). Development of an integrated test system for the characterization of antimicrobial surface control strategies. Dissertation,
TU Wien.
Khan, H., et al. (2017). Nosocomial infections: Epidemiology, prevention, control and surveillance. Asian Pacific Journal of Tropical
Biomedicine, 7(5), 478-482.
Morillo-García, A., et al. (2015). Hospital costs associated with nosocomial infections in a pediatric intensive care unit. Gaceta Sanitaria,
29(4), 282-287.
Rutala, W. A., & Weber, D. J. (2004). Disinfection and sterilization in healthcare facilities: What clinicians need to know. Clinical Infectious
Diseases, 39(5), 702-709.
Sydnor, E. R., & Perl, T. M. (2011). Hospital epidemiology and infection control in acute-care settings. Clinical microbiology reviews,
24(1), 141-173.
Yokoe, D. S., & Classen, D. (2008). Introduction: improving patient safety through infection control: a new healthcare imperative.
Infection Control & Hospital Epidemiology, 29(1), 3-S11.