Titebild Queering Technology

Klare Kanten, harte Schale und auf Hochleistung getrimmt. Entlang dieser Ideale werden nach wie vor Männer erzogen – und Technologie entworfen. An der TU Wien erforscht Katta Spiel, wie Technik noch gedacht werden kann und wie wir aus den Rollenbildern ausbrechen können, die sie mitgestalten. Wir haben Katta dabei über die Schulter geblickt.

Fotos von Verena Steinwider 

Warum das wichtig ist: Technik ist aus unserem Leben nicht wegzudenken. Daher sollten technologische Entwicklungen für alle Menschen gemacht sein. Doch Designer:innen und Techniker:innen schreiben (oft unbewusst) ihre eigenen Weltanschauungen, Normen und Perspektiven ihren Produkten ein. Das kann dazu führen, dass Menschen manche Geräte und Techniken nicht oder nur eingeschränkt benützen können. Zusätzlich werden so Vorurteile weitergetragen und Rollenbilder verfestigt. Ein offener, spielerischer Zugang zur Entwicklung neuer Technologien, der die Bedürfnisse verschiedenster Menschen mitberücksichtigt, soll unser Verständnis von Technik erweitern.

Nach knapp zweieinhalb Jahren Corona-Pandemie, dutzenden online Familientreffen und tausenden Stunden Homeoffice haben wir gelernt, dass ein persönliches Gespräch durch Videotelefonate, und mögen sie noch so viele Features haben, nicht zu ersetzen ist. Die gängige Technik kann menschliche Nähe nicht gut übertragen. Gerade ältere Menschen und Menschen mit Behinderung haben unter dem pandemiebedingten Wegfall menschlicher Wärme gelitten, als Enkel und Bezugspersonen plötzlich nur noch über Zoom verfügbar waren.
Angesichts des enormen technologischen Fortschritts stellt sich die Frage, warum auf solche Bedürfnisse bisher kaum eingegangen wurde. Für Katta Spiel steht die Antwort fest: Technologie wird meist von weißen cis-Männern für weiße cis-Männer konstruiert, und ist daher auf Bedürfnisse anderer Menschen nicht ausgelegt. Doch wie kann Technik aussehen, die nicht männlich codiert ist? Katta hat Kultur- und Medienwissenschaft sowie Informatik studiert und erforscht an der TU Wien, wie solche Technologien aussehen können. Katta verwendet das geschlechtsneutrale Pronomen nin, eine Deklinationstabelle findet ihr hier.

stromleitendes Strickwerk

Die hellgrauen, silbrigen Streifen dieses Strickwerks leiten Strom und könnten kleine Geräte mit Energie versorgen, die in das Gewebe integriert sind.

Technik aus Wolle und Garn

Auf Kattas Schreibtisch liegt ein Stück graues Strickwerk, in dem silberne Streifen glänzen. Diese Bereiche hat Katta aus Wolle gestrickt, die winzige Stahlfäden enthält. Damit kann das Gewebe elektrischen Strom leiten und ist dennoch flauschig und weich. Ein blaues Stofftier aus Filz steht daneben, dessen Augen zwei LEDs sind. Die Stromversorgung funktioniert über die Nähte, die das kleine Kerlchen zusammenhalten. 

Stofftier das Strom leitet

Die Stromversorgung der Augen dieses Stofftiers geschieht über die Nähte, die es zusammenhalten. Dazu wurde ein Garn verwendet, ähnlich dem, wie es auf den beiden Spulen aufgerollt ist. Es enthält dünne Stahlfäden.

Mit leitfähigem Garn können auch Logik-Gates und sogar ganze Computer gestickt und gehäkelt werden. Stricken, häkelt, nähen – alle diese Handarbeiten sind traditionell weiblich codiert, da sie vorwiegend von Frauen betrieben wurden. Stellt man aus diesen Materialien technische Geräte her, entsteht Technik, die patriarchale Strukturen aufbricht.

stromleitende Wollproben

Katta zeigt Wollproben, die nin selbst gemischt hat. Sie enthalten verschieden hohe Stahlanteile und leiten daher Strom.

Dabei geht es Katta nicht darum, Technik zu gestalten, die wieder mit Geschlechterrollen aufgeladen ist, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Die Stofftechnologie soll vielmehr zeigen, was noch alles Technologie sein kann: Geräte müssen nicht hart, grau und steril sein, sie können auch biegsam, bunt, kreativ und weich sein. Technik darf auch spielerisch und ergebnisoffen entstehen. Kattas Kollegin etwa, Janis Lena Meissner, hat im Rahmen ihrer Diplomarbeit wollene Touchscreens erzeugt: Hinter bunten Strickarbeiten mit der leitenden Wolle liegen Alufolien. Drückt man auf die Wolle, schließt sich ein Stromkreis und es werden Töne abgespielt.

die elektrisch leitenden Stickarbeiten

Ein Prototyp von Janis Lena Meissners wollenen Touchscreen.

So sieht die Rückseite der Stickarbeiten aus

So sieht die Rückseite der wollenen Touchscreens aus. 

Katta erzählt, dass diese alternativen Formen der Technik Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen und Kinder stärken ansprechen, als die grauen Kästen herkömmlicher Geräte. Damit sind sie dann auch zugänglich für Menschen, die sonst von Technik weniger angesprochen werden: Geräte werden heute auf eine Art gestaltet, die bestimmte Menschengruppen von Technologie ausschließt. Für Katta steht das in Konflikt mit dem Recht auf Teilhabe.

Schaltkreise aus leitfähiger Tinte

Schaltkreise müssen nicht gelötet werden: Mit leitfähiger Tinte kann spielerisch eine Lampe gezeichnet werden.

Technik für alle

Rollenbilder gestalten nicht nur Technik mit, sondern führen auch zu expliziten Ausschlussmechanismen. Beispielsweise sind viele technische Anwendungen nicht auf intergeschlechtliche und non-binary Menschen ausgelegt, da die Technik das binäre Geschlechtsbild ihrer Entwickler:innen wiedergibt. Das musste Katta am eigenen Leib erfahren, als nin versuchte, bei verschiedenen Internetportalen, darunter auch dem Lego-Onlineshop, den richtigen Geschlechtseintrag anzugeben. Doch bei den meisten Seiten fehlte eine Alternative zu „männlich“ und „weiblich“. Auf diese Weise werden Geschlechterrollen, und in anderen Fällen Vorurteile, etwa über schwule Männer oder Menschen mit Behinderung, verfestigt, da sie im Bereich der anscheinend so rationalen Technik unhinterfragt stehenbleiben.

Critical Design Alphabet

Mit dem Critical Design Alphabet können sich Entwickler:innen spielerisch mit Rollenbildern auseinandersetzen.

Natürlich wollen die wenigsten Entwickler:innen, dass ihre Technologe subtil Rollenbilder fortschreibt, aber dennoch passiert es. Menschen gestalten nun mal für Bedürfnisse und Fähigkeiten, die ihnen bekannt sind. Daher fließt ihre Perspektive unbewusst in ihre Produkte mit ein. Kattas Arbeit will diese Mechanismen durchbrechen und einen größeren Freiraum für Designer:innen schaffen. Allein nims Perspektive ist dabei bereits Teil der Forschung, denn Kattas Erlebnisse als nicht-binäre Person in Wissenschaft und Technik erweitern unser Wissen über Gestaltungsprozesse, indem nin Probleme und Alternativen aufzeigen.

Technik, die berührt

Ein zentrales Problem der hegemonialen Technik ist, dass es nicht für nötig gehalten wurde, Nähe und Berührung zu vermitteln, Werte, die im patriarchalen System oft eine untergeordnete Rolle spielen. Die Wolltechnologie bricht auch mit diesem Designdogma. In ein Gewebe integrierte Vibrationsmotoren könnten den Effekt einer Berührung erzeugen, die von einem anderen Menschen live übermittelt wird. Um uns dieses Konzept vorzuführen, zieht Katta einen gestrickten Wollschlauch aus dem vor Garnspulen und Wollknäuel überquellenden Kasten neben nims Schreibtisch hervor.

Kattas Arbeitsplatz

Unüblich für ein technisches Labor: In Kattas Schrank türmen sich Filz, Wollknäuel und Garnspulen.

Daran klebt nin nun mehrere kleine Vibrationsmotoren, die einzeln angesteuert werden. Steckt man den Arm in den Wollschlauch, fühlt man die Vibration sanft auf der Haut. Vibrieren die Motoren in der richtigen Reihenfolge, scheint jemand den Arm entlangzustreichen. Werden die Motoren jetzt noch per Kabel mit Strom versorgt, könnte ein fertiger Prototyp stattdessen leitendes Gewebe verwenden. Ohne störende Kabel wäre die Illusion einer unsichtbaren Berührung perfekt.
Technik aus leitfähiger Wolle oder aus leitender Tinte, die auf ein Stück Papier gemalt werden kann – beides passt nicht zur gängigen Vorstellung, wie Technik sein muss. Queere Technik, wie Katta diese Technologien bezeichnet, sprengt Normen und hinterfragt den Status Quo. Katta betreibt nims Forschung dennoch mit denselben wissenschaftlichen Standards, wie sie jedes andere Labor einhalten muss. Aktuell untersucht nin, wie groß der elektrische Widerstand einzelner Strickmuster ist.

Katta bei der Arbeit

Katta steuert die Vibrationsmotoren am Wollschlauch.

Denn um weiche, ansprechende Technologie aus Stoff zu erzeugen, wo der Strom direkt über das Gewebe fließt, muss dessen Widerstand bekannt sein. Ist er zu hoch, entsteht bei einer angelegten Spannung zu viel Wärme, es besteht Brandgefahr.

Katta bei der Arbeit Teil 2

Kennt man den elektrischen Widerstand des verwendeten Fadens, kann man den des Gewebes bestimmen.

Dazu muss aber erst der Widerstand der einzelnen Fäden bestimmt werden: Als Katta mit einem Multimeter den spezifischen Widerstand eines Garnstücks misst, ist es für uns immer noch seltsam, zwischen den Messfühlern keinen Draht, sondern einen dünnen, roten Faden zu sehen. Wir gehen jedenfalls mit einem neuen Verständnis von Technologie nach Hause.

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