Sprachgewalt gegen Frauen

Gewalt gegen Frauen fängt oft bei der Sprache an. Welche Mechanismen dahinterstecken und wie man ihnen begegnen kann, erklärt dieser alexandria-Artikel. 

Warum das wichtig ist: Gewalt gegen Frauen wird nicht nur bei statistischen Erhebungen vernachlässigt, sondern auch in der Medienberichterstattung sowie im täglichen Sprachgebrauch immer wieder verharmlost. Das trägt dazu bei, dass geschlechterspezifischer Gewalt ein Raum geboten wird. Abgesehen von Maßnahmen staatlicher und nicht-staatlicher Organisationen muss auch im Privatbereich ein Umdenken passieren, um gegen dieses Problem vorzugehen.

Geschlechterspezifische Gewalt als strukturelles Problem

20 Prozent der Frauen in Österreich wurden seit ihrem 15. Lebensjahr schon mindestens einmal Opfer physischer oder sexueller Gewalt, jede dritte Frau Opfer sexueller Belästigung (FRA – Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, 2014). Alleine in diesem Jahr gab es Medienberichten zufolge schon siebzehn Frauenmorde (Baldinger, Smetana, & Figl, 2021). Auch EU-weit sind die Zahlen der Gewalttaten an Frauen sehr hoch, wobei die Dunkelziffer vermutlich noch höher ausfällt, da die meisten Fälle von Gewalt gegen Frauen gar nicht erst gemeldet werden (FRA – Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, 2014).
Die antidiskriminierende Sprachpolitik versucht, Bewusstsein dafür zu schaffen, wie groß der Einfluss von Sprache auf unser Denken und Handeln ist (Tereick, 2019). Jedoch wird diese Problematik in vielen Bereichen, so zum Beispiel auch in der Medienberichterstattung, vernachlässigt. Frauenmorde sollten laut Kommunikationswissenschaftlerin Irmgard Wetzstein nicht als „Mord“ verallgemeinert werden, sondern mit dem Begriff „Femizid“, der das weibliche Geschlecht als Grund für die Tötung der Person impliziert, benannt werden (Wetzstein, 2021). Solche Femizide werden nicht selten in der Medienberichterstattung verharmlost, beispielsweise als „Beziehungsdrama“ oder „Familientragödie“. Femizide sind ein strukturelles und gesellschaftliches Problem, bei dem es um Frauenhass und Diskriminierung geht (Mischitz, von Usslar, & Stajić, 2021).
Österreich ist laut Untersuchungen das EU-Land mit der größten Toleranz gegenüber offenem Sexismus im öffentlichen Raum. Die strukturelle Diskriminierung von Frauen durch Ungleichstellung, Stereotypen von Männlichkeit und Weiblichkeit, sowie Sexismus werden von der Mehrheit der österreichischen Gesellschaft nicht als Risikofaktoren für Gewaltdelikte an Frauen eingeschätzt (Wolf, 2021). Zahlreiche Studien belegen jedoch, dass psychische Gewalt gegen Frauen nicht nur schwere Folgen wie zum Beispiel posttraumatische Belastungsstörungen oder Depressionen haben kann, sondern oftmals eine Vorstufe zu physischer Gewalt ist (Brzank, 2009). Mit Sprache kann also indirekt zu Gewalt beigetragen werden, indem zu ihr aufgefordert und Diskriminierung normalisiert wird. Sprache kann auch selbst schon eine direkte Form der Gewaltausübung sein, indem sich die Opfer beispielsweise verängstigt fühlen (Krämer, 2007).

Die Macht der Sprache

Sexistische Witze und geschlechterspezifische Rollenbilder sind Teil unserer täglichen Kommunikation und werden oft nicht hinterfragt. Ihre Auswirkungen sind uns oft nicht bewusst (Kiank, Matthieu, & Wank, 2019).
Doch nicht nur offensichtliche sprachliche Diskriminierungen spielen eine Rolle, wenn die Auslöser physischer Gewalt gegen Frauen betrachtet werden. Vor allem auch alltägliche implizite Diskriminierungen, die oft nicht gleich als solche erkannt werden, tragen dazu bei, dass physischer Gewalt ein Raum geboten wird (Ellerbrock, et al., 2017). Um zu verstehen, warum diese mehr oder weniger versteckte Form der Diskriminierung schwere Folgen haben kann, ist es notwendig, Sprache nicht nur als eine Aneinanderreihung leerer Worte, sondern als eine Form des Handelns zu begreifen (Brzank, 2009).
Verbale Gewalt ist also etwas, das bei den Empfänger:innen eine Reaktion zur Folge hat – in dem Fall eine Verletzung verursacht. Die Worte, die wir benutzen, haben für jede:n von uns eine soziale Bedeutung, die sich im Laufe der Zeit entwickelt hat und von unserem sozialen Umfeld beeinflusst wird. Daher kann man mit Sprache aktiv beschimpfen, kränken, oder demütigen (Krämer, 2007).

Wie viele Frauen werden in Österreich Opfer sexueller Gewalt

Abbildung 1: Viele Frauen werden in Österreich Opfer von Gewalt. Diese Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. 

Wiederkehrende Muster

Nicht selten sind bei der Thematisierung von Gewalt in den Medien, aber auch im täglichen Sprachgebrauch ganz bestimmte Narrative zu finden. Frauen werden häufig selbst für die Gewalt, die ihnen widerfährt, verantwortlich gemacht. Dabei spricht man vom Phänomen der Opferschuld, oder auch der Täter-Opfer-Umkehr. Das liegt daran, dass unsere Auffassung von Gewalt in soziale Kontexte eingebettet ist und wir daher bestimmte Dinge je nach unserem sozialen Umfeld ähnlich einschätzen (Wolf, 2021). Durch diese immer wiederkehrenden Strukturen, die wir durch Sprache reproduzieren, führt verbale Diskriminierung indirekt auch zu physischer Gewalt. Vorurteile oder Stereotype jeglicher Art werden verbreitet, die sich auf das Denken und somit das Handeln aller auswirken (Meier-Vieracker, 2019). So tragen diese Formen von Diskriminierung dazu bei, dass Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft normalisiert wird (Ellerbrock, et al., 2017).
Ein aktuelles Beispiel für die Folge körperlicher Gewalt auf diskriminierende Sprache ist der Fall eines Femizids im April. Eine 35-jährige Frau wurde vor ihrer Wohnung erschossen. Beim mutmaßlichen Täter handelt es sich um jenen Mann, der durch einen Prozess gegen die grüne Klubchefin Sigrid Maurer als „Bierwirt“ bekannt geworden war. In dem Prozess war Maurer vom „Bierwirt“ angeklagt worden, weil diese ihn öffentlich beschuldigte, ihr obszöne Nachrichten geschickt zu haben. An diesem Beispiel lässt sich gut erkennen, dass schon das Verwenden diskriminierender Ausdrücke als Vorstufe zu physischer Gewalt und als eigene Form von Gewalt bezeichnet werden kann und auch ernst genommen werden sollte (Mischitz, von Usslar, & Stajić, 2021) (Brzank, 2009).

Aufklärung und Bildungsarbeit als Gegenmaßnahmen

Dabei bietet Sprache selbst das Mittel, um gegen verbale Gewalt vorzugehen – durch Aufklärung und Bildungsarbeit kann Diskriminierungen jeglicher Art entgegengewirkt werden (Krämer, 2007). Das Aufzeigen von Zusammenhängen und gesellschaftlichen Mustern ist eine gute Möglichkeit, gegen geschlechterbasierte Gewalt vorzugehen. Eine große Bedeutung haben hier zum Beispiel Nicht-Regierungs-Organisationen, Vereine oder Beratungs- und Gewaltschutzeinrichtungen. Eine Frage, die vor allem in letzter Zeit immer wieder aufgeworfen wird, ist die Beteiligung öffentlicher Stellen an Gewaltprävention. Leider sind in Österreich wenig aussagekräftige Daten vorhanden, die helfen würden, geschlechterspezifische Gewalt zu beobachten und zu thematisieren. Zum Beispiel wird der Aspekt des Geschlechts in Kriminalstatistiken nicht ausreichend aufbereitet. Würde sich der Staat bemühen, regelmäßig Studien zu diesem Thema durchzuführen, würde die Aufklärung bezüglich Ursachen und Auswirkungen von Gewalt gegen Frauen erleichtert werden. Der Einfluss öffentlich-rechtlicher Medien könnte die Großteils missachtende Einstellung der Österreicher:innen zum Thema sprachliche Diskriminierung von Frauen ändern (Wolf, 2021).

Sprachliche Gewalt wird zu körperlicher

Abbildung 2: Sprachliche Gewalt führt oft zu körperlicher. 

Was kann ich als Privatperson unternehmen?

Doch nicht nur der Staat als Gesamtsystem hat Einfluss auf diese Problematik. Auch wenn geschlechterbasierte Gewalt ein strukturelles Problem ist, kann es nur ein solches bleiben, wenn Individuen diese Strukturen immer wieder bestätigen und aufrechterhalten (The United Nations Development Programme, 2020).
Selbst wenn eine komplett gewaltfreie Kommunikation nicht möglich ist, so ist es doch sinnvoll, sich Gedanken darüber zu machen, was für eine Wirkung Sprache hat. Einzelpersonen haben sehr wohl einen Einfluss darauf, welches Bild von Frauen sie ihren Mitmenschen täglich vermitteln wollen. Jede Person ist selbst für ihre (Sprach-)Handlungen verantwortlich (Janich, 2019). So ist es auch eine Empfehlung des Europarats im Rahmen der Kampagne „Sexism: See it, name it, stop it!“, geschlechtersensible Sprache zu verwenden, um die Verstärkung sexistischer Denkmuster und Handlungen aktiv zu vermeiden (Council of Europe, 2020).
Jede Person kann also beeinflussen, ob er oder sie mit sprachlichen Äußerungen direkt und indirekt Gewalt verübt. Durch das Reflektieren des eigenen Sprachgebrauchs und die Benutzung antidiskriminierender Sprache kann dazu beigetragen werden, dass Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft nicht mehr normalisiert und heruntergespielt wird (Tereick, 2019).
Das gilt übrigens nicht nur für das Thema Sexismus – antidiskriminierende Sprache ist in jeder Situation gefragt, in der Menschen aufgrund von persönlichen oder gruppenspezifischen Merkmalen diskriminiert werden. Für die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Sexualität, geschlechtlicher Identität, Herkunft, Sprache, Nationalität, Religion, Hautfarbe, politischer Meinung, Sozialstatus, Besitzeigentum, Geburt, Alter, geistiger oder körperlicher Gesundheit bzw. Behinderung oder Krankheit gibt es unzählige Beispiele.
Das heißt nicht, dass nach dem Lesen dieses Artikels absolut nichts mehr gesagt werden darf, was zuvor nicht als politisch korrekt bestätigt wurde. Es reicht, sich zu fragen: Ist es wirklich so mühsam, ein Wort gegen ein anderes auszutauschen, wenn darum gebeten wird? Jedes Mal, wenn wir den Mund öffnen, um etwas zu sagen, haben wir die Wahl, mit der selbst ausgesuchten Sprache Menschen emotional zu verletzen und auch dazu beizutragen, dass physische Gewalt normalisiert wird - oder wir entscheiden uns aktiv dagegen, sexistische (Sprach-)Gewalt zu reproduzieren. Wir sprechen eine Sprache, in der es so viele Wörter und so viele Synonyme für jedes einzelne Wort gibt - warum sollten wir uns also trotzdem dafür entscheiden, genau jene Worte zu benutzen, die Menschen verletzen?

Du bist selbst Opfer geschlechterspezifischer Gewalt oder kennst eine Person, die diesbezüglich Hilfe benötigt?
Bei akuter Gefahr Polizei verständigen unter 133 (europäische Notrufnummer 112)
Polizeiliche Hilfe per SMS: 0800/133 133
Frauennotruf: 01/71 71 9
Männernotruf: 0800/246 247
Frauenhelpline
Autonome Österreichische Frauenhäuser
Sonstige Hilfe für Frauen

Selma Örge hat das Bachelorstudium „Information, Medien und Kommunikation“ an der Fachhochschule Burgenland absolviert und studiert derzeit das Masterstudium „Publizistik und Kommunikationswissenschaft“ an der Universität Wien. In ihrer Bachelorarbeit hat sie die Sensibilisierung der Österreicher:innen im Umgang mit Hasspostings auf Social Media untersucht. Da sie im Alltag oft auf Widerspruch stößt, wenn es darum geht, wie groß der Einfluss von Sprache auf unser Denken und Handeln ist, möchte sie mit diesem Artikel einen Einblick in die kommunikationswissenschaftliche Sicht auf das Thema bieten und diesbezüglich Bewusstsein schaffen.
Selma ist auf Instagram unter @selmaoerge zu finden.

- Die Kampagne „Sexism: See it. Name it. Stop it!” des Europarates erklärt kurz und bündig was Sexismus ist und was man dagegen tun kann.
- Dieser Beitrag vom Standard inklusive einem Interview mit Kommunikationswissenschaftlerin Irmgard Wetzstein erklärt, wie Medien Femizide verharmlosen.
- Hier werden Artikel gesammelt, die sexualisierte Gewalt und Femizide verharmlosen.
- Antidiskriminierende Sprache - ein Überblick.
- Geschlechtersensible Sprache – wie geht das? Diese sehr aktuelle Broschüre der Universität Köln schafft Abhilfe.
- Das Koordinationsbüro für Frauenförderung und Gleichstellung Technische Universität Berlin hat diese Broschüre zum Thema geschlechtersensible Sprache veröffentlicht.
- Einen Überblick über antidiskriminierende Sprachhandlungen bietet diese Broschüre der Geschäftsstelle Gender & Diversity Freiburg.

AÖF. Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser / Informationsstelle gegen Gewalt. Formen von Gewalt gegen Frauen.
Baldinger, I., Smetana, M., & Figl, B. (2021). Bereits 17 Frauenmorde im Jahr 2021: Was hat sich seit dem Gewaltschutzpaket getan?
     Salzburger Nachrichten.
Brzank, P. (2009). (Häusliche) Gewalt gegen Frauen: Sozioökonomische Folgen und gesellschaftliche Kosten.
     Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz, 3(52), 330-338.
Council of Europe. (2020). Sexism: See it, name it, stop it!
Hagen, L., Ruep, S., & Scherndl, G. (2021). Femizide in Österreich: Land der toten Frauen. der standard.
Ellerbrock, D., Koch, L., Müller-Mall, S., Münkler, M., Scharloth, J., Schrage, D., & Schwerhoff, G. (2017). Invektivität - Perspektiven eines
     neuen Forschungsprogramms in den Kulturund Sozialwissenschaften. Kulturwissenschaftliche Zeitschrift, 1(1), 2-24.
FRA – Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. (2014). Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung.
     Amt für Veröffentlichungen.
Hornscheidt, L., Lichtenstein, S., & Müller-Schwefe, M. (2019). Sprachgewalt erkennen und sprachhandelnd verändern. Sukultur.
Janich, N. (2019). Sprache und Moral: Vom guten Sprechen als gutem Handeln. In G. Antos, T. Niehr, & J. Spitzmüller. Handbuch
    
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Kiank, A.-M., Matthieu, M., & Wank, H. (2019). Sprache und Diskriminierung. TU Dresden.
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     Die Grammatik sprachlicher Missachtung. Transcript.
Meier-Vieracker, S. (2019). Sprache und Diskriminierung. Dokumentation eines Seminarprojekts. TU Dresden.
Mischitz, V., von Usslar, M., & Stajić, O. (2021). Femizide: Wie Medien Frauenmorde verharmlosen. der standard.
Petersen, L.-E., & Six, B. (2008). Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung : Theorien, Befunde und Interventionen. Beltz PVU.
Rössler, B. (2021). „Weil sie Frauen sind“ – Die dramatische Lage der Femizide in Österreich. Treffpunkteuropa.de.
Savignyvon, E., & Austin, J. (2005). Zur Theorie der Sprechakte. Reclam.
Schiewe, J. (2019). Sprache und Aufklärung. Sprachreflexion und Sprachbewertung als Mittel zum Zweck gesellschaftlicher
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Tereick, J. (2019). Sprache und Diskriminierung: Soziale Ungleichheit als Gegenstand emanzipatorischer Sprachpolitik. In Antos, G.,
     Niehr, T., & Spitzmüller, J. Handbuch Sprache im Urteil der Öffentlichkeit. De Gruyter, 383-399.
The United Nations Development Programme. (2020). Tackling social norms. A game changer for gender inequalities.
Wetzstein, I. (2021). Femizide: Wie Medien Frauenmorde verharmlosen.
Wippermann, C. (2020). Sexismus im Alltag. Wahrnehmungen und Haltungen der deutschen Bevölkerung.
Wolf, B. (2021). Gewalt an Frauen* und mitbetroffene Kinder im Medienkontext.

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