Die koloniale Epoche endete in den 1960er Jahren mit der Unabhängigkeit der meisten durch europäische Mächte kolonisierten Nationen. Was folgte ist das Zeitalter des Neokolonialismus, dessen Dynamiken sich oftmals unter der Oberfläche abspielen und folglich weniger in der Öffentlichkeit thematisiert werden.
Vor allem zwischen Frankreich und seinen ehemaligen Kolonialgebieten im subsaharischen Afrika bestehen solche Beziehungen seit der offiziellen Entkolonialisierung in den 50er und 60er Jahren bis heute. Das heutige französische Einflussgebiet in Afrika ist geprägt von politischer Instabilität, Armut und Versorgungsmangel, obwohl dort die wertvollsten und seltensten Schätze aus der Erde befördert werden.
Die Unzufriedenheit mit der französischen Einflussnahme wurde in den letzten Jahren immer stärker, nicht umsonst fanden die meisten Putschversuche der letzten 33 Jahre in Afrika in ehemaligen französischen Kolonialgebieten statt. Auch der nigrische Putsch im Juli 2023 war begleitet von anti-französischer Rhetorik und Demonstrationen und endete vorerst im militärischen Schulterschluss von Mali und Burkina Faso, zwei ehemalige Mitglieder der französischen Einflusssphäre, in denen die pro-französischen Regierungen 2021 beziehungsweise 2022 durch Staatsstreiche ersetzt worden waren. Folgender Artikel zielt darauf ab, die neokoloniale Politik Frankreichs in seinen ehemaligen Kolonialgebieten im subsaharischen Afrika und deren Folgen nachzuzeichnen.
Von der Entkolonialisierung zum Neokolonialismus
Die UN-Resolution 1514 aus dem Jahre 1960 bestimmte die Unabhängigkeit aller Länder und Völker unter kolonialer Herrschaft und wurde ohne Gegenstimmen von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Dadurch erlangten 18 afrikanische Länder in jenem Jahr die Unabhängigkeit, wovon 14 vormals unter französischer Herrschaft standen. Diese befinden sich zum größten Teil in West- und Zentralafrika.
Ehemaliges französisches Kolonialreich, die „Françafrique“-Staaten entsprechen zum größten Teil der 1960 unabhängig gewordenen Staaten (Quelle: DW)
Die Regierung Charles de Gaulles bemühte sich anschließend, die betroffenen Staaten an Frankreich zu binden, um französische Großmacht-Interessen zu wahren. Dieses neokoloniale Konzept ist bekannt unter dem Namen „Françafrique“ und beinhaltet den Abschluss bilateraler Verträge zwischen Frankreich und seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien, die dem ehemaligen Kolonialherren exklusive Rechte verliehen und den ehemals Kolonialisierten gewisse Pflichten auferlegten. Die Staatsoberhäupter der afrikanischen Staaten bekamen im Gegenzug finanzielle und militärische Hilfe (Andjembe et al., 2022).
Unter diese Rechte und Pflichten fallen unter anderem das Vorkaufsrecht Frankreichs für alle Rohstoffe, die auf dem Gebiet der Françafrique-Staaten gefunden werden, das Recht militärisch einzugreifen, wenn französische Interessen bedroht sind, die Einführung des CFA-Franc, der von allen teilnehmenden Staaten benutzt werden musste, und die Verpflichtung Französisch als offizielle Sprache beizubehalten (Medushevskiy & Shishkina, 2022). Viele afrikanische Staatsoberhäupter versprachen sich damals mehr von einer kontinuierlichen Zusammenarbeit mit einer Macht wie Frankreich als unbedingter Unabhängigkeit ohne Unterstützung im Notfall.
Solche Praktiken fallen unter den Begriff des Neokolonialismus, der erstmals vom ersten ghanaischen Staatspräsidenten Kwame Nkrumah formuliert wurde. Er beschrieb Neokolonialismus als Erlangung der formellen Unabhängigkeit, jedoch ohne praktische Souveränität, wegen einer fortwährenden Fremdbestimmung von Wirtschaft, Politik und natürlicher Ressourcen (Nkrumah, 1965).
Frankreich tut dies gezielt seit der Mitte des 20. Jahrhunderts auf dem afrikanischen Kontinent, um seinen Status als Großmacht beizubehalten und so viel Profit wie möglich aus den afrikanischen Ländern zu ziehen. Alle ehemaligen afrikanischen Kolonien Frankreichs stimmten den Bedingungen einer aufgelockerten Föderation mit Frankreich, anstelle sofortiger Unabhängigkeit, im Jahr 1958 zu, abgesehen von Guinea unter Präsident Sékou Touré (Andjembe et al. 2022).
Anschließend statuierte De Gaulles Regierung ein Exempel an dem kleinen Staat, indem sie ihr Möglichstes unternahm, die guineische Wirtschaft zu sabotieren. Frankreich brach jegliche Handelsbeziehungen zu Guinea ab und die abziehenden französischen Truppen zerstörten öffentliche Infrastruktur und Gebäude wie Büros, Grundschulen, Forschungsinstitute, Straßen, Eisenbahngleise und entsorgten sogar Medikamente und Nahrungsreserven. (Andjembe et al., 2022).
Der CFA-Franc als neokoloniales Mittel
Eine der offensichtlichsten neokolonialen Strategien Frankreichs ist die Einführung des sogenannten „CFA-Franc“, der 1958 von 13 subsaharischen Staaten adoptiert wurde und bis heute in 14 Staaten weiterhin genutzt wird. „CFA“ steht für „Colonies Francaises Africaines“, zu Deutsch „Französische Kolonien Afrikas“, was bereits auf den neokolonialen Charakter dieser Währung deutet.
Der CFA-Franc war an den französischen Franc und ist heute an den Euro gebunden, was der Währung eine fixe Konvertierbarkeit zu einer „starken“ Währung garantiert. Jedoch verleiht der CFA-Franc Frankreich eine außergewöhnliche Kontrolle über die Wirtschaft der Nutzerstaaten: In den Verwaltungsräten der CFA-Banken sitzen französische Verwaltungsräte, die französische Interessen vertreten und durch Veto-Recht jede unabhängige Finanzpolitik der ehemaligen Kolonien behindern können (Pérez, 2022).
Die CFA-Franc-Zone im Jahr 2023, aufgeteilt in die jeweilig zusammengehörigen Wirtschaftsunionen BEAC (blau) und BCEAO (grün)
Im Jahr 1994 beschloss die Banque de France ohne Konsultation mit den CFA-Banken die Abwertung des CFA-Franc gegenüber dem französischen Franc um 50 Prozent und verkündete dies den Nutzerstaaten, die diese Entscheidung hinnehmen mussten (Pérez, 2022).
Hinzu kommt, dass 65 Prozent aller Währungsreserven der CFA-Staaten bei der „Agence France Trésor“, einer Institution des französischen Staates, hinterlegt werden und weitere 20 Prozent für unvorhergesehene finanzielle Schwierigkeiten zurückgelegt werden müssen. Als Konsequenz haben die CFA-Staaten keinen direkten Zugriff auf 85 Prozent ihrer finanziellen Mittel und im Falle der Bedrohung französischer Interessen kann die französische Regierung diese Gelder einfrieren (Pérez, 2022).
Uranabbau im Niger
Frankreich ist seit Jahrzehnten prozentual gesehen, mit einem Anteil von etwa 63 Prozent der nationalen Stromerzeugung im Jahr 2022, weltweit führender Atomenergiehersteller (Statista, 2023). Für die Herstellung von Kernenergie ist angereichertes Uran vonnöten und das bezieht Frankreich zum größten Teil durch Importe.
Im Niger werden seit 1971 massive Uranvorkommen durch französische Firmen, hauptsächlich den staatliche Industriekonzern Areva – heute Orano – abgebaut. Im Jahr 2020 lag der französische Uranverbrauch bei 8.700 Tonnen (Statista, 2023); aus dem Niger wurden bis Ende 2016 etwa 130.000 Tonnen seit Beginn der Schürfungen durch Areva abgebaut und das Land gehört zu den fünf größten Uranproduzenten der Welt (Desquesnes & Vidal, 2020).
Diese Zahlen weisen auf eine bedeutende Abhängigkeit Frankreichs vom Niger hin, jedoch ist es neokolonialen Instrumenten zu verdanken, dass Frankreich in dieser Beziehung die Oberhand behält: Durch die 1958 abgeschlossenen Verträge besitzt Frankreich das Vorkaufsrecht für jegliche Uranvorkommen im Niger und bezahlt deutlich weniger, als der Weltmarktpreis eigentlich bestimmen würde (Riesz, 2012). Währenddessen ist der Niger eines der ärmsten und unterentwickeltsten Länder der Welt und liegt im Index der menschlichen Entwicklung (HDI) auf Platz 189 von 191.
Zur Veranschaulichung dient das Beispiel der Uranvorkommen bei Imouraren im Nordwesten des Landes, das mit 200.000 Tonnen als zweitgrößtes Vorkommen der Welt gilt. Im Januar 2009 wurde das Abbaurecht an Areva vergeben, wobei der französische Konzern zwei Drittel der Anteile an der für den Abbau gegründeten AG besaß, während die nigrische Regierung das übrige Drittel bekam (Riesz, 2012).
Standort der Areva Abbaugebiete (Quelle: Aberfoyle International Security)
Frankreich profitiert also enorm von der neokolonialen Dynamik, die in den 50er Jahren etabliert wurde. Keine andere ehemalige Kolonialmacht hat einen solchen Einfluss in seinen ehemaligen Kolonialgebieten. Kritiker:innen werfen dem französischen Staat vor, sich in Komplizenschaft mit lokalen afrikanischen Eliten, weiterhin an afrikanischen Ressourcen, Märkten und Menschen mithilfe ausbeuterischer Strategien zu bereichern.
Das US-amerikanische Außenministerium bezeichnete die französische Afrikapolitik als eines der größten Hindernisse für die Entwicklung der Demokratie in Afrika. Der ehemalige Minister für wirtschaftliche Entwicklung Italiens, Luigi Di Maio, beschuldigte Frankreich im Januar 2019, Afrika immer noch zu kolonialisieren und rief die Europäische Union sogar dazu auf, Sanktionen zu erlassen, während der damals als Innenminister tätige Matteo Salvini Frankreich vorwarf, die „Françafrique“-Staaten zur Extraktion von Rohstoffen auszubeuten (Medushevskiy & Shishkina, 2022).
Aufbruch des Status quo?
Rezente Ereignisse im „Françafrique“-Gebiet weisen auf einen Wandel in den französisch-afrikanischen Beziehungen hin. Wie bereits erwähnt, fanden seit 1990 21 von 27 Staatsstreiche im subsaharischen Afrika in ehemaligen französischen Kolonien statt. Besonders in den letzten drei Jahren wurden ehemalige französische Verbündete durch Militärregierungen ersetzt: 2020 und 2021 im Mali, 2022 in Burkina Faso und 2023 in Niger und Gabun.
Besonders Mali, Niger und Burkina Faso distanzieren sich immer mehr von ihrem ehemaligen Kolonialherr und haben neben einem gegenseitigen, militärischen Beistandspakt auch Frankreich das Recht auf Stationierung seines Militärs gekündigt. Mali hat Französisch sogar als offizielle Sprache entfernt.
Die betroffene Region wird seit über einem Jahrzehnt von islamistischem Terror heimgesucht und die französische Militäroperation „Barkhane“ konnte nur geringe Erfolge verzeichnen. Mit diesem Hintergrund wenden sich die erwähnten Staaten immer mehr an Russland und die Söldnergruppe „Wagner“, die mehr und mehr als Alternative zu Frankreich gesehen werden.
Dabei zeigen Studien, dass „Wagner“ zwar militärisch erfolgreicher vorgeht, jedoch mit extremer Brutalität, die sich auch gegen Zivilbevölkerung richtet. Der Gruppe werden zahlreiche Kriegsverbrechen vorgeworfen. Zugute kommt diese Vorgehensweise den herrschenden Eliten, jedoch keineswegs den Bürger:innen.
In Zentralafrika zum Beispiel hat die Gruppe „Wagner“ die Herrschaft des Präsidenten Touadéra gesichert, die Kontrolle über Gold- und Diamantenminen übernommen und besitzt großen Einfluss im Land. In mehreren Offensiven sind laut Berichten dutzende Zivilist:innen von „Wagner“-Söldnern getötet worden (The Sentry, 2023).
Demonstrant:innen im Niger mit den Parolen „Frankreich tötet den Niger" und „Es lebe der CNSP“
Die neokoloniale Politik Frankreichs in seinen ehemaligen Kolonialgebieten im subsaharischen Afrika scheint langfristig nicht aufrechtzuerhalten zu sein. Während Militärs die pro-französischen Regierungen stürzen, demonstriert die Bevölkerung auf den Straßen mit anti-französischen Parolen.
Trotz des enormen Reichtums an Rohstoffen, können die Bürger:innen dieser Staaten kaum davon profitieren, da sie immer noch in einem ausbeuterischen System gefangen sind, durch welches sich komplizenhafte lokale Eliten bereichern, während der Großteil des Reichtums erneut in ein europäisches Land fließt.
Auch wenn die USA und Mitglieder der Europäischen Union wiederholt Kritik an diesen Umständen geäußert haben, wird zu wenig Druck auf Frankreich ausgeübt, um es zu einer Begegnung auf Augenhöhe mit afrikanischen Staaten zu bewegen (Medushevskiy & Shishkina, 2022). So bleibt die Region geprägt von Instabilität, Armut und Konflikten, während andere Akteure wie Russland oder China an Einfluss gewinnen.
Timo Vermeulen lebt und studiert in Wien. Im Oktober 2023 folgte der Abschluss des Bachelor-Studiums in Geschichte. Im Zuge seines Studiums beschäftigte er sich mit der Rolle Russlands im Syrienkrieg, der sozialhistorischen Herkunft der "Incel-Bewegung" und dem justiziellen Umgang mit NS-Verbrechern in Österreich zwischen 1945 und 1955. Aktuell befindet er sich im Masterstudium Geschichte.
Andjembe E., Elvine B., Eben, S. E.‐M., & Dalton, A. L. (2022), French Neocolonialism in
Africa: Historical Overview and Summary of Current Events, The American Journal of
economics and sociology, 81 (5), 829‐849.
Desquesnes, N. & Vidal, A. (2019), L’uranium de la Françafrique : Voyage au pays des
dunes et des becquerels. Revue itinérante d’enquête et de critique sociale, 13 (1),
188-195.
Medushevskiy, N. A. & Shishkina, A. R. (2022), Modern French Policy on the African
Continent: Transformations of a Françafrique Model. Journal of Asian and African
studies, 57 (6), 1141-1157.
Nkrumah, K. (1965). Neo-Colonialism, the Last Stage of imperialism. Nelson.
Perez, F. J. (2022), An Enduring Neocolonial Alliance: A History of the CFA Franc. The
American Journal of economics and sociology, 81 (5), 851‐887.
Riesz, J. (2012). La Françafrique. Der französische Zugriff auf afrikanische Rohstoffe am
Beispiel des Uranabbaus in Niger. In Reder, M. (Hrsg.), Kampf um Ressourcen:
Weltordnung zwischen Konkurrenz und Kooperation (S. 33-58). Kohlhammer.
The Sentry (2023). Architects of Terror: The Wagner Group’s Blueprint for State Capture
in the Central African Republic.