Waschbär im Gebüsch

Breitet sich eine fremde Art außerhalb ihrer Heimat aus, kann sie zum Problem für ganze Ökosysteme werden. Invasive Arten gelten als eine der Hauptursachen für das Artensterben.

Warum das wichtig ist: In den vergangen Jahren ist die Anzahl an invasiven Arten rasant angestiegen. Mehr als 2000 zählen Expert:innen allein in Österreich. Neu eingeschleppt, schädigen sie ganze Ökosysteme, wirken sich auf die menschliche Gesundheit aus und führen jährlich weltweit zu wirtschaftlichen Schäden in Höhe von 400 Milliarden Euro (IPBES, 2023).

Wie durch eine Banditen-Maske suchen die schwarz-braunen Knopfaugen in der Dunkelheit nach Nahrung. Insekten, Beeren, Früchte, Nüsse, Eicheln, Eier und kleine Schalentiere: Waschbären gehören zu den Allesfressern. Was sie hier in Europa finden, erinnert sie allerdings nicht immer an ihre Heimat Südamerika.

Für die Fellproduktion wurden Waschbären in den 1970er-Jahren nach Europa gebracht. Während die letzte Pelzfarm in Österreich 1998 schließen musste, sind die Waschbären geblieben. Schnell konnten sie sich vermehren und nahmen dabei immer mehr ihres neuen Lebensraums ein. Schon bald galt der Kleinbär als Konkurrenz für heimische Tierarten.

Inzwischen steht der Waschbär auf der EU-Liste der invasiven Arten. Dort finden sich gebietsfremde Arten, eingeschleppt in eine Umwelt, in der sie von Natur aus nicht vorkommen würden und in der sie zu negativen ökologischen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen führen.

Rasanter Artenanstieg

Auf dieser Liste stehen die Waschbären nicht allein. Auch der Asiatische Marienkäfer, die Rotwangen-Schmuckschildkröte und die Robinie gelten in Österreich unter Anderem als eine ernst zu nehmende Bedrohung.

Mehr 2.000 neueingeschleppte Arten gibt es hierzulande, nahezu 40.000 weltweit (Lenzner & Essl, 2023). Darunter Tiere, Pflanzen, Pilze und Mikroorganismen wie Algen, Bakterien, oder Viren. Besonders in den letzten 50 Jahren nahm die Anzahl der eingeschleppten Arten rasch zu, weiß Prof. Frank Essl. Er arbeitet als Biodiversitätsforscher an der Universität Wien: „Derzeit aktualisieren wir die Liste der nicht-heimischen Pflanzenarten in Österreich, die wir 2002 angelegt haben. Innerhalb der letzten zwei Jahrzehnten sind es bereits 50 Prozent mehr Arten geworden. Das zeigt eindeutig, wie rasant diese Ausbreitung voranschreitet“, erklärt er.

Der Grund dafür ist der Mensch selbst. Mit der Globalisierung folgte weltweiter Handel und Tourismus. Während einige Arten absichtlich als exotisches Haustier, Zier- oder Nutzpflanze eingeschleppt werden, schaffen es andere zum Beispiel im Frachtwasser von Schiffen oder versehentlich als Saatgut im Urlaubsgepäck zu uns. Doch nicht alle neu eingeschleppte Arten, sogenannte Neobiota, werden zum Problem, erklärt Essl: „Unter den tausenden Neobiota sind auch viele dabei, die keine nennenswerte, oder auch gar keine Auswirkungen haben. Aber dafür gibt es einige wenige, die massive Auswirkungen haben“, sagt Essl.

Waschbär

Das süße Aussehen täuscht: Der Waschbär ist eine Bedrohung für einheimische Arten
Pixabay/StockSnap)

Verlieren oder etablieren

Um in einer neuen Umgebung Fuß zu fassen, muss sich eine eingeschleppte Art in ihr neues Umfeld einfügen können. Nur unter bestimmten Bedingungen kann sie sich dauerhaft halten. Beispielsweise muss sie ein ausreichend großes Nahrungsangebot vorfinden, die klimatischen Bedingungen müssen passen und sie muss sich ausreichend schnell fortpflanzen können.

Knapp ein Zehntel der neu etablierten Arten gelten als so schädlich, dass sie eine ernsthafte Bedrohung für die Natur und unsere Lebensqualität darstellen. Das geht aus einem Bericht des Weltbiodiversitätsrats hervor, der erstmals die Problematik von invasiven Arten umfassend und global betrachtet (IPBES, 2023). Um das möglich zu machen, haben 86 Forscher:innen aus 49 Ländern an dem Bericht mitgearbeitet. Prof. Essl ist einer von ihnen: „Global sehen wir, dass Neobiota für 60 Prozent der ausgestorbenen Arten mitverantwortlich sind“. In 16 Prozent seien sie sogar der alleinige Auslöser. Doch warum ist das so?

Auswärts überlegen

Die Auswirkungen der Neobiota auf die heimischen Arten sind vielschichtig. Sie konkurrieren um Ressourcen wie Wasser, Nahrung, Lebensraum oder Licht. Oft bringen sie dabei Eigenschaften mit, durch welche sie heimischen Arten überlegen sind. Das kann zum Beispiel eine clevere Fortpflanzungsstrategie sein, wie im Falle des drüsigen Springkrauts. Prallen dessen Früchte auf den Boden, springen die Samen in die verschiedensten Richtungen und können sich so weit verteilen. Dort wuchert das Kraut so groß, dass es einheimische Pflanzenarten samt ihrer Bewohner verdrängt.

Ein anderer Vorteil kann eine hohe Mobilität sein, wie beim nordamerikanischen Ochsenfrosch, der sich besonders im Südwesten Deutschlands ausbreitet. Er kann große Strecken zurücklegen und sich in verschiedenen Gewässertypen ansiedeln. Auch im Kampf um Nahrung ist er seinen heimischen Artgenossen überlegen: „Aufgrund seiner enormen Größe verspeist er auch Fische, Regenwürmer, Schnecken und sogar die eigenen Artgenossen. Ein Weibchen legt circa 20.000 Eier. Dadurch kann er sich explosionsartig ausbreiten.“, heißt es auf der Internetseite des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. Fressfeinde, wie Bussarde oder Wasserschlangen, hat der Ochsenfrosch in Deutschland nicht.

Heimischen Arten fehlt es nicht selten an Abwehrmechanismen gegen die Neobiota, wie auch gegen mit eingeschleppte Krankheiten. Als Überträger der Krebspest gefährdet so der invasive Signalkrebs heimische Edelkrebse in Europa. Ihm selbst kann die Pilzinfektion nichts anhaben, er ist teilresistent. Das bedeutet, er kann den tödlichen Pilz zwar übertragen, aber nicht selbst erkranken. Ein solcher Abwehrmechanismus fehlt dem europäischen Edelkrebs. Steckt er sich mit der Pest an, verstirbt er daran innerhalb der nächsten zwei Wochen. Die Krebspest gilt aus diesem Grund als die gefährlichste Infektionskrankheit für europäische Flusskrebse und könnte sogar die Ausrottung des Edelkrebses verschulden.

Um auf die Gefahr, die von dem invasiven Signalkrebs ausgeht, aufmerksam zu machen, wurde er vom Naturschutzbund Österreich zum Alien des Jahres 2023 gekürt. „Außerdem sollen so die Bestrebungen gegen die Verbreitung dieser invasiven Art vorangetrieben werden“, heißt es in der Pressemitteilung des Vereins.

Heißer, schneller, weiter

Wie auch der Signalkrebs fühlen sich viele invasive Arten in warmen Gebieten besonders wohl. „Der Klimawandel begünstigt einerseits die Ausbreitung anpassungsfähiger Neobiota. Wohingegen er für viele einheimischen Arten Probleme mit sich bringt“, ordnet Prof. Essl ein.

Gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam konnte er den Klimawandel als einen der Hauptgründe für die Ausbreitung von Neobiota identifizieren. In Ihrer Studie dazu schreiben die Wissenschaftler*innen: „Der Klimawandel und die damit verbundenen Veränderungen der Jahresdurchschnittstemperaturen, der Niederschläge sowie des Auftretens und Ausmaßes von Extremereignissen werden zweifellos die Auswirkungen biologischer Invasionen auf die biologische Vielfalt in der Zukunft beeinflussen“ (Essl, et al., 2020).

Während der Klimawandel für die heimischen Arten schneller kommt, als ihre genetische Entwicklung sich von Generation zu Generation anpassen kann, bringen manche Exoten eine solche Anpassung oft bereits mit. So zeigt sich, dass die meisten Neobiota wärmeliebend sind. Laut Prognose werden unter anderem Insekten mit einer solchen Eigenschaft zu den „Gewinnern des Klimawandels“ gehören (Staak, 2018). Mit im Gepäck haben sie dabei potenzielle Gefahren für die menschliche Gesundheit.

Gesundheitsgefahr

Während Krankheiten wie Dengue-Fieber oder Malaria lange Zeit in vielen Regionen der Welt keine Gefahr darstellten, könnten invasive Überträger wie die Asiatische Tigermücke Krankheitserreger zukünftig verstärkt auch nach Europa bringen. Seit den 1990er Jahren breitet sich die Mücke in Italien, Griechenland und Frankreich bereits aus. Die steigenden Temperaturen als Folge der Klimakrise treiben das Insekt samt der Erreger immer weiter in den Norden Europas. Und auch invasive Säugetierarten gelten als Überträger potenzieller Krankheitserreger. So bewirtet der Waschbär mehr als 30 verschiedene Krankheitserreger, von denen bekannt ist, dass sie auf den Mensch überwechseln können.

Wer auch im späten Herbst noch von Heuschnupfen geplagt wird, der könnte an den Folgen der Ausbreitung der Beifuß-Ambrosie, auch Ragweed genannt, leiden. In Österreich blüht es von August bis September, sodass ihr Pollenflug die Heuschnupfen-Saison um bis zu zwei Monate verlängert. Bis in den Oktober konnten bereits relevante Pollenkonzentrationen der invasiven Art gemessen werden (ragweedfinder.de). Allein in der Alpenrepublik belaufen sich die Kosten für die Behandlung von Allergiker:innen auf über 80 Millionen Euro.

Asiatische Tigermücke

Die Asiatische Tigermücke überträgt verschiedene Krankheiten. Durch die zunehmende Erwärmung bald auch in Europa.Pixabay / Wikilmages)

Schaden in Milliardenhöhe

Die Auswertungen des Weltbiodiversitätsrates zeigen: Die wirtschaftlichen Folgen durch invasive Arten belaufen sich auf über 400 Milliarden Euro. Damit liegen die wirtschaftlichen Verluste durch invasive Arten über jenen, welche durch Erdbeben und Überflutungen entstehen und sind um ein Vielfaches höher als die Schäden durch Dürren, Waldbrände und andere Naturkatastrophen (Turbelin, et al., 2023).

Neben den Kosten durch die Behandlung von Allergien und Krankheiten entstehen auch durch Ernteausfälle große wirtschaftliche Schäden, bedingt durch invasive Arten wie dem Maiswurzelbohrer. Sein Name ist Programm, denn der Schaden entsteht an der Wurzel der Maispflanzen. Sie sind die Leibspeise der Larven des Käfers. Immer weiter zerfressen sie die Maiswurzeln, sodass die Pflanze schon bald zu wenig Wasser und Nährstoffe aufnehmen kann. Bei Wind oder starkem Regen kann sie sich ohne ihre Wurzeln kaum noch halten, fällt um oder knickt ab. Weltweit zählt der westliche Maiswurzelbohrer daher zu den wirtschaftlich bedeutendsten Maisschädlingen.

Ragweed

Zu invasiven Arten zählen nicht nur Tiere: Auch das Ragweed breitet sich in neuen Regionen aus und kann dort für allergische Reaktionen sorgen
Pixabay / Katja_Kolumna)

Schutzmaßnahmen

Nahezu 80 Prozent der dokumentierten Auswirkungen invasiver Arten seien laut dem Weltbiodiversitätsrat negativ für den Menschen. Auch deswegen soll ihr Bericht dazu beitragen, Handlungsoptionen für die Politik zu konkretisieren. „Ein großes Potenzial besteht darin, sich die wichtigsten Einfuhrwege genau anzuschauen. Zum Beispiel bei Pflanzen den Gartenhandel, bei Insekten sind es Holzimporte und im Meer das Ballastwasser von Schiffen“, sagt Biodiversitätsforscher Essl.

Ballastwasser wird von Schiffen für die Stabilisation genutzt, um den Tiefgang zu beeinflussen oder den Schiffen beim Ein- oder Auslaufen zu helfen. Weiter führt der Experte aus: „Hier gibt es zum Beispiel schon einige sinnvolle Präventionsmaßnahmen wie die Ballastwasserkonvention oder die Holzverpackungsrichtlinie.“

Seit 2017 regelt die Ballastwasserkonvention der International Maritime Organization den Austausch und die Behandlung des Wassers. Beispielsweise darf ein Kubikmeter Ballastwasser nur weniger als zehn lebende Organismen enthalten, die größer als 50 Mikrometer sind. So soll die Verbreitung invasiver Arten minimiert werden. Dasselbe Ziel verfolgt die Holzverpackungsrichtlinie: Holz muss vor dem Import in der Europäischen Union zunächst erhitzt und im Anschluss chemisch imprägniert werden.

Solche Maßnahmen zu finden, ist Teil der EU-Verordnung zu invasiven Arten (Amtsblatt der Europäischen Union, 2014). Auf europäischer Ebene soll sie den Austausch zwischen Mitgliedsstaaten, die Kontrolle und das Management dieser von invasiven Arten regeln. „Wir sehen, dass Länder, die diese Maßnahmen bereits besonders stark umsetzten, ihre Einfuhrraten von Arten über diese Einfuhrwege deutlich senken konnten. Zum Beispiel Australien oder Neuseeland“, ordnet Prof. Essl ein.

Um die Vision, die Einfuhr und die Ausbreitung vollständig zu unterbinden, aber zu realisieren, brauche es laut Essl ein Bündel an weiteren Maßnahmen auf EU-Ebene. „Wir müssen die Umsetzung weiter verbessern. Bislang fehlt es häufig an Ressourcen, an Bewusstsein und somit auch noch an Commitment.“

Forschung für eine invasionslose Zukunft

Um politisch einen Fortschritt im Schutz vor invasiven Arten zu machen, beurteilt Essl die Forschung als einen wesentlichen Aspekt: „Wir haben mit unserer Forschung viele neue Erkenntnisse geliefert. Diese waren auch eine wesentliche Grundlage für die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Ohne diese Forschungsergebnisse gäbe es keine EU-Verordnung zu invasiven Arten. Ganz eindeutig.“

Um effizient gegen invasive Arten vorzugehen, präventive Maßnahmen zu entwickeln und zu implementieren, ist ein geschärftes Wissen über die Verbreitungswege der Arten notwendig. Aus den Fehlern der Vergangenheit muss dabei gelernt werden. Nicht zuletzt symbolisiert dies auch der Waschbär, bei seinem nächtlichen Streifzug durch die europäischen Wälder.

Amtsblatt der Europäischen Union. (22. Oktober 2014). Abgerufen am 16. Oktober 2023.
Carlson, C., Dougherty, E., & Et al. (2017). Parasite biodiversity faces extinction and
     redistribution in a changing climate. Scientific American, 7(3), 62-69.
Essl, F., Lenzner, B., & et al. (2020). Drivers of future alien species impacts: An
     expert-based assessment.Wiley, 4651-5343
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     Summary for Policymakers
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Lenzner, B., & Essl, F. (2023). Invasive Arten bedrohen die globale Vielfalt und
     Nahrungsgrundlage
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Staak, A. (2018). Klimawandel und Biodiversität. Helmholtz Zentrum für
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Turbelin, A., Cuthbert, R., Essl, F., Haubrock, P., Ricciardi, A., & Courchamp, F. (2023).
     Biological invasions are as costly as natural hazards. Perspectives in Ecology and
     Conservation, 21
(2), 143-150.

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