Wir befüllen den Kopf mit Inhalten

Während der Schul- und Studienzeit fragen wir uns vor Prüfungen oft: Wie soll der ganze Stoff bloß in unseren Kopf? Welche Lernmethoden helfen wirklich? Wie hilfreich ist die Theorie der "Lerntypen"? Dieser Beitrag geht diesen Fragen auf den Grund. Kein Grund also, vor der nächsten Prüfung zu verzweifeln!

Ein neues Semester startet und somit kehren viele Schüler:innen und Student:innen wieder in ihren Lernalltag zurück. Damit unweigerlich verbunden sind frühes Aufstehen, Hausaufgaben erledigen und - last but not least – Lernen. Lernen kann Spaß machen, aber auch sehr anstrengend und frustrierend sein, wenn der Lernstoff einfach nicht im Kopf bleiben will. Deswegen beschäftigen sich Wissenschaftler:innen seit Jahrzehnten mit der Frage, wie wir am besten lernen. Ein vielversprechender Ansatz schienen Lernstile und die damit verbundenen Lerntypen zu sein. Mit Sicherheit hatten die Urheber:innen dieses Ansatzes keine bösen Hintergedanken, als sie ihre Theorien dazu aufstellten. Doch die unreflektierte Weitergabe des Halbwissens rund um Lerntypen hat bis heute falsches Lernen und hohe Kosten zur Folge .

Was wir aus der Schule mitbekommen

In der Schule wird vielen von uns beigebracht, dass es vier Lerntypen gibt: den visuellen, auditiven, lesenden/schreibenden und den kinästhetischen (engl. VARK = visual, auditory, reading/writing, and kinesthetic; Fleming & Mills, 1992). Die Theorie dahinter nimmt an, dass wir mit manchen Lernunterlagen erfolgreicher sind als mit anderen, je nachdem, welchem Lerntyp wir uns zuordnen.

Eine visuelle Schülerin tut sich demnach leichter, ein Thema zu begreifen, wenn ihr dessen Inhalt als Diagramm oder Graphik dargestellt wird, als den Inhalt in einem Text zu lesen. Eine Schülerin mit auditivem Lerntyp hingegen würde es vorziehen, den Lernstoff erzählt zu bekommen. Für kinästhetische Schüler:innen ist es am besten am Modell zu arbeiten, beispielsweise einen Frosch zu sezieren.

Demzufolge wäre es für die Vermittlung von Inhalten wichtig, wenn Lehrer:innen unterschiedliche Materialien, abhängig von den Lerntypen ihrer Schüler:innen, vorbereiten.

Anschließend bekommen Schüler:innen die Materialien, die ihrem Lerntyp entsprechen, ausgehändigt und optimieren somit ihren Lernerfolg. Das klingt soweit alles recht plausibel - Lerntypen werden evaluiert, das Lernmaterial wird daran angepasst und die Schüler:innen sind erfolgreicher beim Lernen, weil sie mehr Materialien haben, die sie intuitiv begreifen, und weniger, die ihnen nicht liegen. Nicht nur im Schulsystem hat sich die Theorie der Lerntypen etabliert, auch in der Wissenschaft beschäftigen sich nach wie vor viele Forscher:innen damit.

Die vier Lerntypen

Die vier Lerntypen - bekannt, aber problembehaftet

Was ist dran an den Lerntypen?

Dass sich die Theorie der Lerntypen etabliert hat und schon so lange hält, ist beachtlich – aber nicht nur im positiven Sinn. Denn es gibt kaum empirischen Belege, die diese Theorie stützen. Im Gegenteil, einige Studien finden keinen Zusammenhang zwischen Lerntyp und Lernerfolg (Husmann & O'Loughlin, 2019; Massa & Mayer, 2006).

Diejenigen Studien, die einen Zusammenhang finden, wandten experimentelle Methoden an, mit der die Gültigkeit von Lerntypen gar nicht validiert hätte werden können (Pashler et al., 2008).

Der Mythos der Lerntypen ist aber nach wie vor weit verbreitet, obwohl es keine Beweise für deren Gültigkeit gibt. Verschiedene Quellen schätzen, dass im globalen Norden 80 bis 95 Prozent der Menschen daran glauben und auch im globalen Süden sich viele damit auseinander setzen (Nancekivell et al., 2020).

Warum sich der Mythos so weit verbreiten konnte, ist jedoch ungeklärt. Die a merikanische Psychologin Shaylene Nancekivell sieht als mögliche Erklärung dafür, dass „Menschen eine gehirnbasierte Erklärung für ihr Verhalten bevorzugen und andere gerne in Typen kategorisieren. Lernstile ermöglichen ihnen beides."

Falsch lernen kostet

Der Umstand, dass Lehrpersonal und Schüler:innen an das Konzept von Lerntypen glauben, hat weitreichende Konsequenzen – von der offensichtlichen Tragik, dass Menschen Halbwissen über das Lernen an sich beigebracht wird, ganz zu schweigen.

Lehrpersonal wird bezüglich Lerntypen fortgebildet und Schüler:innen müssen Tests absolvieren, um herauszufinden, welcher Lerntyp sie sind. Auch für den angepassten Unterricht müsste das Lehrpersonal aufgestockt werden bzw. das vorhandene müsste zusätzliche Stunden leisten (Pashler et al., 2008). Diese Interventionen sind allesamt kostenintensiv.

Ein weiterer Nachteil ist, dass Schüler:innen ihrer möglichen Weiterentwicklung limitiert werden, etwa durch selbsterfüllende Prophezeiungen. Beispielsweise könnte sich ein Schüler mit dem ihm zugeordneten Lerntyp identifizieren und sich anschließend dazu verpflichtet fühlen, sich auch dementsprechend zu verhalten. Die Folge wäre mangelnde Aufgeschlossenheit gegenüber Materialien, die nicht dem eigenen Lerntyp entsprechen und somit fehlende Auseinandersetzung mit unterschiedlichen sensorischen Reizen.

So lernst du richtig

Die Forschung hat bis heute nicht gezeigt, dass Menschen auf unterschiedliche Arten lernen, zumindest nicht so wie es die Theorie der Lerntypen behauptet. Daraus ergibt sich die brennende Frage: Wie lernen wir dann am besten?

Eine kürzlich, in der renommierten Fachzeitschrift Neuropsychology, erschienene Metaanalyse von Winston Jones und Kollegen (2021) kam zu dem Schluss, dass Mnemotechniken und kognitives Training sehr effiziente Lernstrategien sind.

Während Mnemotechniken gut dafür geeignet sind, Lernstoff im Gedächtnis zu behalten, fördert kognitives Training die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns im Allgemeinen. Die Metaanalyse zeigt auch, dass es nicht immer zu besseren Resultaten führt, wenn du verschiedene Lernstrategien bei einem bestimmten Thema kombinierst.

Willst du unterschiedliche Lernstrategien ausprobieren, dann versuche es bei verschiedenen Prüfungen. Du könntest etwa Mnemotechniken für eine Geschichtsprüfung verwenden und als Vorbereitung für die Matheprüfung Probleme in Gruppen lösen. Begrenze dich aber nicht auf die Methoden, die deinem Lerntyp entsprechen. Das spart dir Zeit und wirkt sich positiv auf deine Note aus.

Fleming, N. D., & Mills, C. (1992). Not another inventory, rather a catalyst for reflection.
     To improve the academy, 11(1), 137-155.
Husmann, P. R., & O'Loughlin, V. D. (2019). Another nail in the coffin for learning
     styles? Disparities among undergraduate anatomy students’ study strategies, class
     performance, and reported VARK learning styles. Anatomical sciences education, 12(1),
     6-19.
Jones, W. E., Benge, J. F., & Scullin, M. K. (2021). Preserving prospective memory in daily
     life: A systematic review and meta-analysis of mnemonic strategy, cognitive training,
     external memory aid, and combination interventions. Neuropsychology, 35(1), 123.
Massa, L. J., & Mayer, R. E. (2006). Testing the ATI hypothesis: Should multimedia
     instruction accommodate verbalizer-visualizer cognitive style?. Learning and Individual
     Differences, 16(4), 321-335.
Nancekivell, S. E., Shah, P., & Gelman, S. A. (2020). Maybe they’re born with it, or maybe
     it’s experience: Toward a deeper understanding of the learning style myth. Journal of
     Educational Psychology, 112(2), 221.
Pashler, H., McDaniel, M., Rohrer, D., & Bjork, R. (2008). Learning styles: Concepts and
     evidence. Psychological science in the public interest, 9(3), 105-119.

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