Liniendiagramm_1

Die Anzahl der Entlehnungen an öffentlichen Büchereien steigt – das ist ein Fakt. Doch wie stark steigt sie? Unterschiedliche Grafiken scheinen darauf unterschiedliche Antworten zu geben – obwohl sie mit denselben Daten arbeiten. Wie das sein kann, erfährst du in unserem ersten Artikel der Reihe alexandria erklärt, in der wir dir zeigen, wie du Statistiken und Grafiken richtig interpretieren kannst.

Wie werden uns Daten präsentiert?

Daten, Daten, Daten. Täglich werden wir in den Nachrichten und Zeitungen damit überschwemmt. Zu fast jedem Thema werden uns etliche Zahlen und Grafiken gezeigt. Einige mögen das, andere können damit nicht viel anfangen. Aber wir denken nur selten darüber nach, wie uns diese Daten präsentiert werden. Wir vertrauen einfach diesen Linien, Balken und bunten Tortendiagrammen. Ist das klug?
Um diese Fragen und einige andere, die du dir wahrscheinlich noch nie gestellt hast, zu klären, haben wir die Reihe alexandria erklärt für dich vorbereitet. 
Im ersten Teil dieser Reihe erklärt dir unser Chefredakteur Christian Bauer, wie Daten in einem Liniendiagramm dargestellt werden können. Einen großen Teil seines Psychologiestudiums verbrachte er in der Welt der Statistik. Und die ist viel faszinierender, als es auf den ersten Blick aussieht. 

Offensichtlich wächst der Wissensdrang: Insgesamt wurden in den letzten Jahren immer mehr Bücher in öffentlichen Büchereien ausgeliehen. Die Daten sind erhoben worden, jetzt gilt es, sie visuell aufzubereiten, damit sie leicht verständlich auf einen Blick erfassbar sind. Man wählt das Liniendiagramm als Darstellungsform. Und plötzlich stutzt man: Warum scheint es im ersten Diagramm einen sprunghaften Anstieg von Entlehnungen gegeben zu haben, während der Anstieg im zweiten Diagramm viel schleppender voran geht? 
Die beiden Diagramme in Abbildung 1 basieren auf denselben Daten, vermitteln uns allerdings unterschiedliche Eindrücke. Wie kann das sein?

Liniendiagramm_1

Abbildung 1: Die Diagramme zeigen die Entlehnungen an öffentlichen Büchereien von 2013 bis 2018 in Millionen: Dieselben Daten mit unterschiedlichen Linien

Während das linke Diagramm einen deutlichen Anstieg zeigt, ist beim rechten nur ein kaum merkbarer Knick zu sehen, obwohl in beiden Fällen die Entlehnungen von 2017 auf 2018 um 4,3% steigen. In diesem Fall gelingt das durch die Auswahl von zwei unterschiedlichen Skalierungen auf den vertikalen Achsen (den y-Achsen) der Diagramme. Während die y-Achse im linken Diagramm von 20 bis 25 reicht, beginnt die y-Achse im rechten Diagramm bei 0 und geht bis 30. Dadurch ist eine Einheit auf der y-Achse im linken Diagramm höher als im rechten.

Liniendiagramm_2

Abbildung 2: Die Skalierungen sind entscheidend

Dadurch entsteht die Illusion, das linke Diagramm zeige spektakulärere Ergebnisse als das rechte. Das ist auf zwei Eigenschaften der y-Achsen, die durch die unterschiedlichen Skalierungen entstehen, zurückzuführen. Erstens startet die y-Achse im linken Diagramm bei zwanzig, was uns täuscht, da wir üblicherweise davon ausgehen, dass Achsen in einem Koordinatensystem beim Nullpunkt starten. Es entsteht der Eindruck, dass die Zahlen (in diesem Fall der Entlehnungen) von einem viel niedrigeren Ausgangsniveau starten als es tatsächlich der Fall ist. Und zweitens ist die Reichweite (Range) im rechten Diagramm 6-mal größer als im linken. Durch diese Stauchung wirken Effekte kleiner.

Fazit: Achte auf die Skalierungen!

Die gleichen Daten können durch unterschiedliche Darbietungen andere Aussagen vermitteln. Im oben beschriebenen Beispiel täuscht uns das linke Diagramm, während das rechte Diagramm die Veränderungen weniger verfälscht abbildet – aber dafür auch weniger spektakulär aussieht.
Es ist wichtig, bei Grafiken genau auf die Skalierung der Achsen zu schauen. Auch die Werte der x-Achse können verfälscht dargeboten werden. In der Praxis kann das zur Bestätigung der eigenen Interessen benutzt werden. Möchte ich den Eindruck erwecken, dass die Entlehnungen in öffentlichen Büchereien stark gestiegen sind, dann würde ich mich für das linke Diagramm entscheiden – das aber täuscht über den wahren Anstieg von Entlehnungen. Die Steigung um 4,3% sollte so neutral wie möglich dargeboten werden.
Die Wahl der Darstellung hängt also oft auch mit persönlichen Interessen zusammen und kann Leser:innen eine falsche Vorstellung vermitteln, wenn sie nur einen schnellen Blick darauf werfen – was heute meist geschieht. Egal ob es um Entlehnungen von Büchern, Corona-Patient:innen, Wahlergebnisse oder Erderwärmung geht – achte auf die Skalierungen der x- und y-Achsen, um nicht von einer Verzerrung wie hier getäuscht zu werden. 

Im nächsten Teil unserer Reihe schreiben wir über Tortendiagramme - warum sie zwar schmackhaft klingen, aber meistens nicht geeignet sind die Realität abzubilden.

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