Die Erde taut auf

Der Treibhauseffekt hat schlechte Presse, und das zurecht: Von Menschen freigesetzte Gase heizen das Klima weltweit an – mit teils katastrophalen Auswirkungen. Jedoch gäbe es ganz ohne Erderwärmung kein Leben auf unserem Planeten. Eine Geraderückung.

Dieser Artikel ist Teil des alexandria-Themenschwerpunkts Wie wir uns warm halten. Dabei wollen wir euch wichtige und auch überraschende Sichtweisen aus der Wissenschaft näherbringen.

Warum das wichtig ist: Hitzesommer, Dürren und Extremwetterereignisse lassen uns beinahe vergessen, dass der Treibhauseffekt für eine angenehme Temperatur auf der Erde sorgt – eine Temperatur, die die Menschheit zurzeit aktiv beeinflusst. Wie sensibel das Klima auf Veränderungen reagieren kann, zeigt uns die Vergangenheit: Mehrere Male verschwand ein großer Teil des Planeten unter einem Eispanzer und wurde zum Schneeball Erde. Die Klimageschichte und der Blick ins All verdeutlichen die Fragilität eines Klimas, das wir für unsere Nachkommen bewahren müssen.

Sind wir allein, in diesem großen, vielleicht unendlich großen All? Kann es nicht sein, dass sich auf einer der unzähligen Welten, die um fremde Sonnen ihre Bahnen ziehen, ein anderer diese Frage stellt? Oder zumindest, dass dort ein unterirdischer Ozean Wiege – vielleicht primitiver – Lebensformen ist, so wie es unsere Meere für unser Leben waren? Bisher muss die Astronomie diese Fragen auf später vertagen, wenn genauere Messungen und Sonden mehr Licht in die Sache bringen werden. Einstweilen blickt die Menschheit in ein bei aller Schönheit lebloses All.

Dabei sind einige der mittlerweile tausenden bekannten Exoplaneten in der habitablen Zone ihrer jeweiligen Sterne. Das bedeutet, dass sie ihren Stern in einer Entfernung umkreisen, die flüssiges Wasser auf der Planetenoberfläche erlaubt, was als Bedingung für erdähnliches Leben angesehen wird. Doch anscheinend reicht das für Leben nicht aus, denn es fehlt etwas Entscheidendes: eine Atmosphäre und der passende Treibhauseffekt. Für diese Einsicht müssen wir Erdlinge nur unsere planetaren Nachbarn betrachten: Mars und Venus liegen beide mehr oder weniger in der habitablen Zone der Sonne – doch von Leben keine Spur.

Atmosphäre? Ja, aber ...

Es ist einleuchtend, dass eine Atmosphäre für Leben wichtig ist, doch nicht nur, weil sie aus Gasen besteht, die Organismen für ihren Stoffwechsel brauchen: Wie eine Decke legt sich die Gasschicht zwischen Oberfläche und Weltraum. Es ist letztlich diese vergleichsweise hauchdünne Schicht, die uns auf der Erde warmhält. Wie würde unser Planet ohne Atmosphäre aussehen? „Das ist eine Rechnung aus der dritten Meteorologie-Vorlesung: Ohne Atmosphäre hätte die Erde eine Oberflächentemperatur von minus 18 Grad Celsius“, sagt Aiko Voigt, Professor für Klimawissenschaften an der Universität Wien, im alexandria-Gespräch.

„Nicht kälter?“, ist man versucht zu fragen, immerhin beträgt die Temperatur des Alls im Schnitt -270,5 Grad Celsius. Doch die Erde nimmt genügend Sonnenstrahlen auf, um sich über diesen Wert hinaus zu erwärmen. Ohne Atmosphäre jedoch gäbe der Planet die Wärme postwendend wieder ab: Als elektromagnetische Strahlung verließe die Energie die Erde und wäre verloren. Genau hier setzt die Schutzwirkung der Gashülle ein. Auf ihren Weg von der Erde zurück ins All trifft die Wärmestrahlung auf unsere wichtigsten Verbündeten: die Treibhausgase.

Der Treibhauseffekt

Die Atmosphäre verhindert, dass die Wärme der Sonnenstrahlen wieder ins All entweicht

Darunter verstehen Fachleute Gase unserer Atmosphäre, die die langwellige Wärmestrahlung der Erdoberfläche aufnehmen und zurück auf die Erde abstrahlen. Während also die kurzwelligen Sonnenstrahlen ungehindert durch die Atmosphäre kommen, verhindern die Treibhausgase, dass die gesamte Energie wieder abgegeben wird – es kommt zum Wärmestau. Zu den Treibhausgasen gehören zunächst Kohlendioxid, aber auch Methan, das etwa 25-mal so effektiv Wärme auf der Erde halten kann, oder Wasserdampf.

In Zeiten der Klimakrise scheint es, als wären CO₂, Methan und Co. die Erzfeinde der Menschheit. Doch es sind diese Moleküle, die entscheidend für das Klima auf Erden sind: „Der Treibhauseffekt gibt etwa ein Temperaturplus von 33 Grad“, sagt Voigt. Dieser Wert ist groß genug, um Leben auf der Erde zu ermöglichen, und niedrig genug, um es nicht zu zerstören. Denn wie ein Blick auf die Venus zeigt, kann der Treibhauseffekt Planeten auch in eine Gluthölle verwandeln.

... bitte nicht zu viel!

Während der kleine Mars keine nennenswerte Atmosphäre an sich binden kann und zur kalten Einöde verkam, sorgt auf der Venus ein außer Kontrolle geratener Treibhauseffekt für höllische Temperaturen: Auf den pockennarbigen Vulkanebenen des Planeten herrschen rund 450 Grad Celsius – genug, um Blei zu schmelzen. Kein Wunder, umfängt die Venus doch ein Wolkenschleier aus Schwefelsäuredampf, der die beinahe gänzlich aus Kohlendioxid bestehende Atmosphäre verhüllt.

„Die Venus ist in einem Zustand, in dem eine Erhöhung der Temperatur keine verbesserte Aussendung der thermischen Strahlung in den Weltraum ermöglicht. Dann entkoppelt sich die Temperatur des Bodens von der einfallenden Sonnenstrahlung – das ist Game over“, erklärt Voigt. Ein solcher Treibhauseffekt ist der Entstehung von Leben genauso abträglich wie gar keiner.

Der Planet Venus mit Wolkenbändern

Auf dem Planeten Venus herrschen höllische Temperaturen

Wie gut, dass unser Planet den richtigen Grad an Erderwärmung besitzt – einen Zustand, den die Menschheit gerade ändert. Durch die enormen Mengen an fossilen Kohlenstoff, den wir seit der Industrialisierung in Form von CO₂ in die Atmosphäre blasen, verändern wir das Klima rapide: „Dabei besorgt mich vor allem die Rate, mit der die Veränderung geschieht. Unsere Infrastruktur, und vor allem Ökosysteme, können sich nicht so rasch anpassen“, sagt Voigt. Geht unsere Reise also in Richtung Venus?

Weltweiter Kälteeinbruch

„Nein, denn bei uns funktioniert die thermische Abstrahlung ins All zu gut, als dass wir solche Bedingungen erreichen könnten“, stellt Voigt klar. „Selbst wenn wir also CO₂-Konzentrationen in unserer Atmosphäre hätten, die weit über dem liegen, wo wir heute hinsteuern, würden wir wohl keine Venus auf Erden heraufbeschwören. Allerdings wäre unser Planet dann zum Leben deutlich unangenehmer, nicht zuletzt infolge sozioökonomischer Verwerfungen wie Kriegen oder Klimamigration.“

Damit ist aber nicht gesagt, dass das Klima auf der Erde durch nichts aus der Bahn zu bringen ist: Vor zweieinhalb Milliarden Jahren etwa gefror unser Planet völlig. Vor so manchem inneren Auge werden nun Bilder des Eisplaneten Hoth aus den Star-Wars-Filmen vorbeiziehen, und das Bild ist nicht ganz falsch, wie Aiko Voigt erklärt: „Während einer Schneeball-Erde herrschten im globalen Durchschnitt ungefähr minus 20 bis minus 30 Grad Celsius. Diese Temperaturen nehmen wir an, um zu erklären, wie die Tropen vergletschern konnten, denn dafür haben wir geologische Beweise.“

So unvorstellbar es klingt: Damals bedeckten Eismassen den Äquator. Und wenn das Eis so weit vorrückt, dann muss bereits der gesamte Planet vergletschert sein – eben ein weißer Schneeball in der Schwärze des Alls. Doch wie kann die Wissenschaft so weit in die Vergangenheit blicken?

Drop stones

Drop Stones erlauben einen Blick weit in die Vergangenheit der Erde - und geben Aufschluss über die Veränderungen des Klimas

„Wir haben in tropischen Meeresböden Felsen gefunden, sogenannte ‚drop stones‘“, erklärt Voigt. „Diese Findlinge müssen von Gletschern aus dem Landesinneren bis ans Meer transportiert worden sein und sind dort Teil von Eisbergen geworden, die der Gletscher an der Kontinentalkante kalbte. Als die Eisberge schmolzen, sanken die Felsen auf den Grund des Meeres.“

Schneeball Erde

Mithilfe geologischer Methoden lassen sich die Herkunft und das Alter der Gletscherfelsen bestimmen – und dabei kam es gleich zur nächsten Überraschung: Unser Planet schlitterte im Laufe der Erdgeschichte mehrere Male in einen Schneeball-Zustand. Die Gründe für die Vereisungen sind nicht restlos geklärt und unterscheiden sich auch bei jedem Schneeball. Es waren wohl winzigste Lebewesen, die die Erde das erste Mal gefrieren ließen.

„Damals gab es kaum Sauerstoff in der Atmosphäre, bis sich Blaualgen entwickelten – und damit die Photosynthese! Über mehrere hundert Millionen Jahre konsumierten diese Algen Kohlendioxid und produzierten Sauerstoff, bis plötzlich genug davon da war, dass Methan in großen Mengen zu CO₂ oxidieren konnte. Da Methan ein viel stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid ist, stoppte dieser Prozess effektiv den Treibhauseffekt und die Erde wurde innerhalb von Jahrzehnten – ein geologischer Wimpernschlag – zum Schneeball“, erklärt Voigt.

War die Welt erst einmal vergletschert, dauerte es Millionen von Jahren, bis der Vulkanismus wieder genügend Treibhausgase in die Atmosphäre brachte, um die Erde aufzutauen. Und doch: In den Tiefen der eisverkrusteten Meere überdauerte das Leben solche Perioden – so wie es auch in den Eisozeanen fremder Planeten überdauern könnte.

Cyranobakterien

Winzige Lebewesen wie die Blaualge ließen die Erde vereisen

Fragiles Klima

Die Schneeball-Erde zeigt, dass schon Mikroben das Weltklima drastisch und nachhaltig verändern konnten – einen Trick, den auch wir Menschen gelernt haben. Doch anders als die Blaualgen wissen wir Bescheid, wie groß unser Einfluss auf die Erderwärmung ist.
„Wir sehen Veränderungen, wie es sie seit Millionen von Jahren nicht gegeben hat. Wir können dank Messungen und Klimamodelle auch gut vorhersehen, dass wir unsere Lebensbedingungen weiter verschlechtern, wenn wir unsere Treibhausgasemissionen nicht einschränken“, sagt Voigt.

„Dennoch glaube ich nicht, dass es einen ‚Klimakollaps‘ geben wird: Etwas so Drastisches wie eine zweite Venus oder eine Schneeball-Erde wird nicht geschehen, dagegen sprechen unsere Forschungen“, zeigt sich der Klimaforscher überzeugt. Allerdings: Selbst wenn wir weit von diesen Extrema entfernt bleiben, sind dringende, gesamtgesellschaftliche Veränderungen nötig, um das Weltklima so zu erhalten, wie es ist.

Klimawissenschaftler Aiko Vogt

Aiko Voigt forscht an der Universität Wien als Klimawissenschaftler

Die vielen verbrannten und vereisten Planeten unserer kosmischen Nachbarschaft könnten eifersüchtig sein auf unsere Atmosphäre, denn wie bereits Mars und Venus verdeutlichen, ist unsere Erderwärmung ein Geschenk, das wir nicht so einfach wegwerfen sollten. Über unseren Anstrengungen, die Klimakrise einzudämmen, dürfen wir nie vergessen, dass es letztlich der Treibhauseffekt ist, der uns in den kalten Weiten des Alls warm hält.

Aiko Voigt ist Professor für Klimawissenschaften an der Universität Wien. Der gebürtige Berliner beschäftigt sich unter anderem mit der Modellierung weltweiter Klimasysteme, der Interaktion zwischen Sonnenstrahlung und der Atmosphäre sowie mit der Schneeball-Erde.

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