Wiener Wissenswege Teil 1

Das dürfen waschechte Nerds auf Wienbesuch nicht verpassen: In drei Routen führt euch alexandria zu den mehr oder weniger versteckten Orten, an denen in Wien Wissenschaftsgeschichte geschrieben wurde – oder wird.

Dieser Beitrag ist eine Reihe des Themenschwerpunkts Wien: eine Untersuchung, in dem wir uns aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven mit der schönsten Stadt der Welt auseinandersetzen.
Außerdem ist der Beitrag Teil einer Reihe, in der wir dir wissenschaftliche Stadtspaziergänge präsentieren. Die anderen Routen findest du am Ende des Artikels.

Dass Wien für Freunde von Kunst und Musik viel zu bieten hat, das ist bekannt. Für ihren Mozart, Klimt, Schubert oder Schiele ist die Stadt weltberühmt. Doch mitunter überstrahlt der Ruf der Kulturmetropole andere Aspekte Wiens.

So war die Stadt Ende des 19. Jahrhunderts viel mehr als Walzertakt und Jugendstil: In der Begegnung unzähliger Menschen aus allen Ecken des riesigen Habsburgerreichs entfaltete sich eine ungeahnte Innovationskraft, die nicht nur die Kultur betraf, sondern auch Philosophie und Wissenschaft.

Tatsächlich wäre den gebildeten Einwohner:innen des damaligen Wien schon die Differenzierung zwischen Kunst und Wissenschaft seltsam vorgekommen, war es doch Teil des Wiener Selbstverständnisses, beides zu vereinen.

So fanden in den Salons der Ringstraße nicht nur Musikabende oder Lesungen statt, es wurde auch lebhaft über die letzten wissenschaftlichen Fortschritte diskutiert, chemische Versuche durchgeführt oder die mitunter ausufernden Herbarien oder Privatzoos bestaunt.

In der Zwischenkriegszeit, als das Rote Wien international für Aufsehen sorgte, waren es wieder Wiener:innen, die in der sich neu entwickelnden Weltordnung Bahnbrechendes leisteten und auf die Anforderungen einer neuen Gesellschaftsordnung reagierten.

Die Wiener Wissenschaft hat so einige außergewöhnliche Menschen hervorgebracht, die die Moderne an entscheidender Stelle prägten. Auf unseren drei Wiener Wissenswegen wollen wir unter anderem diesen Persönlichkeiten nachspüren und am Weg noch andere einzigartige Orte kennenlernen, die Nerd-Herzen höher schlagen lassen. Los geht’s mit der ersten Route.

Route 1: Wissensdosis für Zwischendurch

Reine Gehzeit: 30 Minuten (1,6 Kilometer)

Für unseren ersten Spaziergang treffen wir uns unweit des Gartenpalais Liechtenstein und des Lycée Français im neunten Wiener Gemeindebezirk. Versteckt in einer baumbestandenen Seitengasse der Liechtensteinstraße liegt hier die erste Station, an der ein großer Forscher seinen Lebensabend verbrachte.

Wiener Wissenswege Route 1

Der erste Wiener Wissensweg führt quer durch den 9. Wiener Bezirk - von der Pasteurgasse über die Strudlhofstiege in die Boltzmanngasse, weiter in die Währingerstraße und endet schließlich in der Mariannengasse

Station 1
Erwin Schrödingers Wohnhaus – Pasteurgasse 4

Durch das nach ihm bekannte Gedankenexperiment mit der Katze ist Erwin Schrödinger nicht nur unter Physiker:innen bekannt. Dass sein Konterfei ab 1983 den Tausend-Schilling-Schein zierte, trug maßgeblich zur Popularität des 1887 in Wien geborenen theoretischen Physikers und Mitbegründers der Quantenmechanik bei.

Mit seiner Wellengleichung schuf Schrödinger einen Eckpfeiler dieses neuen Bereichs der Physik, an dessen seltsamen Effekten und ihrer Deutung er mitunter verzweifelte. Aus diesem Ringen mit der neuen Theorie ging Schrödingers Katze hervor: Das Gedankenexperiment soll zeigen, dass die Prinzipien der Quantentheorie auf makroskopische Objekte angewandt Unsinn ergeben. Gemeinsam mit Paul Dirac erhielt Schrödinger 1933 den Nobelpreis in Physik.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschand 1938 wurde Schrödinger fristlos von seiner Stelle an der Uni Graz entlassen und ging nach Dublin. Erst in den Fünfzigern kehrte der Physiker nach Österreich zurück und lehrte ab 1956 theoretische Physik an der Uni Wien. Gleich um die Ecke der Fakultät bezog Schrödinger hier sein Domizil. Im Jahr 1961 starb Schrödinger an Tuberkulose und wurde auf den Friedhof seines geliebten Alpbachs nach Tirol überführt.

Erwin Schrödinger

Erwin Schrödinger gilt als Vater der Quantenmechanik. Er erhielt 1933 den Nobelpreis für Physik. (Quelle: Nobelpreisinstitut)

Wir folgen der Pasteurgasse, bis wir linkerhand auf eine weitere Sehenswürdigkeit stoßen: Der Strudlhofstiege hat Heimito von Doderer seinen Epochenroman gewidmet. Wir überwinden auf den malerischen Jugendstilstufen die Schotterterrasse der Donau und erreichen die Strudlhofgasse. An der nächsten Kreuzung biegen wir links in die Boltzmanngasse ab, gehen an der Fakultät für Physik vorbei und erreichen unsere zweite Station.

Station 2
Ehemaliges Radiuminstitut – Boltzmanngasse 3

Institut für Radiumforschung – so verkünden es die großen schwarzen Lettern über dem Eingang des 1910 erbauten Gebäudes. Und tatsächlich wurde hier Pionierarbeit auf dem Bereich der Kern- und Isotopenphysik geleistet: So entdeckte etwa Victor Franz Hess die Kosmische Strahlung, wofür er 1936 den Physiknobelpreis erhielt.

Es waren aber vor allem die Beiträge der weiblichen Mitglieder des Instituts, die zur Bedeutung der Einrichtung beitrugen. Marietta Blau etwa entwickelte hier ihre bildgebenden Methoden, mit denen sie nachweisen konnte, dass es Atomkerne durch kosmische Strahlen regelrecht zerreißen kann. Berta Karlik gelang die Entdeckung dreier natürlich vorkommender Isotope des Elements Astat – vorher war das Element nur synthetisch hergestellt worden.

Heute beherbergen diese historischen Hallen keine Kernphysik mehr, sondern das Institut für Quantenoptik und -information, kurz IQOQI. Der Spitzenforschung ist man aber treu geblieben, ist das Institut doch die Wirkungsstätte von Physiknobelpreisträger Anton Zeilinger.

ehemaliges Radiuminstitut

In dem ehemaligen Institut für Radiumforschung arbeiteten einige bedeutende Wissenschaftler:innen. Heute forscht hier Nobelpreisträger Anton Zeilinger.
(Quelle: Stefan Meyer Institute)

Mit der nächsten Station lassen wir die Physik hinter uns und springen auch einige Jahrhunderte zurück in der Zeit. Zunächst folgen wir der Boltzmanngasse, kommen am Denkmal für den Chemiker Carl Auer von Welsbach vorbei und queren die Währingerstraße. Gehen wir die Straße Richtung Innenstadt weiter, taucht unser nächster Halt rechts hinter imposanten Eisentoren auf.

Station 3
Jospehinum – Währingerstraße 25

Dieser imposante Prachtbau wurde von Kaiser Joseph II. ursprünglich als Akademie zur Ausbildung von Militärärzten für die österreichische Armee gebaut. Heute befindet sich hier ein Museum, aber Achtung: Die Ausstellung ist nichts für schwache Mägen, geht es im Josephinum doch um die Geschichte der Medizin.

Herzstück der Sammlung sind sicherlich die Wachsmodelle aus dem 18. Jahrhundert, die Joseph II. bei Florentiner Ärzt:innen bestellte. Über sechs Jahre hinweg in mühsamer Handarbeit gefertigt und umständlich über die Alpen nach Wien transportiert, begeistern die Exponate durch einen unglaublichen Detailreichtum und ihre akkurate Darstellung der menschlichen Anatomie.

Darüber hinaus setzt sich das Josephinum mit den medizinischen Errungenschaften Wiener Mediziner:innen auseinander, wie etwa Pionierleistungen auf dem Gebiet der künstlichen Herzen, der Erstbeschreibung von Kolibakterien durch Theodor Escherich oder die Arbeiten des Kinderarztes Hans Asperger, nach dem eine Form des Autismus benannt wurde.

Asperger verweist auf einen weiteren Aspekt der Ausstellung: Welch grausamen Folgen die Verbindung von Staatsinteressen und Medizin haben kann, davon zeugen im Josephinum etwa die unzähligen Gläser, in denen sich Gewebspräparate von Kindern befanden, die nationalsozialistische Ärzt:innen während des Zweiten Weltkriegs aus eugenischen und rassischen Gründen auf der Baumgartner Höhe ermordeten.

Josephinum

Das prunkvolle Josephinum beherbergt eine Austellung zur Geschichte der Medizin
(© Josephinum / Hertha Hurnaus)

Der Weg zu unserer letzten Station führt uns am Josephinum vorbei, nachdem wir die erste Abzweigung rechts in die Van-Swieten-Gasse nehmen. Das nach dem Leibarzt Kaiserin Maria Theresias benannte Gässchen führt uns zum Campus der Universität Wien. Das von Joseph II. als allgemeines Krankenhaus erbaute Areal beherbergt heute verschiedene Institute der Uni und lädt mit seinen begrünten Höfen zum Verweilen ein. Wir durchqueren das Gelände allerdings diagonal, um auf die Spitalgasse zu kommen. Wo die Mariannengasse von der Spitalgasse abzweigt, machen wir Halt.

Station 4
Viktor Frankl Museum – Mariannengasse 1

Im Mittelpunkt der Forschung des 1905 in Wien geborenen Neurologen und Psychiater Viktor Frankl stand der Sinn des Lebens. Nicht, dass sich Frankl irgendein höheres Ziel unseres Daseins offenbart hätte, vielmehr erkannte er bereits in sehr jungen Jahren, dass Menschen Krisen besser bewältigen können, sofern sie einen Sinn in deren Überwindung sehen.

Nach seiner Facharztausbildung sammelte Frankl am Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien Erfahrungen in der Versorgung von schwer depressiven Menschen, viele davon akut selbstmordgefährdet. Angesichts dieser Schicksale entwickelte Frankl seine Idee weiter, woraus schließlich die Logotherapie entstand, die neben der Tiefenpsychologie Sigmund Freuds und der Individualpsychologie Alfred Adlers als dritte Wiener Schule der Psychotherapie gilt.

Frankl selbst wurde von den Nazis in insgesamt vier verschiedene Konzentrationslager verschleppt – und überlebte. Seine Eindrücke verarbeitete er nach dem Zweiten Weltkrieg in seinem Buch „…trotzdem ja zum Leben sagen“, das zum Bestseller wurde. Er zeigt darin, dass dem Menschen zwar alles genommen werden kann, nicht aber die Freiheit, sich zu seiner Situation zu verhalten und daraus Stärke zu ziehen. In der Mariannengasse 1 lebte Frankl bis zu seinem Tod 1996. Seinem Werk ist hier ein kleines Museum gewidmet.

Viktor Frankl

Der Psychiater Viktor Frankl ist Begründer der Logotherapie. Ihm ist ein Museum in der Mariannengasse gewidmet. (Quelle: Prof. Dr. Franz Vesely)

Nach dieser kurzes Wissensdosis können wir in einem der zahlreichen Kaffeehäuser in der Gegend ausruhen und uns bei einem Stück Kuchen für die nächste Tour stärken, die uns in den Osten Wiens führen wird – und unter anderem quer durch Biologie, Architektur und Kernphysik.

Ihr wollt noch mehr Wissenschaft in Wien erkunden?
Hier findet ihr die Route 2 der Wiener Wissenswege.

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