Seit 2011 steht im Rahmen der Forschungsplattform (FP) „Active Ageing“ an der Universität Wien der Zusammenhang von Lebensstil und Altern im Fokus. Die Forschungsplattform ist Teil des EU-Projekts Nutri Aging (Interreg SK-AT), das zum Thema gesundes Altern und oxidativer Stress, also die Schädigung von Zellen durch radikale Sauer- und Stickstoffspezies (RONS), forscht.

Warum das wichtig ist: Die Lebenserwartung von Menschen steigt weltweit. Je besser verstanden wird, wie sich Alterungsprozesse durch den Lebensstil beeinflussen lassen, umso eher wird es möglich, bis ins hohe Alter gesund zu bleiben. Laut Studien tragen vor allem Sport, Vitamine und sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, wie man sie in verschiedenen Obst- und Gemüsesorten findet, zu einem gesunden Altern bei.

Der Einfluss von Nahrung auf das Altern

Mit steigender Lebenserwartung nehmen auch altersassoziierte Erkrankungen wie Diabetes Mellitus Typ 2, Demenz, sowie Krebs und Herz-Kreislauferkrankungen zu (Liguori et al., 2018). Diese stellen eine große Herausforderung für die Gesundheitssysteme aller Staaten dar. Dabei kann das Auftreten dieser Erkrankungen durch einen veränderten Lebensstil reduziert und in ihrer Schwere vermindert werden (WHO, 2015). Das Ziel des Projekts Nutri Aging ist es, einerseits die Lebensqualität von Senior:innen zu verbessern und anderseits Menschen unterschiedlichen Alters auf gesundes Altern vorzubereiten.
Untersucht wurden spezifische Nährstoffe, mit denen Menschen über 65 Jahren nicht ausreichend versorgt sind. Das Ziel war, die Einflüsse dieser Nährstoffe auf die Gesundheit von Senior:innen besser zu verstehen. Im Rahmen dieser großen EU-Studie widmet sich die Wiener Arbeitsgruppe besonders den durch Biomarker gemessenen Effekten von Protein, Vitamin D und Sport auf den menschlichen Körper. Als Biomarker für gesundes Altern eignen sich in Humanproben wie Blut, Urin und Stuhl vorkommende Substanzen, die sich im Laufe des Alters verändern und sich durch gezielte Interventionen beeinflussen lassen (Wagner & Muchová, 2019).

Wie oxidativer Stress entsteht

Der Alterungsprozess selbst wird nach der „Free Radical Theory of Aging“ als Zellalterung definiert, die sich durch innerzelluläre Ansammlung von Molekülen darstellt, die durch Radikale modifiziert wurden. In weiterer Folge führt diese Ansammlung modifizierter Moleküle zu einem Verlust an Gewebe und dessen Funktion (Beckman & Ames, 1998). Als Radikale werden ein oder mehrere ungepaarte Elektronen in der äußersten Hülle von Atomen oder Molekülen bezeichnet, die in aeroben Zellstoffwechselvorgängen produziert werden. Bei Stoffwechselreaktionen werden einzelne Elektronen abgegeben oder aufgenommen. Eine wichtige Rolle spielen hierbei reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies, kurz RONS (Reactive Oxygen and Nitrogen Species). Bei diesen handelt es sich um radikale oder nicht radikale, äußerst reaktive Formen von Sauerstoff und Stickstoff. RONS können im Körper durch UV- und radioaktive Strahlung oder durch andere Umwelteinflüsse wie beispielsweise Zigarettenrauch, bestimmte Medikamente, einen sitzenden Lebensstil oder Speisen wie geräuchertes Fleisch entstehen. Wenn es zu einem Überschuss an RONS im Körper kommt, und dieser nicht mehr in der Lage ist, die RONS zu neutralisieren, spricht man von oxidativem Stress (Sies, 1987). Oxidativer Stress ist der Hauptgrund für die bereits erwähnten, durch Radikale modifizierten, Moleküle im Körper, die einen Gewebe- und Gewebefunktionsverlust bewirken und somit für das Altern ganz allgemein verantwortlich sind. Daraus folgt, dass Marker für oxidativen Stress auch Marker für das Altern darstellen.
RONS schädigen durch Oxidation wichtige körpereigene Moleküle wie Proteine, Lipide und die DNA. Diese oxidierten Produkte lassen sich mit zahlreichen Methoden messen. Durch Beobachtung dieser Produkte über den Zeitraum einer Studie lassen sich Aussagen über den oxidativen Stress einer Person treffen, sie sind somit Biomarker für oxidativen Stress. (Frijhoff et al., 2015).
Neben den bereits skizzierten Biomarkern lässt sich oxidativer Stress auch über die Bestimmung der Antioxidantien im Blut untersuchen. Bei Antioxidantien handelt es sich um körpereigene Enzyme sowie kleinere Moleküle, die in der Regel mit der Nahrung zugeführt werden, und uns vor RONS schützen, da sie in der Lage sind, Radikale abzufangen und zu neutralisieren.
Antioxidantien werden dem Körper vorwiegend in Form von sekundären Pflanzeninhaltsstoffen und Vitaminen zugeführt, wobei die Vitamine für den Menschen essenziell sind. Durch die Bestimmung der Antioxidantien z.B. im Blut können Veränderungen im Körper durch oxidativen Stress festgestellt werden (Knasmüller et al., 2008). In vorhergegangenen Studien der Arbeitsgruppe zeigte sich, dass eine gezielte Zufuhr von Antioxidantien zu einer Verringerung des oxidativen Stress der Proband:innen führt. (Franzke et al., 2019; Müllner et al., 2013a; Müllner et al., 2013b)
Bei den körpereigenen Antioxidantien wurde vor allem Bilirubin näher untersucht. Dem Stoffwechselprodukt des Blutfarbstoffs Hämoglobin wurde als simples Ausscheidungsprodukt lange Zeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Während ein erhöhter Bilirubin-Spiegel ab einer bestimmten Konzentration toxisch wirkt (z.B. bei Neugeborenen mit Gelbsucht), zeigen sich bei Personen mit dem sogenannten Gilbert Syndrom (GS), welche genetisch bedingt einen leicht erhöhten Bilirubin-Spiegel aufweisen, hingegen sehr positive Effekte. Etwa 5-10 Prozent der Bevölkerung sind vom GS betroffen, Männer davon häufiger als Frauen. Untersuchungen von Senior:innen zeigten, dass mit einem erhöhten, nicht-toxischen Bilirubinspiegel weniger altersassoziierte Erkrankungen einhergehen. Proband:innen mit GS wiesen besonders im Alter einen geringeren BMI, eine günstige Körperzusammensetzung (Verhältnis fettfreier Masse zu Fett) und bessere Blutwerte auf (Boon et al., 2012; Bulmer et al., 2013; Stender et al., 2013; Wagner et al., 2015).

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Abbildung 1: Einflüsse wie Zigarettenrauch, Fleisch und Luftverschmutzung erzeugen RONS. Diese führen zu einer oxidativen Schädigung von wichtigen Bestandteilen des Körpers wie Proteinen, Lipiden und der DNA. Im Alter zeigen sich diese Schädigung in Form verschiedener Krankheiten.

Kraftsport als Mittel für ein gesundes Altern

Neben den bereits erwähnten Einflüssen von oxidativem Stress auf den Alterungsprozess, stellt auch Sport eine wichtige Komponente dar. Sarkopenie, der Verlust von Muskelmasse und -funktion im Alter, führt zu erhöhten oxidativen Schäden und zu den damit einhergehenden Erkrankungen. Besonders das Krafttraining hat sich im Alter als effektiv erwiesen, um diesem Effekt entgegenzuwirken. Trainingsbänder sind hier ein geeignetes, vielseitig anwendbares Werkzeug, um ältere Personen schonend an einen steigendenden Widerstand zu gewöhnen. Während die unmittelbare Ausübung von Sport zwar einen kurzfristigen Anstieg von oxidativem Stress bewirkt, führt Sport langfristig zu einer verbesserten Abwehr von RONS. Der akute Anstieg des RONS-Spiegels ist sogar erwünscht, denn dieser aktiviert redoxsensitive Stoffwechselvorhänge, welche die DNA-Reparatur- und Abwehrmechanismen fördern (Franzke et al., 2018).
Die Supplementierung von Antioxidantien ist daher nur bedingt zu empfehlen. Während bei einem Mangel an Vitaminen eine Supplementierung dieser Nährstoffe durchaus sinnvoll ist, könnte eine Zufuhr von hohen Konzentrationen an Antioxidantien zum Zeitpunkt des Trainings sogar jenen bereits erwähnten essenziellen Anstieg des RONS-Spiegels unmittelbar nach dem Training vermindern und damit verhindern, dass die körpereigene Abwehr durch die sportliche Belastung gestärkt wird (Mason et al., 2016). Die Zuführung von Vitaminen unmittelbar vor einer sportlichen Betätigung oder auch währenddessen vermindert daher den positiven Effekt des Trainings.

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Abbildung 2: Kraftsport, Vitamine und sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, wie sie etwa in Karotten, Heidelbeeren und Paprika vorkommen, tragen dazu bei, gesund zu altern  

Univ.-Prof. Dr. Karl-Heinz Wagner ist Professor am Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien und Vizedekan der Fakultät für Lebenswissenschaften. Er leitet die Forschungsplattform “Active Aging”, ein interdisziplinäres Projekt zwischen der Fakultät für Lebenswissenschaften und dem Zentrum für Sportwissenschaft und Universitätssport, welches sich auf die Erforschung von Altern und Lebensstil auf zellulärer und molekularer Ebene fokussiert hat. Er ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung. Seine Forschung zu dem Thema „Oxidativer Stress und DNA-Schäden“ erhielt den Emerging Field Status.

Dipl.-Ing. Laura Bragagna ist Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe von Prof. Wagner und forscht dort im Rahmen ihres PhD-Studiums zu dem Gebiet „Oxidativer Stress und DNA-Stabilität“. Nach ihrem Bachelor in Ernährungswissenschaften an der Universität Wien spezialisierte sie sich im Rahmen ihres Masterstudiums an der Universität für Bodenkultur (BOKU) auf die Erforschung von sekundären Pflanzeninhaltsstoffen und deren antioxidativer Wirkung.

Seit 2011 steht im Rahmen der Forschungsplattform (FP) „Active Ageing“ an der Universität Wien der Zusammenhang von Lebensstil und Altern im Fokus. Das EU-Projekt NutriAging, finanziert durch das Programm Interreg SK-AT, ist eine Kooperation der Arbeitsgruppe von Univ.-Prof. Dr. Karl-Heinz Wagner am Department für Ernährungswissenschaften, der bereits erwähnten FP „Active Ageing“, der Comenius Universität in Bratislava und anderer nationaler und internationaler Partner, forscht mit mehreren Studien zum Thema gesundes Altern und oxidativer Stress.
Die Arbeitsgruppe Wagner plant eine weitere Studie, die sich dem Thema „Marker für gesundes Altern“ noch intensiver widmen soll. Dabei sollen Proband:innen im Alter von 20 bis 100+ Jahren auf die im Artikel erwähnten, sowie ganz neue Marker untersucht werden. Durch Studien wie diese soll es gelingen, die Veränderung von Markern über verschiedene Altersstufen hinweg zu verfolgen und dadurch neue Erkenntnisse über Alterungsprozesse zu gewinnen, damit wir irgendwann besser verstehen können, warum Menschen bei guter Gesundheit sehr alt werden und andere nicht.

- Ein Überblick über das Projekt bietet dieser Artikel: Das Züglein an der Nährstoffwaage (Uni Wien)
- Was passiert mit dem Körper, wenn wir Sport treiben: Wer tritt, stärkt sein Immunsystem (die Presse)

- Beckman, K. B., & Ames, B. N. (1998). The Free Radical Theory of Aging Matures. Physiological Reviews, 78(2), 547–581.
- Boon, A. C., Hawkins, C. L., Bisht, K., Coombes, J. S., Bakrania, B., Wagner, K. H., & Bulmer, A. C. (2012). Reduced circulating oxidized LDL is associated with hypocholesterolemia and enhanced thiol status in Gilbert syndrome. Free Radical Biology and Medicine, 52(10), 2120–2127. https://doi.org/10.1016/j.freeradbiomed.2012.03.002
- Bulmer, A. C., Verkade, H. J., & Wagner, K.-H. (2013). Bilirubin and beyond: a review of lipid status in Gilbert’s syndrome and its relevance to cardiovascular disease protection. Progress in Lipid Research, 52(2), 193–205. https://doi.org/https://doi.org/10.1016/j.plipres.2012.11.001
- Franzke, B., Schober-Halper, B., Hofmann, M., Oesen, S., Tosevska, A., Henriksen, T., Poulsen, H. E., Strasser, E. M., Wessner, B., & Wagner, K. H. (2018). Age and the effect of exercise, nutrition and cognitive training on oxidative stress – The Vienna Active Aging Study (VAAS), a randomized controlled trial. Free Radical Biology and Medicine, 121(April), 69–77. https://doi.org/10.1016/j.freeradbiomed.2018.04.565
- Franzke, B., Schober-Halper, B., Hofmann, M., Oesen, S., Tosevska, A., Strasser, E. M., Marculescu, R., Wessner, B., & Wagner, K. H. (2019). Fat soluble vitamins in institutionalized elderly and the effect of exercise, nutrition and cognitive training on their status—the vienna active aging study (vaas): A randomized controlled trial. Nutrients, 11(6). https://doi.org/10.3390/nu11061333
- Frijhoff, J., Winyard, P. G., Zarkovic, N., Davies, S. S., Stocker, R., Cheng, D., Knight, A. R., Taylor, E. L., Oettrich, J., Ruskovska, T., Gasparovic, A. C., Cuadrado, A., Weber, D., Poulsen, H. E., Grune, T., Schmidt, H. H. H. W., & Ghezzi, P. (2015). Clinical Relevance of Biomarkers of Oxidative Stress. Antioxidants and Redox Signaling, 23(14), 1144–1170. https://doi.org/10.1089/ars.2015.6317
- Knasmüller, S., Nersesyan, A., Mišík, M., Gerner, C., Mikulits, W., Ehrlich, V., Hoelzl, C., Szakmary, A., & Wagner, K. H. (2008). Use of conventional and -omics based methods for health claims of dietary antioxidants: A critical overview. In British Journal of Nutrition (Vol. 99, Issue E-SUPPL. 1). https://doi.org/10.1017/S0007114508965752
- Liguori, I., Russo, G., Curcio, F., Bulli, G., Aran, L., Della-Morte, D., Gargiulo, G., Testa, G., Cacciatore, F., Bonaduce, D., & Abete, P. (2018). Oxidative stress, aging, and diseases. Clinical Interventions in Aging, 13, 757–772. https://doi.org/10.2147/CIA.S158513
- Mason, S., Morrison, D., Mcconell, G., & Wadley, G. (2016). Muscle Redox Signalling Pathways in Exercise. Role of Antioxidants. Free Radical Biology and Medicine, 98. https://doi.org/10.1016/j.freeradbiomed.2016.02.022
- Müllner, E., Brath, H., Nersesyan, A., Nitz, M., Petschnig, A., Wallner, M., Knasmüller, S., & Wagner, K.-H. (2013a). Nuclear anomalies in exfoliated buccal cells in healthy and diabetic individuals and the impact of a dietary intervention. Mutagenesis, 29(1), 1–6. https://doi.org/10.1093/mutage/get056
- Müllner, E., Brath, H., Pleifer, S., Schiermayr, C., Baierl, A., Wallner, M., Fastian, T., Millner, Y., Paller, K., & Henriksen, T. (2013b). Vegetables and PUFA‐rich plant oil reduce DNA strand breaks in individuals with type 2 diabetes. Molecular Nutrition & Food Research, 57(2), 328–338.
- Sies, H. (1987). Biochemistry of oxidative stress. European Journal of Cancer and Clinical Oncology, 23(11), 1798. https://doi.org/10.1016/0277-5379(87)90716-4
- Stender, S., Frikke-Schmidt, R., Nordestgaard, B. G., Grande, P., & Tybjærg-Hansen, A. (2013). Genetically elevated bilirubin and risk of ischaemic heart disease: Three Mendelian randomization studies and a meta-analysis. Journal of Internal Medicine, 273(1), 59–68. https://doi.org/10.1111/j.1365-2796.2012.02576.x
- Wagner, K.-H., & Muchová, J. (2019). GESUNDES ALTERN UND ERNÄHRUNG - NUTRIAGING Co-finanziertes Projekt durch das Interreg V-A Programm‚ Slowakische Republik – Österreich‘ des Europäischen Regionalen Entwicklungsfonds. http://www.nutriaging.eu/
- Wagner, K. H., Wallner, M., Mölzer, C., Gazzin, S., Bulmer, A. C., Tiribelli, C., & Vitek, L. (2015). Looking to the horizon: The role of bilirubin in the development and prevention of age-related chronic diseases. Clinical Science, 129(1), 1–25. https://doi.org/10.1042/CS20140566
- WHO. (2015). World report on ageing and health. www.who.int

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