Eine Vase kann viel über die Vergangenheit erzählen

Die Archäometrie erlaubt Rückschlüsse über die Kultur von Menschen aus längst vergangenen Zeiten. Wie man mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden in die Vergagenheit blicken kann, das erfahrt ihr in diesem Artikel. 

Warum das wichtig ist: Blicken wir in die Vergangenheit, können wir sehen, wie sich Menschen über Jahrhunderte entwickelt und was wir alles bereits mit unseren geistigen sowie handwerklichen Fähigkeiten geschafft und geschaffen haben. So können wir uns weiterentwickeln, bereits vergessene Kenntnisse wiedererlangen sowie aus dem Handeln unserer Vorfahren lernen. Die Archäometrie kann einen Beitrag hierzu leisten.

Die Archäometrie ist eine relativ junge Wissenschaft. Der Begriff, der erstmals 1959 verwendet wurde, setzt sich aus den beiden altgriechischen Wörtern „archaios“ für „(ur-)alt“ und „metreo“ für „messen, ausmessen“ zusammen und bedeutet somit grob „etwas Altes (ver-)messen“ (Wagner, 2007). Der bekannteste Teilbereich dürfte wohl die C¹⁴-Analyse (auch Radiokarbon-Datierungsmethode) sein. Jedoch ist das archäometrische Feld breit gefächert und beinhaltet Methoden aus den unterschiedlichsten naturwissenschaftlichen Bereichen wie Chemie, Physik, Medizin, Biowissenschaften oder Erdwissenschaften, mit denen versucht wird, (meist) archäologische Fragen zu beantworten oder aufgeworfenen Hypothesen zu testen.

Archäometrische Charakterisierung

Abbildung 1: Die Archäometrie ist interdisziplinär. Sie verbindet Geistes- und Naturwissenschaften, aber auch handwerkliche Tätigkeiten.

Die Archäologie fragt, die Keramik soll antworten

Im Bereich der Keramikforschung kommen vor allem Methoden der Erdwissenschaften sowie Chemie, aber auch der Physik und Biowissenschaften zum Einsatz - abhängig von der jeweiligen Fragestellung. Eine solche Frage oder Hypothese kann sich beispielsweise mit Alter, Herkunft, Produktion oder Verwendung eines Gefäßes, aber auch mit größeren wirtschaftlichen Zusammenhängen wie Handelsbeziehungen beschäftigen, wobei oftmals mehrere Teilfragen gemeinsam erörtert werden.
Ein konkretes Beispiel für eine derartige Fragestellung ist der Fall der Keramik der römischen Siedlung des heutigen Ortes Eisenberg (Pfalz) in Deutschland, wo sich die archäologische Forschung die Frage stellt, ob diese möglicherweise lokal hergestellt wurde.

Der Fall Eisenberg (Pfalz)

Die römische Siedlung in Eisenberg (Pfalz) dürfte vom 1. Jh. v. Chr. bis zum 4. Jh. n. Chr. eine Handwerkersiedlung mit einem vergleichsweise hohen Lebensstandard gewesen sein. Ihr Ortsbild war vermutlich durch Streifenhäuser sowie die für den Ort wichtige Eisenproduktion – es wird sogar eine offizielle Produktion für das römische Heer angenommen – geprägt (Bernhard et al., 2007). Der für diese Zeit hohe Lebensstandard zeigt sich auch in dem Fundmaterial, das bei Grabungen der letzten Jahre freigelegt wurde. So etwa in der Keramik.
Aber um dies überhaupt festzustellen, müssen die Funde nach den Grabungen bearbeitet werden, was ein großer, oft aber übersehener Teil der archäologischen Forschung ist.
Die Keramik wird zunächst nach bestimmten Kriterien, die je nach zeitlicher Epoche variieren, gruppiert. Dies kann nach Gefäßformen, Brandeigenschaften, Dekorationen oder ähnlichen immer wiederkehrenden, eindeutig unterscheidbaren Merkmalen geschehen, abhängig auch davon, was genau der:die Bearbeiter:in untersuchen will. Die so erfolgte Gruppierung wird dann schriftlich in Form eines Katalogs der wichtigsten Merkmale, mit Verweisen zu ähnlichen Keramiken aus anderen Fundstellen, sowie mittels Zeichnungen und teilweise auch Bildern der wichtigsten Vertreter der einzelnen definierten Gruppen festgehalten.
Im Zuge einer solchen Aufarbeitung einiger Funde, die bei den Grabungen der letzten Jahre entdeckt wurden, bemerkte der bearbeitende Archäologe Arno Braun (Universität des Saarlandes), dass manche Keramikgattungen nicht alle für sie typischen Charakteristika aufwiesen, sondern es zu einer Vermischung kam. Für andere gab es gar keine Vergleiche mit Stücken von übrigen Fundstellen.
So stellte er beispielsweise fest, dass eine Keramik zwar in ihrer Machart oder Form an die typische römische Feinkeramik Terra Nigra, welche vereinfacht gesagt die schwarze Variante der Terra Sigillata darstellt, erinnert, jedoch nie alle benötigten Kriterien aufweist, die diese Variante kennzeichnen. Diese Tatsache ließ Braun zu dem Schluss kommen, dass es sich um ein lokales Imitat der Ware handeln dürfte, die er behelfshalber als Proto-Terra Nigra bezeichnete.
Ähnliches fiel ihm auch bei anderen Keramikarten auf, sodass er schließlich die Hypothese aufstellte, dass zumindest ein Teil der gefundenen Keramik vor Ort produziert worden sein dürfte. Dies untermauert er mit dem dokumentierten Fund eines Töpferofens im römischen Siedlungsgebiet von Eisenberg (Pfalz).
Jedoch ist dies alles eine Hypothese. Sie kann mit rein archäologischen Methoden nicht mehr weiter untersucht werden. Diese enden bei der Gliederung der Keramikfunde nach Gattungen mittels Vergleichen und der Erstellung von zeitlichen Abfolgen.
Doch wo für die traditionelle archäologische Forschung Schluss ist, setzt die interdisziplinäre Keramikforschung mittels Archäometrie an.

In Öfen wird Keramik gebrannt

Abbildung 2: In solchen Öfen aus Stein wurde in Eisenberg vermutlich Brot gebacken.

Was man im Tontopf finden kann

Nach der Wahl einer Fragestellung sind die Auswahl des Probenmaterials und der Untersuchungsmethoden die nächsten wichtigen Schritte, welche mehr oder weniger Hand in Hand gehen. Hierbei gibt es meist von beiden Seiten (Archäolog:innen sowie Naturwissenschaftler:innen) bestimmte Vorstellungen, die nicht immer vereinbar sind und es somit zu längere Auseinandersetzungen kommen kann, bis ein Kompromiss gefunden wird.
Vor allem im Bereich der archäometrischen Herkunftsanalyse von Keramik sind die angewandten Methoden oftmals mit einer hohen Zerstörungsrate der zur Verfügung gestellten Proben verbunden. Dies wird in der Archäologie, die eigentlich die „Geschichte“ bewahren will, nicht gerade geschätzt. Daher ist es von enormer Wichtigkeit, von Anfang an die Grenzen klar abzustecken. Was soll untersucht werden, an welchen Objekten, mit welcher Genauigkeit und was ist die Archäologie bereit dafür „zu opfern“?
Auch muss festgestellt werden, was überhaupt an Material vorhanden ist. So ist beispielsweise im Falle des Nachweises einer lokalen Produktion sehr wichtig, dass es Referenzmaterial gibt, das eindeutig dem Ort zugeordnet werden kann. Ein solches kann Ton aus lokalen Lagerstätten, aber auch Fehlbrände von Keramik sein. Ist keines dieser Materialien vorhanden, kann nur eine indirekte Herkunftsanalyse durchgeführt werden, indem eindeutig importierte Keramik mit jener verglichen wird, die als lokal gilt. Das Ergebnis hat in dem Fall aber nur eine geringe Aussagekraft und kann die aufgestellte Frage bzw. Hypothese nur stützen oder abschwächen, aber nicht wirklich lösen.
Im Fall von Eisenberg (Pfalz) ist neben der als lokal angesehenen Keramik ein lokales Tonvorkommen vorhanden, das als Referenz verwendet wird.

Vom Groben ins Feine: die Herkunftsanalyse

Eine „traditionelle“ Herkunftsanalyse von Keramik beginnt mit dem Beschreiben des groben Aussehens der Proben und geht dann immer weiter ins Detail – wenn nötig bis in die Isotopie der Keramik.
Diese Herangehensweise hat unter anderem mit dem Aufbau einer Keramik zu tun. Denn Keramik besteht aus zwei Komponenten: einerseits der feinen Tonmatrix, natürlich vorkommender Ton, befreit von seinen gröberen Partikeln; andererseits der Magerung, die „groben“ Bestandteile einer Keramik, welche aus den unterschiedlichsten Materialien bestehen kann. Die Wahl der Magerung hängt mit den vorkommenden Rohstoffen am Produktionsort, aber auch mit dem späteren Verwendungszweck der Keramik zusammen. Denn sie ist für die Stabilität der Keramik von großer Wichtigkeit. Die häufigste Magerungsart der Römerzeit ist jene aus Quarzsteinchen, gefolgt von jener aus Karbonaten. Doch können auch zerkleinerte alte Scherben (Schamottenmagerung) oder organische Materialien wie Stroh oder gar Tierdung zum Einsatz kommen (Maggetti, 2008; Rice, 2005).
Der Beginn einer Herkunftsanalyse stellt normalerweise die optische Beschreibung des Scherbens, am besten an einem frischen Schnitt oder Bruch, dar. Hierbei werden grob die bereits mit freiem Auge erkennbaren Merkmale beschrieben. Dazu zählen neben Farbe und Verwitterungsspuren, wie verrundete Kanten, das Beschreiben des Magerungsmaterials nach Form, Art und Größensortierung sowie Menge im Vergleich zur Matrix. Auch die Poren (Hohlräume), wenn welche erkennbar sind, werden nach Form, Größe und Menge beschrieben.

Matrix der Keramik

Abbildung 3: Keramik hat immer einen typischen Aufbau aus einer Matrix aus Ton und den "nicht-plastischen Einschlüssen", die aus allen möglichen Materialien bestehen können.

Ist dieser erste Schritt erledigt, wird aus einem Teil des Scherbens ein Dünnschliff hergestellt, um die Mineralogie der Magerung, sowie den strukturellen Aufbau, wie etwa die einheitliche Ausrichtung von (länglichen) Mineralien durch die Drehung beim Töpfern auf der Drehscheibe, unter dem Mikroskop näher zu bestimmen. Die Mineralogie der Matrix ist durch die geringe Größe der Partikel hier nicht erkennbar.
Anschließend wird ein weiterer Teil des Keramikscherbens von seiner Oberfläche befreit, um Verunreinigungen durch die Bodenlagerung auszuschließen, und dann zu einem mehlfeinen Pulver vermahlen. Dieses Pulver kann zuerst mittels Röntgendiffraktometrie (XRD) auf den Gesamtmineralbestand der Keramik und wird dann mit Hilfe der Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) auf die chemische Zusammensetzung untersucht. Für die Referenzproben gilt dasselbe, jedoch wird bei Tonproben der Dünnschliff, sowie die Entfernung der Oberfläche weggelassen und nach der optischen Ansprache gleich mit der XRD-Analyse fortgefahren.
Die RFA ist meist das Ende der „traditionelle“ Herkunftsanalyse.
Weitere Analysen, wie etwa Isotopenanalysen nach den Elementen Strontium (Sr) oder Blei (Pb) oder Mikrosonden-Analysen, um sich die chemische Zusammensetzung einer speziellen Stelle einer Keramik am polierten Dünnschliff anzusehen, werden nur dann gemacht, wenn dadurch ein möglicher Mehrwert für das Endergebnis erzielt werden kann.

Made in Eisenberg?

Die Bestimmung der optischen Merkmale, sowie der unter dem Mikroskop erkennbaren Eigenschaften, lässt es zu, die beprobten Keramiken nach diesen zu charakterisieren und Untergruppen in den vorliegenden archäologischen Gruppen zu definieren.
Auch kann bereits die Art der Magerung, wenn diese mineralisch ist, Informationen über den Produktionsort preisgeben. Meist stammt das Magerungsmaterial aus der unmittelbaren Nähe des Fundortes (im Umkreis von einem Kilometer). Wenn die Magerung beispielsweise karbonatisch wäre, in der Umgebung aber kein Karbonatvorkommen existiert, kann stark davon ausgegangen werden, dass diese Ware nicht an seinem Fundort produziert wurde, sondern ein Import sein muss (Arnold, 1980).
Die Analysen mittels XRD und RFA können die zuvor aufgestellten Gruppierungen noch verfeinern und durch den Vergleich mit dem Referenzmaterial kann schließlich die Wahrscheinlichkeit einer lokalen Produktion abgeschätzt werden. Denn je ähnlicher sich die Matrix der Keramikproben mit den vor Ort vorkommenden Tonen in ihrer mineralogischen und chemischen Zusammensetzung sind, umso wahrscheinlicher ist es, dass es sich um eine lokal produzierte Ware handelt.

Die Frage nach dem Ursprung

Die Keramik von Eisenberg (Pfalz) wird nun zuerst mittels der traditionellen Methoden analysiert und mit den vorhandenen Tonvorkommen verglichen, in der Hoffnung, die lokale Produktion nachweisen zu können.
Doch damit soll die Analysen noch nicht zu Ende sein, sondern es ist geplant, anschließend noch (mindestens) Isotopenanalysen durchzuführen. Diese sollen im besten Fall die beprobten Scherben den unterschiedlichen Tonablagerungsschichten in Eisenberg genauer zuordnen, vorausgesetzt, die Keramiken konnten zuvor bereits als lokales Produkt bestätigt werden. Genau das ist aber vielleicht unmöglich. Denn weder ist geklärt, ob die Keramik überhaupt lokal produziert wurde, noch kann bis jetzt gesagt werden, ob sich die Tone überhaupt ausreichend in ihrer Isotopie unterscheiden, um eine solche Zuordnung zuzulassen.
Sollte die lokale Produktion nachgewiesen werden, so kommt damit die Frage auf, ob die Keramik vielleicht auch in umliegende Siedlungen verhandelt wurde und inwiefern Eisenberg möglicherweise auch im Bereich der Keramikproduktion eine zumindest regionale Bedeutung hatte. Bestätigt sich auch der unwahrscheinliche Fall, dass die Scherben unterschiedlichen Tonschichten zugeordnet werden können, würde dies Einblicke in die damalige Keramikherstellung geben. Könnte eine lokale Produktion hingegen ausgeschlossen werden, dann stellt sich die Frage: Woher stammt die gefundene Keramik? Wie kam sie nach Eisenberg? Gab es vielleicht einen Warentausch – Eisenware gegen Keramik – mit bestimmten Orten?
Wie das Ergebnis der jetzigen Analysen auch ausfallen wird, eines steht nun schon fest: ein weiterer Herkunftsanalyse-Zyklus wird damit beginnen.

Elisabeth Haspl hat an der Karl-Franzens-Universität und der Technischen Universität Graz Erdwissenschaften und Archäologie studiert. Seit 2021 schreibt sie ihre Doktorarbeit an der Universität Tübing über archäometrische Herkunfstanalyse von Keramik und arbeitet gleichzeitig als wissenschaftliche Mitarbeiterin am CEZA (Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie) in Mannheim.

- Mithilfe der Radiokarbonmethode ist es möglich, eine der wichtigsten Fragestellungen der Archäometrie (und auch anderen Fachgebieten) zu beantworten: Wie alt ist das archäologische Fundstück vor mir? Ein ausgezeichnetes Erklärvideo liefert das Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie.
- Wer auf den Geschmack der römischen Keramik gekommen ist, findet hier viele Details.
- Nach diesem Artikel fragt ihr euch, wie das Leben in Germanien zur Zeiten der Römer aussah? In dieser Dokumentation findet ihr Antworten.

Arnold, D. E. (1980). Localized Exchange: An ethnoarchaeological perpective. In R. E. Frey (Hrsg.). Models and Methods in Regional
     Exchange
. Society for American Archaeology, 147-150.
Bernhard, H., Braun, A., Himmelmann, U., Kreckel, T., & Stickl, H. (2007). Der römische Vicus von Eisenberg. Ein Zentrum der
     Eisengewinnung in der Nordpfalz
. Denkmäler in der Pfalz 1. GDKE, Direktion Archäologie, Außenstelle Speyer.
Maggetti, M. (2008). Naturwissenschaftliche Untersuchung antiker Keramik. In Hauptmann, A., & Pingel, V. (Hrsg.). Archäometrie.
     Methoden und Anwendungsbeispiele. E. Schweizerbart´sche Verlagsbuchhandlung, 91-109.
Rice, P. M. (2005). POTTERY ANALYSIS. A Sourcebook. The University of Chicago Press.
Wagner, G. A. (Hrsg.). (2007). Einführung in die Archäometrie. Mit 180 Abbildungen. Springer-Verlag. doi:10.1007/978-3-540-71937-3

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