Wasserprivatisierung

Ist Wasser zu wertvoll, um es zu privatisieren? Oder braucht es private Investitionen, um die Wasserversorgung in Zukunft zu gewährleisten? Darüber wird in vielen Ländern heftig debattiert. alexandria hat sich Privatisierungen in Großbritannien und Argentinien angesehen, um eine Antwort auf diese Fragen zu finden. 

Warum das wichtig ist: Wasser ist Grundbedingung für unser Überleben und als lebenswichtige Ressource ist Zugang dazu ein Menschenrecht. Doch wer kann besser gewährleisten, dass dieses Recht auch umgesetzt wird - der Staat oder die Privatwirtschaft? Abseits politischer Grabenkämpfe ist eine wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Frage wichtig, um in Zukunft bestmöglich die Wasserversorgung sicherstellen zu können. 

Dieser Artikel ist Teil unseres Themenschwerpunkts „Wasser: Stoff des Lebens?"

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen ist seit Juli 2010 ein von den Vereinten Nationen anerkanntes Menschenrecht. Das heißt, die Versorgung mit Trinkwasser ist essentiell, um einen menschenwürdigen Lebensstandard zu ermöglichen. Weiter nimmt dieses Recht Staaten in die Pflicht, diesen Zugang ohne Diskriminierung zur Verfügung zu stellen.

Nicht in den Menschenrechten verankert ist jedoch, wie die Staaten dieser Pflicht nachkommen sollen. Sie können durch staatliche Unternehmen selbst Verantwortung übernehmen; sie können aber auch nichtstaatlichen Unternehmen Eintritt zu diesem Markt erlauben oder gar staatliche Betriebe privatisieren und somit die Verantwortung komplett in die Hand von Unternehmer:innen legen.

Am Ende bleibt die Frage: Welcher Weg ist der bessere? Auf der Suche nach der Antwort auf diese Frage nimmt euch dieser Artikel mit auf eine Reise durch das heutige London und das Argentinien der 90er Jahre.

Privatisierung als Politikum

In Österreich ist eine Privatisierung der Wasserversorgung aktuell kein großes Thema, vermutlich, weil es politisch zu heikel ist. Das musste zuletzt Angelika Mlinar erfahren, die sich 2014 als Neos-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl an diesem Thema die Finger verbrannte. Der Ruf, die Partei zu sein, die einst das Wasser privatisieren wollte, haftet den Neos noch heute an, obwohl sie von diesem Kurs abgewichen sind. Außerdem wäre es mittlerweile ein noch schwierigeres Unterfangen, da der Nationalrat 2019 beschloss, die Privatisierung von Wasser in Österreich per Verfassung zu verbieten.

Dass der Tenor der Berichterstattung in westlichen Medien sich in naher Zukunft nicht ändern wird, lassen vor allem die aktuellen Ereignisse in England vermuten. Anlass dazu gibt der Konkurs der Thames Water Utilities Ltd. (meist einfach als Thames Water abgekürzt), dem größten Wasser- und Kanalisationsunternehmen Englands, das für die Versorgung von etwa 15 Millionen Menschen im Raum London verantwortlich ist.

Der Untergang der Themse

Wasserversorgung war in England und Wales stets Staatssache - zumindest bis zum Jahr 1989. Dann beschloss die neoliberale britische Regierung unter der Leitung Margaret Thatchers, die Wasserversorgung zu privatisieren. Infolgedessen wurde das staatliche Unternehmen Thames Water Authority an private Investor:innen verkauft und in Thames Water Utilities Ltd. umbenannt.
Die (offizielle) Idee hinter der Privatisierung war, durch den Verkauf mehr Investitionen in die Infrastruktur zu ermöglichen und somit die damals schlechte Wasserqualität zu verbessern. Doch es kam anders als erwartet …

32 Jahre und über 16 Milliarden Euro Schulden später zeichnet die Bilanz der Thames Water ein besorgniserregendes Bild. Hinzu kommen mehrere hundert Millionen Liter an versickertem Wasser pro Tag aufgrund undichter Leitungen und die damit verbundenen Ermittlungen der Umweltbehörde wegen Verstößen gegen deren Auflagen – eine Erfolgsgeschichte sieht anders aus.

Das müsste sich doch negativ auf die Einnahmen der Investor:innen auswirken, oder? Mitnichten, das marode Unternehmen zahlte über die Zeitspanne, in der es seine Schulden anhäufte, 8,3 Milliarden Euro an Dividenden an seine Investor:innen aus.

Das Interesse des Vorstands war also, die laufenden Geschäftseinnahmen an die Investor:innen auszuzahlen, anstatt damit Schulden zu tilgen oder in die Infrastruktur zu investieren. Diese Entscheidung darf ein Vorstand treffen, aus ihr muss sich auch nicht zwangsläufig eine Insolvenz ergeben. Wie konnte es aber bei Thames Water zu dieser verheerenden Folge kommen?

Zombieunternehmen

Ein Unternehmen, dass Schulden auf sich nimmt, ist fürs Erste nichts Außergewöhnliches - schließlich kommt dadurch mehr Kapital ins Unternehmen, das wiederum für Investitionen (z.B. in die eigene Infrastruktur) verwendet werden kann.
Die britische Regulierungsbehörde für Wasserdienstleistungen (Ofwat) empfiehlt lediglich, dass die Schulden nicht mehr als 60 Prozent des Gesamtwertes eines Unternehmens ausmachen sollten. Die aktuelle Verschuldung von Thames Water liegt allerdings bereits bei 80 Prozent.

Eine Erklärung dafür liegt bei den zeitweise extrem niedrigen Leitzinsen der Zentralbanken, die zur Folge hatten, dass Zinsen auf bestehende Kredite nicht durch Einnahmen, sondern durch die Aufnahme von neuen Krediten getilgt wurden. Diese Niedrigzinspolitik fand aber Mitte 2022 aufgrund der hohen Inflationsraten ein jähes Ende.

Dadurch stieg die Verschuldung von Thames Water aber weiter an, bis es nicht mehr in der Lage war, die Zinsen auf die aufgenommenen Kredite durch Einnahmen aus dem Unternehmen zurückzuzahlen – das Unternehmen ist nun zombifiziert.
Kritiker:innen merken an, dass diese Zombifizierung durch die kurzfristige Ausbeutung anstatt langfristiger Investitionen entstanden ist. So seltsam der Begriff klingen mag, Zombieunternehmen sind tatsächlich ein geläufiges Phänomen in den Wirtschaftswissenschaften und Gegenstand vieler aktueller Studien (Banerjee & Hofmann, 2018).

Das Beispiel von Thames Water illustriert die negativen Seiten der Privatisierung eindrücklich. Hier ist vermutlich die Gier privater Investor:innen treibend für die negativen Folgen. Es gibt aber auch Beispiele, die sich nicht primär mit den Interessen der Investor:innen beschäftigen, sondern mit den Möglichkeiten, die durch private Investitionen bewerkstelligt werden können.

Denkt denn niemand an die Kinder?

Ein viel beachtetes Paper der Wirtschaftswissenschaftler Galiani, Gertler und Schargrodsky (2006) zeigt etwa, dass sich die Privatisierung der Wasserversorgung positiv auf die Kindersterblichkeit auswirken kann. Um die Erkenntnisse aus dieser Studie nachvollziehen zu können, müssen wir einen Schritt zurück machen und die vorherrschenden Umstände des Argentiniens der 1990er Jahre betrachten.

In den 1990er Jahren startete Argentinien ein umfangreiches Privatisierungsprogramm, um die horrende Inflation einzudämmen. Der Plan der peronistischen Regierung zielte darauf ab, staatseigene Unternehmen in private Hände zu überführen, einschließlich wichtiger wirtschaftlicher Sektoren wie Elektrizität, Telekommunikation und Wasserversorgung. Mit den erzielten Einnahmen sollten anschließend die Staatsschulden verringert werden.

Erschwerend hinzu kam, dass durch die massive Verschuldung Argentiniens kaum Investitionen in die öffentliche Infrastruktur getätigt werden konnten. Diese Investitionen wurden aber dringend benötigt, um beispielsweise das Wasserversorgungsnetz auszubauen und somit den Wohlstand des Landes zu erhöhen. Diese Investitionen erhoffte man sich von privaten Akteur:innen.

Eine argentinisch-US-amerikanische Forschungsgruppe bediente sich dieser besonderen Umstände und untersuchte die Auswirkungen der Privatisierung auf die Kindersterblichkeit in Argentinien, da Kleinkinder bis 5 Jahre besonders schwer von Krankheiten durch verunreinigtes Wasser betroffen sind (WHO, 2000).
Diese Herangehensweise ist weit verbreitet in den Wirtschaftswissenschaften: eine politische Entscheidung wird als Intervention herangezogen, deren Auswirkung auf unterschiedliche Bereiche (Soziales, Gesundheitliches, etc.) untersucht wird.

Glücklicherweise für die Forschenden wurde nicht die gesamte Wasserversorgung Argentiniens privatisiert, da die endgültige Entscheidung den Gemeinden überlassen wurde. Insgesamt entschlossen sich ca. 30 Prozent für eine Privatisierung. Somit konnten diese Gemeinden mit jenen verglichen werden, die nach wie vor von staatlichen Unternehmen versorgt wurden.

Die Studie kam zum Ergebnis, dass die Kindersterblichkeit in den Gemeinden mit privater Versorgung im Schnitt um 8 Prozent zurückging im Vergleich zu Gemeinden mit staatlicher Versorgung. Besonders stark war dieser Effekt in ärmeren Gemeinden mit einem Rückgang von 26 Prozent. Eine Erklärung für diese interessanten Ergebnisse ist, dass durch die Privatisierung viele Menschen erst Zugang zu Wasser bekamen; etwas, das den staatlichen Unternehmen aufgrund ihres begrenzten Budgets nicht gelang.

Anders als im Fall der Thames Water zeigt das Beispiel Argentiniens, dass sich die Privatisierung der Wasserversorgung auch positiv auf die Gesellschaft auswirken kann.

Privatisierung kann gut sein, muss aber nicht

Die Beispiele Englands und Argentiniens alleine können keine Antwort auf die Frage geben, ob wir die Versorgung von lebenswichtigen Gütern lieber dem Staat oder privaten Investor:innen überlassen sollten. Sie veranschaulichen aber, dass die Umstände und die Motive der Betroffenen eine wichtige Rolle spielen.

In Österreich etwa können wir uns kaum vorstellen, dass wir die Hilfe privater Investor:innen benötigen, damit alle in den Genuss klaren Wassers kommen – wir sind aber auch ein an Wasser und finanziellen Mitteln reiches Land. In Ländern, in denen diese Ressourcen und das staatliche Budget knapp sind, kann sich Privatisierung positiv auf die Gesellschaft auswirken.

Hinzu kommt, dass die beiden erwähnten Beispiele nur ein Ausschnitt aus der Literatur zu diesem komplexen Thema sind, die vollkommen unterschiedliche Aspekte betrachten – zum einen die Gier von Investor:innen, zum anderen Kindersterblichkeit. Dabei gibt es noch viele weitere interessante Aspekte, wie etwa die Benachteiligung indigener Völker (Prieto, 2015) oder die Auswirkungen auf die Umwelt (Johnson et al., 2016).

Als Fazit bleibt die klassische, wissenschaftliche Erkenntnis übrig, dass komplexe Fragen natürlich nicht pauschal beantwortet werden können: Was für eine entwickelte Marktwirtschaft in Westeuropa gilt, gilt möglicherweise nicht für eine sich entwickelnde Wirtschaft, die sich aus einer jahrzehntelangen staatlichen Misswirtschaft befreit.

Wenn wir mit einer österreichischen Brille die Nase rümpfen, sobald die Worte „Privatisierung“ und „Wasser“ in einem Satz fallen, mag das in erster Linie verständlich sein. Wenn es sich dabei um Ideen für eine Verbesserung der Versorgung in Ländern des globalen Südens handelt, sollten wir aber nicht sofort mit kategorischer Ablehnung reagieren.

Banerjee, R., & Hofmann, B. (2018). The rise of zombie firms: causes and consequences.
     BIS Quarterly Review September.
Galiani, S., Gertler, P., & Schargrodsky, E. (2005). Water for life: The impact of the
     privatization of water services on child mortality. Journal of political economy, 113(1),
     83-120.
Johnson, H., South, N., & Walters, R. (2016). The commodification and exploitation of
     fresh water: property, human rights and green criminology. International Journal of Law,
     Crime and Justice, 44, 146-162.
Prieto, M. (2015). Privatizing water in the Chilean Andes: the case of Las Vegas de Chiu
     Chiu. Mountain Research and Development, 35(3), 220-229.
World Health Organization (2000). Global water supply and sanitation assessment 2000
     report. World Health Organization (WHO).

Neue Beiträge