Dieser Beitrag ist eine Reihe des Themenschwerpunkts Was wir (ver)erben, in dem wir uns aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven mit dem menschlichen Erbe auseinandersetzen.
Das Human-Genome-Project
Die erste Version der menschlichen Genomsequenz wurde vor etwa zwanzig Jahren, am 14. April 2003, publiziert. Mit Hilfe der Entschlüsselung des gesamten Genoms des Menschen wollten Forscher verstehen, wie einzelne Genabschnitte die Gesundheit des Menschen beeinflussen können.
Bereits kurz nach der Publikation 2003 begannen Wissenschaftler:innen auf der gesamten Welt, verschiedene Genome unterschiedlicher Individuen zu untersuchen. Sie wollten aufzeigen, welche Gene sich bei gesunden und kranken Individuen unterscheiden und so krankmachende Genabschnitte detektieren. (Miga & Wang, 2021)
Eines der ersten Ziele war es, neue Therapien und Behandlungen für verschiedene Erkrankungen des Menschen zu entwickeln.
Das Genom, auch Erbgut genannt, umfasst alle in einer Zelle vorhandenen Erbinformationen. Informationen über das Genom enthält die DNA.
Die moderne Präzisionsmedizin
Präzisionsmedizin ist derzeit in aller Munde. Anstatt allen Personen mit derselben Erkrankung dieselbe Therapie zukommen zu lassen, sollen zukünftige Behandlungen speziell auf den genetischen Code der Patient:innen abgestimmt werden. Teilweise wird dieses Konzept heute schon in der Krebstherapie eingesetzt.
So gibt es bereits Projekte, die sich darauf fokussieren, die genetischen Codes verschiedener Krebserkrankungen zu analysieren und zur Gänze zu sequenzieren. Dadurch möchte man einzelne genetische Veränderungen der Krebszellen analysieren und so die geeignete Therapie auswählen bzw. voraussagen, wie das Ergebnis der Behandlungen aussehen wird. (Wang, et al., 2021)
Auch Variationen im Gesunden
Allerdings stimmen die Genome zweier gesunder Menschen nicht zur Gänze überein, da die Gene zahlreiche nicht-krankmachende Unterschiede verursachen (z.B. Haut-, Haar- und Augenfarbe, Körpergröße und viele mehr). Es gibt zahlreiche Varianten, welche die genetische und ethnische Vielfalt der Menschen beeinflussen, jedoch keinerlei Krankheitswert besitzen.
Es folgte daher bald das 1.000 Genomes Project, in dem verschiedene genetische Varianten von 2.500 Individuen aus 26 Populationen katalogisiert werden sollten. Dieses Projekt startete 2008 und wurde nach der erfolgreichen Sequenzierung von 1.000 verschiedener Genome 2012 beendet (Miga & Wang, 2021).
Bei der Sequenzierung handelt es sich um ein Verfahren, das jeden einzelnen Genabschnitt abliest und so die DNA eines Lebewesens entschlüsselt.
Das Pangenom-Projekt soll dabei helfen, sämtliche genetische Variationen der Spezies Mensch zu erklären.
Nur einzelne Individuen inkludiert
Das erste vollständige, sogenannte Referenzgenom wurde nun zwei Jahrzehnte lang als Grundlage genutzt, um alle weiteren erforschten Genome damit zu vergleichen. So können Abweichungen (Mutationen) bei einigen Genen manche Krankheiten erklären.
Das derzeitige Referenzgenom basiert auf einem Mosaik von zwanzig Individuen, wobei siebzig Prozent von nur einer Person stammen. Dieses wurde über die letzten zwanzig Jahre stets weiterentwickelt, doch enthält es nach wie vor Fehler und auch Lücken.
Ein einziges Genom, das zum Großteil auf dem genetischen Code einer Person basiert, reicht nicht aus, um sämtliche Populationen dieser Welt adäquat zu repräsentieren. Die bisher erhobenen Daten stammen zu einem Großteil von Menschen mit europäischer Abstammung. Daher sind die Datensätze von Menschen mit europäischen Vorfahren wesentlich vollständiger als jener Bevölkerung, die anderen Ethnien angehören.(Abondio et al., 2023) Seit einigen Jahren besteht das Bestreben, dieses Referenzgenom zu revolutionieren. So wurde das Human Pangenom Project ins Leben gerufen.
Das Pangenom-Projekt
Die ersten Schritte wurden im Jahre 2019 geplant. Es sollten mehr als 350 Individuen mit verschiedenen ethnischen Hintergründen eingeschlossen werden. (Miga & Wang, 2021)
Unter einem Pangenom verstehen Genetiker:innen die gesamte genetischen Einheiten einer Population, also sämtliche genetische Variationen, die in ihr zu finden sind. Die ersten Pangenome wurden bei molekularen Studien von Prokaryonten (Einzellern, Bakterien) erstellt. Dies ist bei einzelligen Tieren leichter zu erfassen.
Eukaryonten, also Mehrzeller, haben in all ihren Zellen denselben genetischen Code, der jedoch unterschiedlich abgelesen wird. So funktioniert eine Leberzelle anders als eine Herzmuskelzelle, obwohl sie denselben genetischen Code in ihrem Zellkern haben.
Durch epigenetische Veränderungen und zell-spezifische Regulation von Genen wirken sich dieselben Gene oft unterschiedlich aus. Auch diese Prozesse sollen mit Hilfe des Pangenoms noch genauer beleuchtet werden. (Abondio et al., 2023)
Das primäre Ziel ist es jedoch, genetische Variationen, die natürlich zwischen Menschen auftreten, zu erheben. (Abondio et al., 2023) Somit wären dann bei genetischen Untersuchungen sämtliche Ethnien der Menschheit im Referenzgenom vertreten und damit die gesamte menschliche Population – so das Ziel der Forschungsgruppen.
Auch Fragen der Evolution beantwortet
Neben dem Einsatz in medizinischen Bereichen, die nicht nur die Ursachen von Krankheiten besser verstehen, sondern auch individuell behandeln wollen, kann das Pangenom ebenso helfen, unsere Herkunft noch besser zu verstehen.
Vergleicht man eines Tages die Pangenome verschiedener Spezies (z.B. Mensch und Menschenaffe), könnte erfasst werden, welche Gene geteilt werden und welche einzigartig sind. So könnte man eines Tages auch die evolutionäre Geschichte des Menschen sowie die Beziehung verschiedener Spezies untereinander darstellen. (Liao et al. 2023) Im Pangenom liegt also der Schlüssel zu dem Erbe der Spezies Mensch - zu jenen Eigenschaften, die wir als Menschen erben und schließlich weiter vererben.
Das Pangenom-Projekt ist derzeit noch nicht abgeschlossen, doch verspricht es laut einigen Forscher:innen einen Paradigmenwechsel in der Genetik. (Abondio et al., 2023)
Neben der Berücksichtigung aller Ethnien im menschlichen Genom soll es eine bessere medizinische Diagnostik und Therapie ermöglichen und weitere Fragen der menschlichen Evolution beantworten … für alle Menschen.
Abondio, P. et al. (2023). Human Pangenomics: Promises and Challenges of a Distributed
Genomic Reference. Life, 13, 1360.
Liao, W.-W. et al. (2023). A draft human pangenome reference. Nature, 617(7960),
312-324.
Miga, K.H. & Wang, T. (2021). The Need for a Human Pangenome Reference Sequence.
Annu Rev Genomics Hum Genet. 31:22: 81–102.
Sosinsky, A. et al. (2014) Insights for precision oncology from the integration of genomic
and clinical data of 13,880 tumors from the 100,000 Genomes Cancer Programme.
Nat Med., 30(1):279-289.
Wang, T. et al. (2022). The Human Pangenome Project: a global resource to map genomic
diversity. Nature, 604, 437–446.