Mantelpaviane, die sich gegenseitig pflegen

Sie leben auf Kosten anderer, übertragen dabei Krankheiten und sind dennoch ein wichtiger Bestandteil unseres Ökosystems: Parasiten. alexandria erklärt, warum wir die kleinen Nervensägen überhaupt brauchen.

Kribbeln, Jucken, ein Schauder, der über den Rücken läuft: Für viele ist das die erste Reaktion, wenn sie an Parasiten denken. Lästig mögen sie einem vorkommen: Sie piksen, beißen, nisten sich bei uns in Haut, Haaren und sogar dem Gehirn ein und übertragen dabei auch noch Krankheiten wie Borreliose, Malaria oder Tollwut. Wäre es also nicht besser, diese Schmarotzer allesamt auszurotten?

Definitionsgemäß sind Parasiten Lebewesen, die langfristig auf Kosten anderer Organismen leben, ihren Wirten. Dieser Lebensstil ist weit verbreitet. Wissenschaftler:innen nehmen an, dass nahezu jedes zweite Lebewesen ein Parasit ist. Dabei unterscheiden sich die einzelnen Arten so sehr voneinander wie der Mensch von einem Insekt. Ihre Gemeinsamkeit: Sie alle fügen ihren Wirten Schaden zu.

Motor der Evolution

Als einen „dynamischen Kampf“ deutet bereits der Begründer der Evolutionstheorie Charles Darwin die Beziehung zwischen Wirt und Parasit. Während sich bei Wirten von Generation zu Generation bessere Abwehrmechanismen entwickeln, setzen sich bei Parasiten immer wieder neue Eigenschaften durch, um diese zu überwinden. Dieses Verhältnis wird in der Forschung als eine Art Wettrüsten interpretiert (Toepfer, 2011, S. 6). Dabei wird den Parasiten die wichtige Rolle des Motors der Evolution zugeschrieben. Sie treiben die Weiterentwicklung praktisch vor sich her.

Der amerikanische Biologe Leigh Van Valen vergleicht 1973 dieses Verhältnis mit einem Zitat aus dem Roman Alice hinter den Spiegeln von Lewis Carroll: „Hierzulande musst Du so schnell rennen, wie Du kannst, wenn Du am gleichen Fleck bleiben willst“ (Dogson, 1923, S. 23). Van Valen betont damit, dass sich die Lebewesen innerhalb eines Ökosystems weiterentwickeln müssen, um langfristig überleben zu können. Seine Hypothese benennt er nach einem der Charaktere des Romans: Rote-Königin-Hypothese (Van Valen, 1973).

Stabilere Ökosysteme

Sind die Auswirkungen der Parasiten auf individuelle Lebewesen auch schädlich, so wirken sie sich positiv auf ganze Ökosysteme aus. Durch ihre regulatorische Wirkung auf die Populationen der Wirte verhindern Schmarotzer Überpopulationen und ermöglichen es anderen Arten, sich zu entwickeln.
So etwa der Kleine Klappertopf. In einer Wiesengemeinschaft wird ihm die Rolle des „Robin Hood des Pflanzenreichs“ zugeschrieben (Chalupský, et al., 2023, S.195). Er schränkt dominante Gräser im Wachstum ein, indem er Wasser und Nährstoffe aus ihren Wurzeln stiehlt. Damit schenkt der Klappertopf weniger konkurrenzstarken Pflanzenarten den nötigen Raum, um besser zu gedeihen. Eine so gestärkte Biodiversität stabilisiert ein Ökosystem gegenüber äußeren Einflüssen, wie zum Beispiel dem Klimawandel.

Andere Parasiten leisten ihrer Umwelt einen Dienst, indem sie die Populationen von Schädlingen begrenzen und so zum Erhalt anderer Organismen beitragen. Den ökonomischen Wert als natürliche Schädlingsbekämpfer schätzen Fachleute auf mehrere Milliarden Dollar (Nuwer, 2022).

Parasiten im Netz der Nahrung

Innerhalb eines Lebenszyklus haben parasitäre Organismen oft mehr als nur einen Wirt. Durch die Interaktion mit vielen verschiedenen Organismen tragen sie dazu bei, ein Ökosystem aufrechtzuerhalten. Deutlich spiegelt sich das durch ihre Rolle in der Nahrungskette wider. Hier dienen sie nicht nur selbst als Futter für andere Lebewesen, wie zum Beispiel parasitäre Insekten als Nahrung für Vögel.
Durch spezifische manipulative Fähigkeiten verschieben sie den Energiefluss der Nahrung in Richtung der Raubtiere an der Spitze der Nahrungskette. Um sicherzugehen, dass sie ihren Endwirt an der Spitze auch wirklich erreichen, können einige der Parasiten gezielt das Verhalten ihres Zwischenwirts manipulieren.

Ein bekanntes Beispiel ist der Parasit Toxoplasma gondii. Er befällt Mäuse und setzt den wichtigen Botenstoff Dopamin frei. Für die Maus bedeutet das, ihre Emotionen, ihr körpereigenes Belohnungssystem und ihre Bewegungen werden so durch den Parasiten manipuliert. Das nimmt ihr einen natürlichen Instinkt: die Angst vor Katzen. Eine Verhaltensänderung, die oft tödlich für die Maus endet und den parasitären Organismus wie in einem trojanischen Pferd zu seinem Endwirt bringt, der Katze.

In ihrem Darm vermehrt sich der Schmarotzer und durchläuft verschiedene Entwicklungsstadien. Nur hier gelingt es ihm, spezielle Zysten zu produzieren, die für die Übertragung des Parasiten in der Umwelt benötigt werden: die Oozysten. Sie sind äußerst widerstandsfähig gegen Umweltbedingungen wie Austrocknung und garantieren ein langes Überleben, sobald sie von der Katze über den Kot ausgeschieden werden. In den meisten Fällen bekommt diese von ihrem ungebetenen Gast kaum etwas mit, Symptome gibt es nur selten.

Wie groß der Einfluss der Parasiten auf die Nahrungskette ist, konnten Forscher:innen bislang noch nicht belegen. Anhand einer Metastudie schätzten drei amerikanische Biologen 2006 jedoch, dass Parasiten für 75 Prozent aller Verbindungen innerhalb der Nahrungsnetze verantwortlich sind (Lafferty, Dobson, & Kuris, 2006).

Ein Team aus deutschen Wissenschaftler:innen konnte bereits 2016 feststellen, dass dieser Parasit häufig beim Menschen zu finden ist (Wilking, Thamm, & Stark, 2016). In einer repräsentativen Querschnittserhebung analysierten sie über 6.000 Deutsche im Alter zwischen 18 und 79.
Es wird angenommen, dass rund ein Drittel der Weltbevölkerung den Parasiten in sich trägt. Eine Infektion verläuft meist ohne Symptome, kann aber auch zu Fieber, Kopfschmerzen und Muskelschmerzen führen.

Gefährlich kann der Parasit gelegentlich für Menschen mit einem geschwächten Immunsystem (Aids-Patient:innen, Implantat-Empfänger:innen) sein. Hier kann eine Infektion unter anderem zu schweren bleibenden neurologischen Schäden bis hin zu schweren Beeinträchtigungen des Sehvermögens führen. Ähnliches gilt für Schwangere, die noch keine Antikörper gegen T. gondii gebildet haben, aber sich während ihrer Schwangerschaft infizieren. Sie können den Erreger auf ihr ungeborenes Kind übertragen, was zu gesundheitlichen Schäden des Kindes führen kann (Robert Koch Institut, 2016).

Parasiten im Wandel

Ihr komplexer Lebenszyklus birgt aber auch eine zunehmend große Gefahr für die Parasiten selbst: Klimawandel, Lebensraumzerstörung, Umweltverschmutzung werden nicht nur ihnen selbst zum Verhängnis, sondern auch ihren Wirten. Reagieren Wirte und Parasiten unterschiedlich stark auf diese Veränderungen, droht das lang eingespielte Gleichgewicht gestört zu werden. Forscher:innen erwarten, dass bis zu einem Zehntel aller Parasiten in den kommenden fünfzig Jahren aussterben werden (Dougherty, et al., 2017). Dennoch bleiben diese Organismen bislang von Naturschutzmaßnahmen kaum beachtet.

Schützt die Schmarotzer?

Der Frage, wie man Parasiten denn schützen könne, hat sich ein internationales Team aus Ökolog:innen, Parasitolog:innen und Biolog:innen gestellt. Gemeinsam haben sie zwölf Ziele für das kommende Jahrzehnt ausgearbeitet, um den Schutz der Biodiversität von Parasiten voranzutreiben. Besonders die weitere Erforschung der Organismen stellen die Wissenschaftler:innen in ihrem Schutzplan in den Fokus. Bislang seien weniger als zehn Prozent der Parasitenarten überhaupt benannt, geschweige denn im Detail untersucht worden. Nur die wenigsten dieser Parasiten befallen den Menschen und übertragen dabei Krankheiten. Genau dort ziehen auch die Expert:innen eine Grenze beim Schutz der Schmarotzer. Denn auch wenn Parasiten eine notwendige Rolle für die Evolution und unsere Ökosysteme übernehmen, gelte es, die menschliche Gesundheit zu priorisieren (Carlson, et al., 2020).

Carlson, C. J., Hopkins, S., Bell, K. C., Doña, J., Godfrey, S. S., Kwak, M. L., . . . Wood, C. L. (Oktober 2020). A global parasite conservation plan. Biological Conservation, 250,            108596.

Chalupský, J., Ditrich, O., Fajfrlík, K., Kodym, P., Kolář, M., Konvalinka, J., . . . Stejskal, F.  (2023). Von Parasiten und Menschen. (J. Votýpka, I. Kolářová, & P. Horák, Hrsg.) Berlin,    Heidelberg: Imprint: Springer.

Colin J. Carlson, S. H. (2020). A global parasite conservation plan. Biological convervation(250). Von https://doi.org/10.1016/j.biocon.2020.108596 abgerufen

Dogson, C. (1923 (engl. Orig. 1872)). Alice im Spiegelland. (World Public Library Association, Hrsg.) Wien, Leipzig, New York : Sesam-Verlag.

Dougherty, E. R., Phillips, A. J., Bueno, V. M., Clements, C. F., Castaldo, G., Dallas, T. A., . . . Muellerklein, O. C. (06. September 2017). Parasite biodiversity faces extinction and redistribution in a changing climate. Science Advances, 3(9).

Lafferty, K. D., Dobson, A. P., & Kuris, A. M. (25. Juli 2006). Parasites Dominate Food Web Links. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 103(30), 11211-11216.

Nuwer, R. (01. Mai 2022). Scientific American. (a. D. SCIENTIFIC AMERICAN, Produzent) Abgerufen am 17. Oktober 2023 von https://www.scientificamerican.com/article/the-scientists-fighting-for-parasite-conservation/Odening, K. (2022 ). Parasitismus. Berlin ; Boston,: De Gruyter.

Robert Koch Institut. (03. März 2016). rki.de. Abgerufen am 12. Oktober 2023 von https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/T/Toxoplasmosi/Toxoplasma_gondii_in_Deutschland.html

Toepfer, G. (2011). Historisches Wörterbuch der Biologie. Stuttgart: Imprint: J.B. Metzler.
Van Valen, L. (1973). A new evolutionary law. Evol.Theor. Chicago: University of Chicago.

Wilking, H., Thamm, M., & Stark, K. e. (03.. März 2016). Prevalence, incidence estimations and risk factors of Toxoplasma gondii infection in Germany: a representative, cross-sectional, serological study. Abgerufen am 12. Oktober 2023 von Scientific Reports: https://doi.org/10.1038/srep22551

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