5 Fakten Titelbild Vulkanausbruch

Die Wissenschaft ist eine wichtige Ratgeberin der Politik. Besonders in Krisensituationen kann sie wichtige Informationen liefern. Doch nicht immer wird sie gehört. Die alexandria-Redaktion stellt 5 Fälle vor, in denen die Politik nicht (oder nicht genug) auf die Wissenschaft hörte - mit schlimmen Folgen.  

Dieser Beitrag erscheint in der Reihe science&policy. In diesem Schwerpunkt setzt sich alexandria mit der Frage auseinander, wie Politik und Wissenschaft sich gegenseitig beeinflussen und wie die Wissenschaft bei gesellschaftspolitischen Entscheidungen helfen kann.
Mehr dazu findest du hier.

1. Hochwasser in West- und Mitteleuropa 2021

Bei einer der schwersten Flutkatastrophen der letzten Jahrzehnte sind allein in den deutschen Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mindestens 176 Menschen ums Leben gekommen. Die Wissenschaft warf der Politik starke Versäumnisse vor. Die britische Hydrologin Hannah Cloke von der Universität Reading, an der Entwicklung des Frühwarnsystems EFAS mitbeteiligt, bezeichnete die Versäumungen gar als „monumentales Systemversagen“.
Doch wer trägt die Hauptschuld an der Tragödie? Der Deutsche Wetterdienst (DWD) verweist auf rechtzeitiges Warn-Management. Die Warnungen wären dabei weder von den Medien zu Genüge verbreitet, noch von der Bevölkerung ernst genommen werden. Cloke vermutet Versagen auf weiteren Ebenen: Es hätte bloß eine mangelnde einheitliche Strategie bei Überflutungen gegeben, zudem Fehler in der Kommunikationskette. Es fehlten auch logistische und finanzielle Mittel auf lokaler Ebene, um im Bedarfsfall rasch zu handeln.
Auf welche Ebene es die gravierendsten Versäumnisse gab, ist aktuell Gegenstand von Analysen und Diskussionen. Fest steht jedoch, dass nicht zuletzt durch den Klimawandel solche Ereignisse kein Einzelfall bleiben werden. Nicht nur deshalb ist eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik unumgänglich.

Überschwemmungen in Deutschland

Abbildung 1: Die Überschwemmungen richteten in West- und Mitteleuropa verheerende Schäden an. Hätte die Politik besser auf sie vorbereitet sein müssen?

2. Atombomben

Am 16. Juli 1945 um 05:30 Uhr morgens begann das Atomzeitalter. Damals führten die Wissenschaftler:innen und Militärs des Manhattan-Projekts den ersten Atomtest, genannt „Trinity“, in der Wüste New Mexicos durch. Herrschte bei den Beteiligten anfangs Euphorie vor, äußerten bald darauf Wissenschaftler:innen des Projekts Bedenken. So warnte der Physiker Leó Szilárd vor den katastrophalen Umweltauswirkungen und einem möglichen atomaren Wettrüsten, sollten die USA Atomwaffen einsetzen.
Dennoch wurden 1945 Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen, Tausende starben. In den folgenden Jahrzehnten führten verschiedenste Länder hunderte atmosphärische und unterseeische Atomtests durch, die immense Umweltschäden verursachten und große Mengen radioaktive Isotope freisetzten.
Atmosphärische Atomtests wurden schließlich 1963 durch das Moskauer Atomteststoppabkommen verboten. Zu diesem Zeitpunkt waren aber bereits weltweit Ökosysteme verstrahlt.
Internationale Protestbewegungen setzen sich bis heute gegen Atomwaffen ein. Sie erreichten, dass die UN-Generalversammlung 2017 den Atomwaffenverbotsvertrag verabschiedete, laut dem das Testen, die Herstellung und der Besitz von Atomwaffen illegal sind. Stand 2021 haben diesen Vertrag 55 Länder ratifiziert, Atommächte wie die USA oder Russland allerdings nicht. Es bleibt zu hoffen, dass auch diese Länder bald auf die Stimme der Wissenschaft hören.

3. Vulkanausbruch Volcán de Fuego in Guatemala

Wenn man in der Nacht auf den Volcán de Fuego (zu Deutsch: Feuervulkan) schaut, dann sieht man alle paar Minuten orange-rote Lava am Himmel leuchten. Für jeden, der sich weit genug entfernt befindet, ist es ein ungefährliches Naturspektakel. Doch der Vulkan unweit von Guatemala-Stadt birgt große Risiken.
Am 3. Juni 2018 warnten Geolog:innen um 6 Uhr morgens vor einer größeren Eruption, die kurz bevorstand. Solche Vorkommnisse kommen in Guatemala öfters vor. Der staatlich organisierte Katastrophenschutz CONRED stufte die erhöhte Aktivität für die Dörfer am Hang des Vulkans als unbedenklich ein. Zu schnell, wie sich bald herausstellte.
Erst um 15 Uhr wurde die Evakuation der ersten Dörfer eingeleitet. Um diese Uhrzeit hatten die Lava und die pyroklastischen Ströme schon einige dieser Dörfer unter sich begraben.
Doch die Gefahr des Vulkans wurde vom Staat nicht nur auf fahrlässige Weise unterschätzt. Als erstes wurden jene Stellen evakuiert, die wirtschaftlich von Bedeutung und bei Touristen beliebt sind. Menschen an Orten, die bedrohter waren, wurde erst später Hilfe angeboten.
Offiziell gibt es 190 Verstorbene und 256 Vermisste. Manche Schätzungen belaufen sich jedoch auf bis zu 2.900 tödlich Verunglückte. Der Staat hat sein Scheitern bis heute nur teilweise zugegeben.

Vulkanausbruch in Guatemala

Illustration 2: Der Ausbruch des Volcán de Fuego kostete viele Menschenleben. Die Wissenschaft warnte, doch wurde nicht ernst genug genommen. 

4. Der Aralsee

Der Aralsee war in den 1960er-Jahren mit einer Fläche von 68.000 km² der viertgrößte Binnensee der Welt. Heute sind weite Teile des Sees ausgetrocknet, nicht einmal 15 Prozent der Wasseroberfläche sind noch vorhanden. Während die Rückbildung des Wasserspiegels erst in den 1960er-Jahren begann, warnte der russische Wissenschaftler V. D. Tzinzerling bereits 1927 die sowjetische Regierung davor, die Flüsse Amurdarja und Syrdarja, die in den See flossen, für die Bewässerung von Ackerflächen abzuleiten. Doch seine Warnungen wurden ignoriert, da durch das Wasser der beiden Zuflüsse wichtige Baumwollfelder bewässert werden konnten. Die Folgen der Austrocknung des Aralsees und die damit einhergehende Versalzung des Wassers sind für Mensch und Umwelt verheerend. So ist etwa die Anzahl der Fischarten stark zurückgegangen und über den ausgetrockneten und mit Düngemitteln und Pestiziden belasteten Boden wird gesundheitsgefährdender Staub freigesetzt. Die wohl beeindruckendste Folge der Austrocknung ist der Aralkum. Er ist die jüngste Wüste unserer Erdgeschichte. Das Aralsee-Desaster kann als eine der größten, vom Menschen verursachten Umweltkatastrophen eingeordnet werden.

Die Veränderungen des Aralsees

Illustration 3: Der Mensch wollte den Aralsee und seine Flüsse für seine Zwecke nutzen -  am Ende verschwand er fast vollständig. 

5. Der Tod des Sokrates

Viele Wissenschaftler:innen wurden Opfer autoritärer Politik. Ihr Kampf um Wahrheit ist auch heute noch in einigen Staaten teilweise lebensgefährlich.
Als der erste bekannte Denker, der für die Suche nach Weisheit sein Leben ließ, darf wohl Sokrates gelten. Zu einer Zeit, in der Philosophie noch als Königsdisziplin der Wissenschaft galt und sowohl Natur- als auch Geisteswissenschaften unter sich vereinte, war Sokrates der bedeutendste Denker Athens. Im florierenden Stadtstaat wurde Bildung ein hoher Stellenwert beigemessen. Aber nur, solange sie sich nicht mit dem herrschenden System widersprach.
Die ersten Philosophen wie Thales hatten sich vor allem mit der Natur beschäftigt. Mit Sokrates begann eine Wandlung im philosophisch-wissenschaftlichen Denken. Er analysierte die Gesellschaft, in der er lebte, und hinterfragte kritisch ihre Moral- und Regierungsvorstellungen.
Das wollten die Politiker nicht dulden. Weil er mit seinen Lehren die Jugend verdarb, wurde ihm der Prozess gemacht und er wurde schließlich zum Tod durch den Schierlingsbecher verurteilt.
Von Sokrates selbst wissen wir nur durch die Schriften seines Schülers Platon. Doch sein Beispiel eines kritischen Denkers, der die Suche nach Wahrheit und das konsequente Hinterfragen gesellschaftlicher Verhältnisse über alles andere stellt, setzt ihn an den Beginn einer langen Reihe von Denker:innen und Wissenschaftler:innen, die ihre Freiheit oder sogar ihr Leben geben mussten im Versuch, auf unbequeme Erkenntnisse hinzuweisen.

Fakt 1:
- Ein Artikel über die Vorwürfe der britischen Forscherin Hannah Cloke über mangelnden Katastrophenschutz (Tagesspiegel)

Fakt 2:
- Ein Bericht über den Test der Atombombe bei der Insel Bikini Atoll (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization, englisch)
- Ein Bericht über das Manhattan-Projekt (US Departement of Energy, englisch)
- Ein Paper zu Tests von Nuklearwaffen und deren Auswirkungen auf die Umwelt (englisch)

 Fakt 3:
- Bericht über den Vulkanusbruch und die Frage, ob die Evakuierung hätte besser verlaufen müssen (BBC, englisch)

Fakt 4:
- Glantz, M. H., & Zonn, I. S. (2005). The Aral Sea: water, climate and environmental change in Central Asia. World Meteorological Organization (WMO).

Fakt 5:
- Über Sokrates' Prozess und Tod kann man in Platons Dialogen Phaidon, Kriton und der Apologie nachlesen.
- In diesem Artikel gibt es eine kurze Zusammenfassung über den Prozess. (Planet Wissen)

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