Fashion Influencer

Influencer:innen auf Social Media beeinflussen immer stärker unsere Kaufentscheidungen. Welche psychologischen Tricks dahinterstecken und warum das zu Problemen führen kann, erfährst du in diesem Beitrag. 

Es ist ein bekanntes Muster, wenn wir gedankenlos unsere Social-Media-Feeds durchscrollen: Plötzlich taucht jenes Kleid auf, das wir für das Frühjahr unbedingt haben müssen. Oder wir sehen eine neue Jeans, die so viel bequemer ist als alles, was man sich sonst um die Beine schlingen kann. Vorgestellt und angepriesen werden die Produkte von Fashion-Influencer:innen.

Ein eindrucksvolles Beispiel, wie Werbung über Influencer:innen funktioniert, sind die sogenannten SHEIN Hauls, bei denen Influencer:innen dutzende Kleidungsstücke der chinesischen Ultra-Fast-Fashion-Brand SHEIN bestellen.
Die riesigen Lieferungen werden anschließend ausgepackt, anprobiert und die Videos davon auf YouTube und TikTok-Kanälen hochgeladen. Dieses exzessive Shoppen soll unter den Follower:innen ein Verlangen nach einem größeren Kleiderschrank auslösen.

In der Folge kommt es zu Überkonsum – gerade in Zeiten der Klimakrise ein höchst problematisches Verhalten.
Warum bewerben Fashion Brands ihre Produkte so gerne über Influencer:innen? Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse liefern Erklärungsansätze dafür und decken auf, wie wir (Kauf-) Entscheidungen treffen.

Unsicherheit als lähmender Faktor

Die Kleidungsauswahl im Onlinehandel scheint schier unendlich. Auf der Website von H&M stehen 2.595 Damen-Tops zur Auswahl (Stand 14.10.2022) – auf anderen Webseiten wird der Umfang der Kollektion gar nicht erst angegeben. Auf den ersten Blick scheint das große Sortiment eine positive Qualität des Onlinehändlers zu sein. Es birgt aber auch zwei Nachteile.

Der erste ist, dass Konsument:innen schlechtere Entscheidungen treffen, wenn sie mit einer zu großen Auswahl konfrontiert sind (Phillips & Wren, 2020). Das bedeutet sie entscheiden sich weder für die optimale Quantität (weder zu viel noch zu wenig), noch Qualität (genau jenes Stück finden, das mir gefällt) der Produkte.
Diese schlechten Entscheidungen allein sind allerdings kein Nachteil für Fashion Brands, da sie damit auch Umsatz machen könnten. Denn wer mit seiner Auswahl unglücklich ist, kauft einfach noch mal ein.

Unsicherheit vor dem Kleiderschrank

Was soll man bloß anziehen? Eine Überauswahl vergrößert unsere Unsicherheit - und kann dazu führen, dass wir uns gelähmt fühlen - gekauft wird dann nichts 

Es kann aber passieren, dass Konsument:innen Unsicherheit verspüren, wenn sie das Gefühl haben, keine optimale Entscheidung treffen zu können. Und bei 2.595 Damen-Tops ist es nahezu ausgeschlossen, dass man sich für das eine, richtige entscheidet.
Diese Unsicherheit kann zu Unzufriedenheit und in weiterer Folge zu einem Konsumstopp führen. Das wäre also schlecht für Fashion Brands. Unsicherheit bei der Kaufentscheidung kann aber überwunden werden – eine wesentliche Rolle dabei spielen Influencer:innen.

Überwindung der Unsicherheit

Die Folge eines zu großen Sortiments ist also, dass Konsument:innen Entscheidungen unter Unsicherheit treffen müssen. In diesen Situationen können nicht alle relevanten Informationen verarbeitet werden, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Das kann dazu führen, dass wir kognitive Abkürzungen – sogenannte Heuristiken – anwenden, die uns bei der Entscheidungsfindung unterstützen.

Somit wird unsere kognitive Belastung gesenkt und es fällt uns schlussendlich leichter, ein Produkt in den Warenkorb zu legen. Ein weiteres Beispiel, wie wir Entscheidungen in komplexen Situationen treffen, kannst du in diesem alexandria erklärt nachlesen.

Eine mögliche Abkürzung bei der Entscheidungsfindung ist es, andere Menschen in der gleichen Situation zu beobachten und deren Verhalten nachzuahmen. Das kann durchaus hilfreich sein, etwa, wenn wir nicht wissen, wo der Eingang zu einem Gebäude ist und wir uns daran orientieren, an welcher Stelle andere das Gebäude betreten.

Dieses Phänomen wird vom US-Amerikanischen Psychologen Robert Cialdini als social proof bezeichnet (2009). Es fällt uns leichter, unser eigenes Verhalten zu rechtfertigen, wenn wir dasselbe tun wie andere. Dieses Phänomen wissen Marketingexpert:innen auszunützen. So bewirbt man etwa ein Produkt als das „meistverkaufte“. Dadurch wird der Eindruck erweckt, dass es sozial akzeptiert - wenn nicht sogar erwünscht – ist, dieses Produkt zu kaufen.

Die Rolle der Influencer:innen

Unter das Phänomen des social proof fällt auch, wenn Freund:innen oder Bekannte ein Produkt weiterempfehlen. Um diesen Effekt auszunutzen, verwenden Fashion Brands Influencer:innen als Multiplikator. Ihnen werden ähnliche Level an Vertrauen geschenkt wie Freund:innen (Swant, 2016) und sie verfügen obendrein über eine hohe Reichweite auf ihren Social-Media-Kanälen.

Außerdem werden sie als attraktiv wahrgenommen und ihre Follower:innen identifizieren sich mit ihnen (Lou & Yuan). Das wirkt sich wiederum positiv auf das Vertrauen der Follower:innen in die beworbenen Marken aus.
Dieses gewonnen Vertrauen hilft uns dabei, die durch das große Sortiment entstandene Unsicherheit zu überwinden und beeinflusst unsere Kaufentscheidung positiv. Dadurch sind Influencer:innen eine idealen Werbefläche für Fashion Brands.

Kleidermüll

Bilder, die man weniger oft auf Social Media sieht: Überkonsum führt dazu, dass zahlreiche Kleidung weggeschmissen wird - bei Produktion und Entsorgung wird der Umwelt geschadet

Die Schattenseite

Ultra-Fast-Fashion-Brands wie SHEIN erwirtschaften ihre Gewinne über sehr hohe Verkaufszahlen, da ihre Margen (die Differenz zwischen Produktionskosten und Verkaufspreis) gering sind – sie profitieren daher von Überkonsum.

Die dafür benötigte Produktion führt zu höheren CO₂-Emissionen und treibt somit die Klimakrise weiter voran. Daher ist es als Konsument:in umso wichtiger, zu reflektieren, wie wir zu unseren Kaufentscheidungen kommen.

Aus der Perspektive der Influencer:innen ist es verständlich, dass sie ihre Reichweite ausnutzen wollen, um Markenbotschafter:innen zu werden und damit Geld zu verdienen. Außerdem profitieren auch gemeinnützige Organisationen davon, wenn bekannte Influencer;innen mehr Aufmerksamkeit für wichtige gesellschaftliche Themen kreieren.

Influencer:innen müssen jedoch verantwortungsvoll mit ihrem Einfluss umgehen: Wenn sie etwa Werbung für Ultra-Fast-Fashion machen, tragen sie Mitverantwortung für den problematischen Überkonsum.

Ein Video über die dubiosen Verbindungen zwischen SHEIN und Inflencer:innen: Exposed: Wie Influencer sich an SHEIN verkaufen (Simplicissimus)

Cialdini, R. B., & James, L. (2009). Influence: Science and practice (Vol. 4). Boston:
     Pearson education.
Lou, C., & Yuan, S. (2019). Influencer marketing: how message value and credibility affect
     consumer trust of branded content on social media. Journal of Interactive Advertising,
     19
(1), 58-73.
Phillips-Wren, G., & Adya, M. (2020). Decision making under stress: The role of
     information overload, time pressure, complexity, and uncertainty. Journal of Decision
     Systems, 29
(1), 213-225.
Swant, M. (2016). “Twitter Says Users Now Trust Influencers Nearly As Much As Their
     Friends,” Adweek. http://www.adweek.com/digital/twitter-saysusers-now-trust
     influencers-nearly- much-their-friends-171367/
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