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Dreht sich der Erdkern tatsächlich nicht mehr, wie es in jüngster Vergangenheit zu lesen war? Und was bedeutet das? Das erklärt dir dieser alexandria-Beitrag!  

Warum das wichtig ist:
Vor einigen Wochen breitete sich eine Nachricht in den Medien aus wie ein Lauffeuer: Der Erdkern bewegt sich nicht mehr, hat seine Drehrichtung geändert oder dreht sich plötzlich langsamer. Grundlage hierfür ist ein wissenschaftliches Paper von zwei Geologen der Universität Peking. Was gefährlich klingt, hat höchstwahrscheinlich für den Menschen keine spürbaren Konsequenzen.

In dem Buch „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ von Jules Verne (1864) kämpfen sich die Helden ihren Weg durch das Innere unseres Planeten. Sie überqueren ein unterirdisches Meer auf einem Floß, müssen sich gegen Dinosaurier erwehren, werden von riesigen Kristallen umkreist. Professor Lidenbrock entdeckt auf seiner Expedition eine andere Welt, die gefährlich, heiß und von Monstern bewohnt ist.

Das rätselhafte Innere der Erde

Der tatsächliche Mittelpunkt der Erde hat höchstwahrscheinlich nur wenig mit dem Buch gemein. Doch Fakt ist: Der Mensch kennt die Planeten unseres Sonnensystems um ein Vielfaches besser als das Zentrum des eigenen. Denn Mantel und Kern sind zumeist nur indirekt untersuchbar – beispielsweise über Erdbebenwellen. Auf diese Weise können Wissenschaftler:innen mit großer Sicherheit behaupten, dass im Erdinneren keine blutrünstigen Dinosaurier lauern.

Doch viele der Prozesse, die im Erdmantel oder -kern geschehen, sind bis heute noch ein Geheimnis. Unter anderem zählt hierzu die Rotation des inneren Erdkerns, die vor Kurzem Schlagzeilen machte, weil sie angeblich zu einem Halt gekommen ist. Das klingt nach einer dramatischen Wendung – ist es das allerdings wirklich?

Die Superrotation des inneren Erdkerns

Um das Thema genauer zu betrachten, sollte vorab der Aufbau der Erde erklärt werden. Der blaue Planet wird in vier Abschnitte eingeteilt: in die Kruste, den Mantel, den äußeren und den inneren Erdkern.

Aufbau der Erde

Die Erde ist aus verschiedenen Schichten aufgebaut, die alle unterschiedliche Eigenschaften aufweisen: Erdkruste, Erdmantel, äußerer und innerer Erdkern.

Alle diese Bereiche befinden sich in ständiger Bewegung. Der heiße äußere Erdkern ist flüssig; durch die großen Massen von Metall, die in ihm zirkulieren, entsteht beispielsweise das Magnetfeld der Erde, das vor kosmischen Strahlungen schützt.

Doch nicht nur der äußere, sondern auch der innere Kern rotiert. Der Mittelpunkt unserer Erde ist ungefähr 5700 Grad Celsius heiß, aber der Druck ist so exorbitant hoch, dass das Material trotzdem fest ist.

Die Bewegung des inneren Erdkerns wird auch als „Superrotation“ bezeichnet, da ihre Geschwindigkeit üblicherweise höher ist als die der restliche Erde. Einige Forscher:innen kamen zu dem Schluss, dass sich der innere Kern im Normalfall um ein Grad pro Jahr schneller bewegt als der Mantel (Song & Richards, 1996). Doch genau diese Superrotation soll laut einigen Medien angehalten haben.

Ist ein bewegungsloser Erdkern eine reale
Bedrohung?

Jeder Mensch, der den Katastrophenfilm „The Core“ aus dem Jahr 2003 gesehen hat, wird bei dieser Schlagzeile hellhörig. Der Film bedient sich der Theorie des erstarrenden Erdinneren, das schreckliche Naturereignisse – wie das Sterben aller Vögel – auslöst. Es handelt sich dabei tatsächlich um ein Ereignis, das der Menschheit irgendwann zum Verhängnis werden könnte: Der Mars ist unter anderem deshalb unbewohnbar, weil sein Innerstes auskühlte und erstarrte.
„The Core“ zeigt allerdings zum größten Teil falsche oder zu stark ausgeprägte Konsequenzen – und basiert außerdem auf dem Erstarren des äußeren Erdkerns.

Das wissenschaftliche Paper, das der Auslöser der Schlagzeilen (vgl. Ö24, Kleine Zeitung, Euronews) Ende Januar war, wurde von den Geologen Yi Yang und Xiaodong Song der Universität Peking veröffentlicht.

Erdbebenwellen sind ausschlaggebend

Bei ihrer Untersuchung analysierten die beiden Forscher Erdbebenwellen der letzten 87 Jahre, speziell seit dem Jahr 1994. Sie verglichen die Zeiten, mit denen die Wellen von ihrem Ausgangspunkt durch das Erdzentrum bis hin zur anderen Seite des Planeten reisten. Vom Ursprungsort bis zum Endpunkt sollten sich die Wellen stets mit der gleichen Geschwindigkeit ausbreiten.

Erdbebenwellen

Das Hypozentrum ist jener Ort in der Erde, an dem das Erdbeben ausgelöst wird. Die Wellen breiten sich, vereinfacht dargestellt, auf diese Weise aus.

Doch bald bemerkten die Geologen, dass sich die Zeit ab dem Jahr 2009 um einen Bruchteil verändert hatte. Sie konstatierten, dass sich etwas im Erdinneren verändert haben musste. Durch ihre Berechnungen kamen sie zu dem Schluss, dass die Superrotation des inneren Erdkerns zum Erliegen gekommen sein musste (Yang & Song, 2023).

Das bedeutet allerdings keinesfalls, dass sich der innere Erdkern nicht mehr bewegt. Höchstwahrscheinlich rotiert das Zentrum der Erde nun langsamer oder gleich schnell wie der Rest des Planeten.

Diese Veränderung der Geschwindigkeit der Erdbebenwellen konnte auch schon zu früheren Zeiten festgestellt werden. Manche Wissenschaftler:innen gehen deshalb von einem Intervall aus, in dem sich der Erdkern schneller oder langsamer dreht. Laut der Analysen von Yang und Song könnte dies etwa alle sechzig bis siebzig Jahre der Fall sein – für die Geologie eine sehr kurze Zeitspanne.

Auswirkungen der Rotationsveränderung

Die Konsequenzen sind geringer ausgeprägt, als sie in „The Core“ gezeigt werden. Doch eine Auswirkung stimmt tatsächlich mit dem Film überein: Das Magnetfeld der Erde hat sich modifiziert. Allerdings geschah dies in einem so geringen Maß, dass es keine Auswirkungen auf die Menschheit hat.

Gleichzeitig veränderte die Verlangsamung der Superrotation auch die Tageslänge, weil das Trägheitsmoment der Erde beeinflusst wurde. Deshalb dreht sich der gesamte Planet ein wenig langsamer als zuvor und die Tage sind somit um den Bruchteil einer Sekunde länger.

Yang und Song sprechen auch weitere Phänomene an, die scheinbar im Zusammenhang mit dem Geschwindigkeitswechsel stehen: So ist beispielsweise alle siebzig Jahre eine Veränderung der mittleren Temperaturen auf der gesamten Erde festzustellen. Ob es hier wirklich einen Verbindung gibt, ist bis jetzt nicht bewiesen.

„Diese Beobachtungen liefern Hinweise auf dynamische Wechselwirkungen zwischen den Schichten der Erde, vom tiefsten Inneren bis zur Oberfläche, möglicherweise aufgrund von gravitativer Kopplung und des Drehimpulses“, schreiben die Wissenschaftler im Abstract ihres Papers (Yang & Song, 2023).

Keine Gefahr

Allerdings ist die Theorie der Superrotation unter Forschenden sehr umstritten. Einige Wissenschaftler:innen sind der Meinung, dass diese gar nicht existiert, während andere der Superrotation ganz andere Eigenschaften zusprechen als die hier aufgezählten. Auch die beschriebenen Auswirkungen werden in der Wissenschaftswelt diskutiert.

Doch eines ist sicher: Das Erdinnere ist höchstwahrscheinlich nicht stehen geblieben und dementsprechend gibt es auch Entwarnung für die Menschheit. Ein erstarrter Erdkern wird jedenfalls in nächster Zeit nicht zur Auslöschung unserer Spezies führen.

Dieser Text wurde dankenswerterweise von Die Fehlerwerkstatt Korrektur gelesen.

Spektrum: Dreht sich der Erdkern noch? zuletzt abgerufen am 29.03.2023

Song, Xiaodong, Richards, Paul G. (1996). Seismological evidence for differential rotation
     of the Earth’s inner core. Nature, 382
, 221-224.
Yang, Yi, Song, Xiaodong (2023). Multidecadal variation of the Earth’s inner-core rotation.
     Nature Geoscience, 16
, 182-187.

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