Lebensqualität Rankings Wien

Welches Ranking lebenswerter Städte man auch betrachtet, Wien befindet sich immer im Spitzenfeld. In den Rankings des Wirtschaftsmagazins The Economist, des Lifestyle-Magazins Monocle und des Beratungsunternehmens Mercer liegt Wien sogar an erster Stelle und verweist Städte wie Zürich, Melbourne oder Kopenhagen auf die Plätze. In diesem Vollwissen werden wir die Indizes, die vorgeben, die Lebensqualität einer Stadt messen zu können, unter die Lupe nehmen, um eine Antwort auf die Frage zu finden: Ist Wien wirklich die lebenswerteste Stadt der Welt?

Dieser Beitrag ist eine Reihe des Themenschwerpunkts Wien: eine Untersuchung, in dem wir uns aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven mit der schönsten Stadt der Welt auseinandersetzen.

Wie kann Lebensqualität gemessen werden?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir erst verstehen, wie die Lebensqualität überhaupt gemessen wird. Hier stoßen wir schon auf den ersten Kritikpunkt: die fehlende Transparenz der Rankings.
Weder The Economist, Monocle noch Mercer geben klar an, welche Kriterien sie verwenden, woher sie ihre Daten beziehen und wie sie die einzelnen Kriterien gewichten (Cramer-Greenbaum, 2021). Durch diese fehlende Transparenz ist nicht nachvollziehbar, wie die verschiedenen Rankings zu ihren Ergebnissen kommen. Streng wissenschaftlich betrachtet, dürften wir die Ergebnisse also gar nicht verwenden.

Obwohl die oben erwähnten methodischen Mängel schwerwiegend sind, werden die Rankings trotzdem gerne für Publicity und politische Werbung verwendet, was auch nachvollziehbar ist – schließlich hinterfragt man ungern Rankings, bei denen man auf Platz 1 aufscheint. Daher ist es umso wichtiger, ein kritisches Auge auf diese Rankings zu werfen.

Wir stehen jedoch nicht zur Gänze im Dunkeln, welche Kriterien von Mercer und Co. angewendet werden, da die Herausgeber:innen schemenhafte Listen ihrer Kriterien anführen. Aus diesen konnten Forscher:innen iranischer und australischer Universitäten in einem Scoping Review, einer Methode, die angewandt wird, um einen Überblick über die bestehende Literatur zu erlangen, fünf Kategorien ableiten, die zur Feststellung von Lebensqualität dienen.

Dabei handelte es sich um die Bereiche Wirtschaft, Umwelt, Institutionen, Soziales und Governance (Politik). Auch die Sub-Bereiche Umweltfreundlichkeit, Nachhaltigkeit, soziokulturelle Bedingungen, wirtschaftliche Dynamik und Wettbewerbsfähigkeit werden oft in Rankings berücksichtigt (Khorrami et al., 2021).

Diese Bereiche wirken auf den ersten Blick schlüssig, schließlich würden die meisten gerne in einer Stadt mit ausreichend Arbeitsplätzen und stabilen politischen Verhältnissen wohnen. Ein wichtiger Punkt wird in den Rankings jedoch systematisch vernachlässigt, was sich durch deren Zielgruppe erklären lässt …

Lebensqualität muss man sich leisten können

Zielgruppe der Rankings lebenswerter Städte sind nach Angaben der Herausgeber:innen Expatriates, also Menschen, die im Ausland leben und arbeiten, meist Fachkräfte internationaler Organisationen oder Unternehmen. Daher werden die Rankings gerne als „Manager-Rankings“ bezeichnet.

Wenn die Zielgruppe der Rankings gut verdienende Arbeitskräfte sind, stellt sich die Frage: Wer kann sich diese lebenswerten Städte leisten? Dieser Frage ging auch Susannah Cramer-Greenbaum von der ETH Zürich in einer Publikation im International Journal of Urban Sustainable Development (2021) nach.

leistbares Wohnen Wien

Für viele Menschen stellt sich die Frage, wie sehr das Leben in Städten leistbar ist - dieser Punkt wird in Rankings meist nicht berücksichtigt.

Während Mercer die Lebenshaltungskosten (wenn auch nicht klar definiert) in ihr Ranking einbezieht, widmet The Economist zwar der Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigem Wohnraum einen kleinen Teil, berücksichtigt aber nicht die Wohnkosten (Mercer, 2023; The Economist Intelligence Unit, 2023).

Diese Kriterien können jedoch eine umfassende Bewertung der Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Wohnraum nicht ersetzen. Laut Cramer-Greenbaum müssten die Wohnkosten unbedingt Teil der Bewertung sein, da ein erheblicher Teil des Einkommens für sie ausgegeben wird. In Österreich etwa gibt jede:r Zehnte über 40 Prozent des Einkommens fürs Wohnen aus (Statistik Austria, 2022). Man könnte also sagen, dass Wien nur die lebenswerteste Stadt der Welt ist, wenn das Einkommen keine Rolle spielt.

Ist Wien sogar noch lebenswerter als gedacht?

Was wäre also, wenn die Lebenshaltungskosten in die Rankings einfließen würden? Wahrscheinlich würde Wien auch in diesem verbesserten Ranking einen Spitzenplatz einnehmen, da es von einem der Hauptkritikpunkte weniger betroffen wäre als andere Städte: der Erschwinglichkeit von Wohnraum.

Laut der Online-Plattform Numbeo liegt Wien bei den durchschnittlichen Mietkosten pro m² nur auf Platz 132. Zürich (Platz 13), Melbourne (Platz 58) und Kopenhagen (Platz 50) wären von diesem Kriterium stärker betroffen, sie könnten also keinen Boden auf Wien gut machen.

Wien am Podest

Im Ranking des Wirtschaftsmagazins The Economist liegt Wien seit Jahren unangefochten auf dem ersten Rang vor Kopenhagen und Melbourne.

Rankings sind nicht das Wichtigste

Insgesamt weisen die verschiedenen Rankings, die Wien regelmäßig als die lebenswerteste Stadt der Welt ausweisen, einige methodische Mängel und Undurchsichtigkeiten auf. Dies erschwert es, aus wissenschaftlicher Sicht abzuleiten, ob Wien wirklich den Spitzenplatz verdient. Insbesondere die mangelnde Transparenz hinsichtlich der Kriterien, Erhebungsmethoden und Gewichtungsfaktoren der Rankings wirft Fragen auf und macht eine verlässliche Bewertung unmöglich.

Schlussendlich muss aber jede:r für sich selbst entscheiden, welche die lebenswerteste Stadt ist. Auch eine objektive Messung, die sämtliche Kriterien einschließt, wäre nur bedingt aussagekräftig, da verschiedene Kriterien für jede:n unterschiedlich wichtig sind. Die Rankings können also nur eine vage Einschätzung geben, wo es sich gut leben lässt. Für die einen ist Wien aufgrund seines berüchtigten Windes unerträglich, für die anderen tatsächlich: die lebenswerteste Stadt der Welt.

Khorrami, Z., Ye, T., Sadatmoosavi, A., Mirzaee, M., Fadakar Davarani, M. M., &
     Khanjani, N. (2021). The indicators and methods used for measuring urban liveability: a
     scoping review. Reviews on environmental health, 36(3), 397-441.
Cramer-Greenbaum, S. (2021). Who can afford a ‘livable’place? The part of living global
     rankings leave out. International Journal of Urban Sustainable Development, 13(1),
     70-82.
The Economist Intelligence Unit (2023). The Global Liveability Index 2023. The
     Economist Intelligence Unit, London.

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