Flat_Earth

Die Erde ist kugelförmig. Doch in den letzten Jahren findet man in sozialen Netzwerken immer öfter Vertreter der Flat-Earth-Theorie. Diese besagt, dass die Erde eigentlich eine Scheibe ist - und wir alle einem großen Irrtum aufsitzen. Woher dieser Irrglaube kommt, warum Menschen so überzeugt davon sind und warum er problematisch ist, könnt ihr hier lesen.

Der britische Fantasy-Autor Terry Pratchett ist berühmt geworden mit seinen Romanen rund um die Scheibenwelt. In ihr passieren allerlei seltsame (und ungemein unterhaltsame) Dinge, doch das merkwürdigste ist die Form der Welt: Sie ist eine Scheibe, die von vier Elefanten getragen wird, die wiederrum auf dem Rücken einer gigantischen Schildkröte stehen.
Natürlich glaubte Terry Pratchett nicht wirklich, dass eine solche Welt existieren könnte. Vielmehr wollte er sich lustig machen über die schon zu seiner Zeit kursierenden Meinungen, wonach die Erde eigentlich eine Scheibe sei - und die meisten Menschen nur zu "verblendet", um das zu erkennen. Dabei hätte sich Pratchett wohl selbst nie vorstellen können, welche Reichweite diese absurde Idee in Zeiten des Internets gefunden hat.

Die Erde war schon immer eine Kugel

Schon in der Antike – und vermutlich, seit Menschen in Gemeinschaften leben – gab es seltsame, krude Theorien, die nicht nur dem Stand der Wissenschaften widersprechen, sondern oft auch dem common sense. Eine der berühmtesten ist die Behauptung, dass die Erde nicht eine Kugel sei – sondern eine flache Scheibe.
Menschen haben schon immer darüber nachgedacht, welche Form die Erde, auf der sie leben, haben könnte. Der alexandria-Artikel „Die Kugelgestalt der Erde“ zeigt, wie die Suche nach der richtigen Form der Erde eine der ersten großen Leistungen der Wissenschaft war. Denker wie Pythagoras, Platon und Aristoteles waren sich einig: Die Erde muss eine Kugel sein. Und sie hatten auch gute Gründe dafür, wie ihr in dem Artikel nachlesen könnt.
Doch natürlich gab es seit jeher auch zahlreiche andere Ideen. Im Alten Testament findet sich etwa eine Stelle, die darauf hindeutet, dass die Erde flach ist. Im Buch Jesaja heißt es: „Er ist es, der da thront über dem Kreise der Erde...“ Die Übersetzung ist problematisch: Das hebräische Wort für "Kreis" kann auch mit "Kugel" übersetzt werden, und tatsächlich ist in modernen Fassungen der Bibel von „Erdenrund“ die Rede. Doch einige Flat-Earther berufen sich seit jeher auf diese Stelle, am prominentesten wohl die sogenannte Flat-Earth-Society. Bereits seit dem 19. Jahrhundert vermehrten sich Stimmen, die aus religiösen Gründen die Kugelgestalt der Erde ablehnten. Das hatte mehrere Gründe: Vor allem wollten die Flat-Earthers nicht akzeptieren, dass die Erde als Kugel in unserem bekannten Universum nicht mehr im Mittelpunkt steht. Sie sahen darin eine Verletzung von Gottes Allmacht. Einer der Präsidenten der Flat-Earth-Society, Charles Johnson, versuchte sich und seine Weltanschauung in einem Artikel der New York Times zu erklären: Eine flache Erde sei doch nur logisch, immerhin gibt es auf der Welt kein „Oben und Unten“. Seine Frau etwa, die aus Australien kam, das bei einer Kugelgestalt der Erde „unten“ sein müsste, stand dort auch nicht auf dem Kopf. Das Konzept der Gravitation wollte Johnson nicht einleuchten.

Dunkles Mittelalter, helle Gegenwart?

Dabei muss man wissen, dass die kugelförmige Erde über die Jahrhunderte hindurch von allen Seiten akzeptiert wurde - auch im Mittelalter. So hat etwa der Romanist Reinhard Krüger eine Vielzahl von Texten aus dem Mittelalter ausgewertet. Dabei hat er erkannt: Dass die Vorstellung einer flachen Erde im Mittelalter vorherrschend war, ist ein Mythos, der erst in der Neuzeit entstand. Damit wollte man sich vom „dunklen“ Mittelalter abheben und die eigene Zeit aufwerten. Doch zumindest was die Form der Erde angeht, lagen die Astronomen und Denker des Mittelalters richtig: Die Kugelform der Erde war allgemein be- und anerkannt. Die allbekannte Debatte drehte sich eher um die Position der Erde innerhalb des Universums: Hier vertrat die Kirche lange Zeit das geozentrische Weltbild, das die Erde im Zentrum des Universums positionierte. Doch die Kugelform der Erde wurde nur von den wenigsten Theologen angezweifelt. 

Dennoch sind in den letzten Jahren Theorien über eine flache Erde, vor allem in den sozialen Netzwerken, wieder vermehrt aufgetaucht. Religiöse Überzeugung scheint noch immer, wie bei der Flat-Eart-Society, eine große Rolle zu spielen, wie eine Umfrage von YouGov ergeben hat. Doch auch aus ganz anderen Gründen kann man zu einem überzeugten „Flat-Earther“ werden. In einem Bericht von CNN ist über eine Flat-Earth-Konferenz in Dallas, US, mit über 600 Teilnehmern zu lesen, die 2019 abgehalten wurde. Dort waren Vorträge zu finden wie „Space is Fake“. Zusammen mit der Annahme einer flachen Erde werden weitere Überzeugungen geteilt: Etwa dass sich die Welt nicht dreht, der Weltraum nicht existiert und die Mondlandung eine einzige große Lüge war. Auch die Gravitationskraft wird angezweifelt – immerhin hat sie noch nie jemand gesehen, wie Robbie Davidson, der Organisator der Flat-Earth-Messe in Dallas, meinte.
Was unweigerlich nach einer absurden Performance klingt, verdeckt ein größeres Problem. Was viele Flat-Earther eint ist ein Stolz, nicht an das zu glauben, was im „Mainstream“ verbreitet wird. Sie sehen sich als kritische, selbstdenkende Geister und in diesem Sinne auch nicht als wissenschaftsfeindlich. Sie glauben nur nicht an das, was Expert:innen und anerkannte Wissenschaftler:innen behaupten – schon gar nicht, wenn es auch die vorherrschende Meinung in der Politik ist.
Dabei ist wichtig zu verstehen, dass kritisches Denken nicht bedeutet, partout gegen alles zu sein, was allgemein anerkannt ist. Oftmals weiß man nicht, wie Wissenschaftler:innen arbeiten und was Wissenschaft leisten kann (und was nicht). Das kann zu einem ausgeprägten Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Ergebnissen führen, da man sie nicht nachvollziehen kann. Auch wenn eigene Wertvorstellungen mit den wissenschaftlichen Fakten nicht übereinstimmen, beginnen Menschen, die Wissenschaft als „Lügenmaschinerie“ zu bezeichnen.

Sei kritisch - aber richtig

Skepsis kann ein gutes Instrument sein, um mehr über Dinge zu erfahren und sich genauer mit ihnen zu beschäftigen. Manchmal stellen sich dann auch als sicher geglaubte Überzeugungen als falsch heraus. Aber manchmal ist Skepsis auch nur ein Vorwand, Fakten und Tatsachen, die nicht ins eigene Weltbild passen, als Lügen abzutun. Hier muss sich jede:r selbst fragen, wie neutral man sich tatsächlich mit der Faktenlage auseinandergesetzt hat, mit welcher Methode die präsentierten Fakten recherchiert wurden und wie gut sie sich mit anderen Forschungsergebnissen vereinbaren lassen.
Tut man das, wird man schnell erkennen: Natürlich ist die Erde eine Kugel. Die Flat-Earth-Theorie ist aber aus anderem Grund interessant: Sie bringt uns zwar nicht weiter, wenn wir nach neuen Erkenntnissen über unsere Erde oder das Universum forschen; sie zeigt aber, wozu Misstrauen in Wissenschaft und Politik führen kann. Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass eine Gesellschaft darüber nachdenken muss, wie sie wissenschaftliche Ergebnisse verständlich an ihre Bürger:innen kommunizieren kann. Die NASA etwa hat ein Programm geschaffen, dass komplizierte astronomische Vorgänge für Schüler:innen aufbereitet. Einer der Beiträge befasst sich – natürlich – mit der Kugelgestalt unserer Erde.

- Der Historiker Roland Bernhard forscht in Oxford und beschäftigt sich mit dem Mythos, im Mittelalter habe man an eine flache Erde geglaubt: "Der Eingang des "Mythos der flachen Erde" in deutsche und österreichische Geschichtsschulbücher im 20. Jahrhundert" (ResearchGate)

In der Rubrik "Vollwissen" versorgt dich die alexandria-Redaktion wöchentlich mit Informationen rund um Fakten und Methoden der Wissenschaft. Wir erklären dir, wie du Statistiken richtig interpretieren kannst, wie Wissenschaft arbeitet und unterziehen auch Zitate, Theorien und Neuigkeiten einem Fakt-Check.
Du hast etwas auf Facebook gelesen, etwas in deinem Bekanntenkreis gehört oder ein YouTube-Video gesehen und bist dir nicht sicher, was du davon halten sollst? Schreibe uns an redaktion@alexandria-magazin.at und wir recherchieren für dich!

Neue Beiträge