Personen sitzen auf Treppen im Haus der Geschichte

Das Haus der Geschichte Österreich enthüllt die verborgenen Stränge der nationalen Vergangenheit in einem Raum, wo Geschichte lebendig wird und zur Diskussion steht. In seinen Hallen begegnen Besucher:innen unerwarteten Wendungen in der österreichischen Zeitgeschichte, verpackt in interaktive Ausstellungen, die zum Nachdenken und Mitgestalten einladen.

Von Artemis zu Karl Renner

Das „Haus der Geschichte“ passt nicht in sein Umfeld. Auf dem Weg in das Zeitgeschichte-Museum passiert man die majestätischen Türen der Neuen Burg und Schlangen von Student:innen, die auf einen heiß begehrten Platz in dem Lesesaal der Nationalbibliothek warten. Kurz vor dem Eingang in das Museum findet man sich in einer Antikensammlung wieder, umgeben von griechischen Statuen, ehe man in die lagerhausartige Ausstellung des Hauses der Geschichte kommt.

Wenige Schritte und eine Glastür später verlässt man das antike Griechenland und wird vor der Ausstellung im Foyer des Hauses der Geschichte mit einer Frage willkommen geheißen: „Was wünschen Sie sich vom Haus der Geschichte Österreich in Zukunft?“ Das Museum offenbart gleich zu Anfang eines seiner wichtigsten Anliegen: Die Bevölkerung soll an der Konstruktion von geschichtlichen Erzählungen teilhaben. Ein Museum für die Bevölkerung, von der Bevölkerung.

Interaktive Karten der Besucher, Frontalansicht

Jede:r kann die Frage beantworten, Papier und Stifte werden zur Verfügung gestellt. An der Wand kann man seine Antworten, für alle Besucher:innen einsehbar, platzieren. Die Umfrage wird unter dem Motto „Mehr Platz für Geschichte!“ durchgeführt und bezieht sich auf die Umsiedlung und Vergrößerung des Museums in die Räumlichkeiten des Museumsquartiers, die 2028 stattfinden werden.

Das Haus der Geschichte Österreich widmet sich der Geschichte Österreichs von der Gründung der ersten Republik 1918 und der Einführung der Demokratie in Österreich bis in die Gegenwart und ist damit das erste zeitgeschichtliche Museum des Bundes. Die Ausstellung beleuchtet die politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen durch historische Dokumente, Filme, Fotografien und interaktive Installationen.

Das Haus der Geschichte sieht sich selbst als „Ort der Vermittlung und Verhandlung österreichischer Geschichte und Geschichtsschreibung. Es schafft […] Räume für einen aktiven Austausch mit den Besucher:innen und Anspruchsgruppen.“ Besonderes Augenmerk schenkt das Museum unter anderem Menschenrechten, der Entwicklung von Demokratie, den Dynamiken der Zivilgesellschaft, aber auch die Mitverantwortung Österreichs am Nationalsozialismus und der „Konstruktion von Österreichbewusstsein“ – also die Vorstellungen dessen, was ein:e Österreicher:in ist.

In Bewegung

Ob der Lagerhaus-Stil des Museums nach der Umsiedlung erhalten bleibt, ist zu wünschen. Denn es ist dieser Stil, der das Haus der Geschichte lebendig wirken lässt: Hier ist etwas im Entstehen, noch nicht fertig. Man ist umgeben von metallenen Gerüsten auf Rollen und weißen Glasschaukästen. Durch die Ausstellung verteilt finden sich immer wieder interaktive Aufforderungen, die zu einer Diskussion anregen sollen. Im Haus der Geschichte wird man mit jedem Schritt und Blick daran erinnert, dass Geschichte gemacht wird, dass Geschichte nicht etwas Natürliches ist, das vom Himmel fällt oder aus der Erde wächst. Dass sich unser Blick auf die Vergangenheit in Zukunft ändern kann. Die provisorisch wirkenden Elemente sind auch eine geschickte Spiegelung der Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg – die Demokratie, die Erste Republik sind im Entstehen, werden erbaut.

Das neue Haus der Geschichte Österreich ist ein zeitgenössisches Laboratorium, das sich inmitten der kaiserlichen Repräsentationsarchitektur der Neuen Burg am Heldenplatz befindet.

Das neue Haus der Geschichte Österreich ist ein zeitgenössisches Laboratorium, inmitten der kaiserlichen Repräsentationsarchitektur der Neuen Burg am Heldenplatz. ©hdgö

Museen sind seit jeher wichtige Akteure in der Schaffung von nationalen Identitäten, insbesondere im 19. Jahrhundert waren sie an der Schaffung nationalstaatlichen Bewusstseins beteiligt. Die Etablierung von Nationalmuseen ging oft Hand in Hand mit der Entstehung eines Nationalstaates. Die britische Museologin Sharon Stone nennt historische Objekte „dreidimensionale Belege nationaler Einheit“, die „zur Etablierung oder Festigung der Vorstellung einer gemeinsamen Geschichte und Identität“ verhelfen. (Habsburg-Lothringen 2019, Ganahl 2014) Damit erklärt sich auch das lange Warten (Ideen für ein nationalstaatliches Museum gehen in die Erste Republik zurück) auf ein Museum der Geschichte des Landes: das Vielvölkerreich der Habsburger passte nicht in die Idee eines Nationalstaates.

Buntes Treiben

Die wohl meistgenutzte Station des Museums ist zugleich die bunteste: eine Wand voller Post-Its, die allen, die schon im Haus der Geschichte waren, im Gedächtnis bleibt. Unter der Überschrift „Wofür lohnt es sich zu kämpfen?“ werden Besucher:innen dazu eingeladen, ihre Antworten auf Post-Its zu schreiben und auf die Wand zu kleben. Die Post-Its bieten einen ungemein spannenden Einblick in die Köpfe der Besucher:innen und auf die Vielfalt ihrer Anliegen und scheint wie ein analoges Twitter – die Aussagen der Post-Its korrespondieren mit aktuellen Geschehnissen. Anfang Mai 2024 sind darunter viele Post-Its mit Antworten auf Ukrainisch oder Reaktionen auf den Krieg im Nahen Osten zu finden.

Bunte Zettel auf einer Pinwand

Was bleibt

Aber was passiert mit den tausenden Post-Its und den Wünschen? Eva Meran, Teamleiterin für Kulturvermittlung und Diskussionsforum des Haus der Geschichte, erklärt: Die Antworten der Besucher:innen werden gesammelt und in einem Depot aufbewahrt. Weggeworfen und entfernt werden nur sehr wenig, darunter Werbung für die eigenen Snapchat-Accounts oder gefährliche Aussagen. Die gesammelten Antworten dienen aber nicht nur dem Haus der Geschichte als Anregung, sondern stellen als Zeitdokumente einen Kernteil der Geschichtswissenschaft dar. Sie bieten Einblick in die Vielfalt von Meinungen, Interessen, Fragen, Sorgen.

Die Besucher:innen können sich sicher sein, dass ihre Vermerke gelesen und ernst genommen werden. Darunter von einer Station, an der Besucher:innen Fragen stellen können und andere Besucher:innen antworten – diese Papiere werden im Archiv so zusammengelegt und aufbewahrt, dass sie wie eine Konversation gelesen werden können. Besonders beschäftigt ist das Team der Vermittlung mit jenen Zetteln, die Wünsche und Erwartungen an das zukünftige Haus der Geschichte stellen.

Zetteln, die Wünsche und Erwartungen an das zukünftige Haus der Geschichte stellen.

Ständige Erneuerung und Reflexion über sich selbst sind wichtige Bestandteile der Geschichtsschreibung und somit auch des Hauses der Geschichte. Gegen Ende unseres Gespräches zu der Bearbeitung der interaktiven Reaktionen sagt Eva Meran: „Die Bewahrung und Auswertung ist laufend in Bearbeitung.” Laufend in Bearbeitung, ein „work in progress“, schlägt sich damit nicht nur in der Ausstellung nieder, sondern auch hinter den Kulissen des Museums. Immer in Bewegung bleibt die Geschichte und ihr Haus.

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