Das Salzkammergut ist in diesem Jahr die Kulturhauptstadt Europas - und das mit Sicherheit zu Recht. Denn neben vielen geschichtsträchtigen Schauplätzen und unberührter Natur befindet sich auch die Marktgemeinde Hallstatt in der Region.
Das hohe Salzvorkommen in der Umgebung hatte in der Vergangenheit mehrere Auswirkungen: So wurde wahrscheinlich bereits vor 7000 Jahren das kostbare Mineral abgebaut, ab 1500 vor Christi entwickelte sich eine Hochkultur vor Ort, die in der Eisenzeit zur vollen Blüte gelangte. Dies zeigt sich einerseits an den reichausgestatteten Gräberfelder. Andererseits wurden viele Fundstücke durch das Salz konserviert, wodurch Hallstatt eine der weltweit bedeutendsten archäologischen Stätten der Prähistorie darstellt.
Wenn im Sommer die Ausgrabungssaison startet, ziehen die Forscher:innen des Naturhistorischen Museums Wien auf den Berg, um dort wie jedes Jahr ihre archäologische Arbeit zu verrichten. alexandria war dieses Jahr mit dabei.
Die Alte Schmied'n
Das monotone Plätschern des Bachs dringt durch das geöffnete Fenster ins Zimmer. Langsam, aber beständig erwacht das Leben aus einem tiefen Schlaf. Die kühle Bergluft erwärmt sich durch die aufgehende Sonne, die Vögel stimmen ihren Morgengesang an. Nur ein Geräusch durchbricht die friedliche Stimmung ganz in der Nähe des Hallstätter Bergwerks: das Plaudern der Archäolog:innen.
Insgesamt wohnen in den Sommermonaten rund ein Dutzend von ihnen in der “Alten Schmied’n”, einem Haus, das man auf dem Weg zum touristischen Eingang des prähistorischen Salzbergstollens unweigerlich passiert. In zwei Zimmern schlafen sie Kopf an Kopf wie Kinder im Sommercamp. In der Archäologie, die in Österreich aufgrund von Bodenfrost, Schnee und Kälte oftmals nur im Sommer im Freien betrieben wird, ist ein solches Zusammenleben keine Seltenheit.
Jeden morgen erwachen die Archäolog:innen am Berg über dem Hallstätter See.
In der Schmied’n gilt es als ungeschriebene Regel, in der Früh nicht zu duschen. Die Badezimmer sind rar, genauso wie der Kaffee. Jeden Morgen fragen sich die Archäolog:innen, wann endlich ein Ersatz der kaputten Kaffeemaschine eintreffen wird. Der Weg ins Tal ist keiner, den man täglich auf sich nimmt.
Einzig der Morgen ist nicht so gesellig wie der Rest des Tages. Jeder gestaltet diesen selbst mit Frühstück oder einem kurzen Spaziergang durch die Natur, die um diese Uhrzeit durch die Stille hunderte Kilometer von der Zivilisation entfernt erscheint.
Kurz bevor die Arbeit beginnt, werfen sich die Archäolog:innen in ihre Schutzkleidung. An archäologischen Ausgrabungsstätten ist es – wie bei allen Baustellen – Pflicht, festes Schuhwerk mit Stahlkappen zu tragen. Ansonsten haben sie Wanderhosen, Sport-Shirts und Sonnencreme in Verwendung. Ein paar Minuten nach acht Uhr brechen sie zu den Ausgrabungsstellen auf.
Auf dem Gräberfeld in Hallstatt
Die Archäolog:innen in Hallstatt untersuchen ständig mehrere Orte, einige davon befinden sich unter Tage, sprich im Bergstollen unter Ausschluss des Tageslichts, andere befinden sich oberirdisch. Bei einer von diesen oberirdischen Ausgrabungsstätten handelt es sich um eine Sicherungsmaßnahme. Direkt neben der Seilbahn soll demnächst eine neue Plattform entstehen. Bevor diese errichtet wird, muss der Boden der archäologisch reichen Umgebung aus rechtlichen Gründen untersucht werden.
Denn darunter könnte sich eines der zahlreichen Gräber befinden, die zwischen 800 und 400 v. Chr. errichtet wurden. Aus dem Gräberfeld von Hallstatt sind mehr als 1500 Bestattungen bekannt. In diesen befinden sich nicht nur die Knochen der Verstorbenen, auch Grabbeigaben wie Schmuck sind dort zu finden. Häufig kommen auch Keramikbruchstücke vor, bei denen es sich nicht direkt um Grabbeigaben handelt. Tatsächlich waren die Speisen, die darauf serviert wurden, Geschenke an die Toten.
Doch obwohl das Gebiet weltweit eine der bedeutendsten Ausgrabungsstätten der Prähistorie darstellt, machen sich die Archäolog:innen an dieser Stelle nicht besonders viel Hoffnung auf bahnbrechende Entdeckungen. Es sei in direkter Nähe hier noch nichts Bedeutendes gefunden worden, erklären die Forscher:innen.
Beim Graben dokumentiert das Forschungsteam den genauen Fundort und die Erdschicht, in der ein Objekt entdeckt wurde.
Deshalb gehen die Archäolog:innen relativ grob vor: Mit einem typischen Werkzeug lockern sie als Erstes den Boden auf. Danach befördern sie die Erde zusammen mit Steinfragmenten mit einer Spitzschaufel - die etwas spitzer zuläuft als eine handelsübliche - in eine Scheibtruhe. Eine Person durchkämmt danach mit geschultem Auge das Bodenmaterial nach Keramik, Knochen, Münzen oder Schmuckstücken. Aufgrund der körperlich anspruchsvollen Arbeit wechseln sie die Aufgaben immer wieder durch.
Vom Scherzen und Arbeiten
Von Zeit zu Zeit bleiben Tourist:innen aus aller Welt stehen und schauen eine Weile bei der Ausgrabung zu. Nicht immer ist ihnen bewusst, was sie da eigentlich gerade betrachten. “They’re mining for salt!”, erklärt ein kleiner Bub seinem Freund selbstbewusst. Die Archäolog:innen lächeln in sich hinein. Wenn Passant:innen ihnen Fragen stellen, nehmen sie sich die Zeit, von der Grabung zu erzählen - auch diese besondere Art der Wissenschaftskommunikation zählt zu ihrer Arbeit.
In einem Moment hält Elisabeth Nagy inne, die als Studentin der Archäologie zum ersten Mal auf einer Hallstätter Ausgrabung steht, und ihre Augen funkeln, als würde sie einen Diamanten erspähen. In Wirklichkeit hat sie ein Stückchen eines Menschenknochens entdeckt. Es handelt sich um keinen besonders aufsehenerregenden Fund, denn Menschenknochen findet man in Hallstatt in Hülle und Fülle. Sie sind nur dann wirklich interessant, wenn sie “in situ” liegen - also an dem Ort gefunden werden, an dem sie auch begraben wurden. Elisabeth freut sich trotzdem über das Knochenfragment, immerhin handelt es sich um ihren ersten Fund in Hallstatt. “Ich fühle mich wie eine stolze, frischgebackene Mutter”, scherzt sie. Das Knochenstück legt sie in eine Tupperdose - es wird später noch genauer untersucht.
Bei diesem Fund handelt es sich um den Hauer eines Schweins
Das Scherzen gehört scheinbar genauso zum Alltag der Archäolog:innen wie Münzen und Keramik. Ohne einen lustigen Spruch auf den Lippen könnte den Feldarbeiter:innen an manchen Tagen auch langweilig werden, denn der Alltag einer Archäologin oder eines Archäologen entspricht höchstens selten dem von Indiana Jones. Sie graben und graben und graben. Doch in mehreren Stunden finden sie nichts Bedeutendes: Neben ein paar weiteren Knochenfragmenten und kleinen Scherbenresten finden sie eine rezente Münze. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass der Boden von der modernen Kultur bereits verändert wurde.
Das Scherzen hilft auch über die prekäre Arbeitslage in der Archäologie hinweg, denn junge Menschen haben im Allgemeinen schlechte Jobchancen in diesem Gebiet. Im Sommer arbeiten sie auf den Ausgrabungsstellen, im Winter lädt das Wetter nicht zu Zehnstundenschichten im Freien ein. Eine ganzjährige Anstellung finden die wenigsten. Im Winter suchen sie sich deshalb andere Tätigkeiten: Sie studieren oder arbeiten in anderen Sparten.
Die Dammwiese
Einige hundert Höhenmeter über der Ausgrabungsstelle rumpelt ein roter VW-Kleinbus über die gewundenen Feldwege den Berg hinauf. Die Sitze des Wagens mit Kennzeichen „NHM 6“ sind mit Leintüchern bedeckt, denn die transportierten Archäolog:innen kommen üblicherweise mit erdverschmutzter Kleidung von der Arbeit zurück. Das Ziel des Ausflugs ist nämlich die Dammwiese, eine moorige Fläche auf circa 1350 Metern Seehöhe, die ab einem gewissen Punkt nur noch über schlammige Trampelpfade erreicht werden kann.
Oben angekommen führt Johann Rudorfer, Leiter der obertägigen Grabungen in Hallstatt, über die naturbelassene Sumpfwiese. Die Sommerluft ist schwül vom feuchten Boden; das Gras und wilde Blumen stehen hoch. Es lässt sich kaum erahnen, dass es sich bei diesem überwucherten Fleckchen Grün – der Dammwiese – um eine archäologische Sensation handelt. Im späten 19. Jahrhundert fanden Forschende hier den einzigen bekannten prähistorischen Zugang zum Salzstollen sowie die Holzkonstruktionen einer vorzeitlichen Siedlung.
Auf der wildbewachsenen Dammwiese fand man die Überreste einer prähistorischen Zivilisation.
Der Fund auf der Dammwiese ist aus mehreren Gründen einzigartig. Bis heute konserviert der feuchte Boden perfekt die organischen Überreste der prähistorischen Zivilisation. Damals stellte er jedoch wahrscheinlich eine große Herausforderung für die Siedlung dar. Für das Überleben auf der Dammwiese mussten die Menschen wasserableitende Drainagen anlegen, baunotwendiges Holz aus dem Tal nach oben schleppen und auf dem sumpfigen Boden ihre Häuser errichten. „Es zeigt, wie resilient die Leute waren“, meint Rudorfer, „und wie wichtig ihnen das Salz war. Sie haben sich trotz ständiger Naturkatastrophen, wie Vermurungen, hier angesiedelt, um Salz abzubauen.“
Die Arbeit hier ist heuer vielfältig. Mithilfe von Drohnen und Tachymetern kartieren die Forscher:innen die Wiese und den darunterliegenden Damm. Das hilft einerseits, noch unbekannte Siedlungsgebiete leichter zu finden, und ermöglicht andererseits eine genaue Fundortdokumentation. Neben der Forschungsarbeit sind die Archäolog:innen auch laufend an kulturlandschaftlichen Schutzmaßnahmen beteiligt. Hierbei müssen zuweilen Opfer gebracht werden: Eine spätmittelalterliche Dammstruktur unter der Wiese ist undicht geworden. Schweren Herzens muss also in den über 500 Jahre alten Dammbau eingegriffen werden, um so die umliegende Gegend und dort verborgene Artefakte vor drohenden Hangrutschungen zu schützen
Die Forscher:innen vermessen den Damm unter der Dammwiese mit deinem Tachymeter."
Auch auf die Bedrohungen des Klimawandels muss sich die Archäologie einstellen. Der Zustand der bekannten Befunde vor Ort wird laufend dokumentiert, um klimatisch bedingte Veränderungen im Boden und damit Gefährdungen der Konservierung möglichst früh zu erkennen.
„Wenn hier der Boden trocken wird, verschwinden genau die Feuchtbedingungen, die seit gut zweitausend Jahren diese Siedlungsreste konserviert haben“, erklärt der Grabungsleiter. „Je genauer wir die Veränderung beobachten können, umso besser können wir abschätzen, wann wir aktiv eingreifen müssen.“ Wie diese Maßnahmen dann aussehen könnten, wird erst die konkrete Lage zeigen.
Nach getaner Arbeit und einem rutschigen Abstieg zum Feldweg setzt sich Johann Rudorfer – in matschiger Arbeitskleidung, aber zufrieden – wieder in den roten VW-Kleinbus und poltert den Berg zur Alten Schmied’n hinunter.
Welche weiteren Aufgaben die Archäolog:innen in Hallstatt übernehmen, kannst du schon bald in "Auf Ausgrabung in Hallstatt - Teil 2" lesen.