In den Jahren 1962-1971 wurden von der U.S. Air Force im Rahmen der Operation "Ranch Hand" laut aktuellen Schätzungen 77 Millionen Liter Entlaubungsmittel über der Republik Vietnam versprüht (Johannsson & Utell, 2022). Der taktische Vorteil, den diese Aktionen dem amerikanischen Militär brachte, hat für viele Vietnames:innen bis heute weitrecheinde Folgen.
Neben vielen anderen Wirkstoffen wurde auch Agent Orange eingesetzt.
Agent Orange enthält ein Dioxin
Bei Agent Orange handelt es sich um ein Herbizid – ein Unkrautvernichtungsmittel. Es besteht zu gleichen Teilen aus 2,4-DiChlorphenoxyessigsäure und 2,4,5-Trichlorophenoxyessigsäure. Diese beiden Stoffe wirken rein als Herbizide, sind also in erster Linie für Pflanzen giftig. Ein Nebenprodukt, das bei der Herstellung entstehende 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-1,4-dioxin, ist jedoch auch für den Menschen hochgiftig (Spektrum, 1998).
Dieser Stoff gehört zu der Gruppe der Dioxine, welche im menschlichen Körper eine Reihe von Symptomen verursachen. Die Aufnahme erfolgt meist über die Nahrung oder Atemluft, wobei Dioxine an Lipide im Blut gebunden und anschließend in den Fettzellen gespeichert werden.
Eine Intoxikation mit Dioxinen führt zu starken Hautveränderungen, wie Chlorakne (Läsionen der Haut, die wie Akne aussehen und immer auf Vergiftungen zurückzuführen sind), Gewichtsverlust und Leberschädigungen. Langfristig steigt das Risiko für diverse Krebserkrankungen, wie Sarkome, Lungenkarzinome oder Leukämien und es kommt häufiger zu Fehlgeburten und zur Zeugungsunfähigkeit.
Der Einsatz dieser Chemikalie hatte weitreichende und langfristige Folgen. Einige dieser Störungen sind auf die Genveränderungen oder Proteinmodifikationen zurückzuführen. Außerdem kommt es auch zu zytotoxischen („zellgiftigen“) Veränderungen und Schädigung der Zellgenetik, die zu einer Veränderung des Genoms führen (Golikov et al., 1998). Da Dioxine im Fettgewebe gespeichert werden, geht man von einer Halbwertszeit von 7-11 Jahren aus (Johannsson & Utell, 2022).
Die Gesamtheit der Symptome wird daher auch als Dioxinpathologie bezeichnet. Bei vielen Erwachsenen und auch Kindern konnten Veränderungen im Genom nachgewiesen werden, die auf den Lebensort in den betroffenen Regionen zurückzuführen sind.
Toxische Wirkung bereits lange bekannt
Zahlreiche Studien haben sich vor allem mit den Auswirkungen auf amerikanische Veteran:innen oder Chemiearbeiter beschäftigt. Bereits im Jahre 1976 erschien eine Publikation, in der die Auswirkungen auf amerikanische Veteran:innen beschrieben wurden. 85 Prozent aller Betroffenen bildeten einen akuten, therapieresistenten Ausschlag aus. Außerdem kam es zur Schwellung und Entzündung von Gelenken. Auch innere Organe waren betroffen mit Herzrhythmusstörungen, neurologischen und psychiatrischen Symptomen (Bogen, 1976).
Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2022 stellt zudem fest, dass zahlreiche U.S. Veteran:innen, die mit Agent Orange in Berührung kamen, heute eine erhöhte Rate an Lungenfibrose aufweisen. Diese Lungenerkrankung wurde in den meisten Publikationen zu Dioxin noch nicht als Spätfolge erkannt (Kaul et al., 2022).
Eine Lungenfibrose ist eine Lungenerkrankung, bei der verstärkt Bindegewebe zwischen den Lungenbläschen abgelagert wird, was zu einer deutlichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Lunge führt.
Doch nicht nur Vietnames:innen und U.S.-Veteran:innen litten an den Folgen von Dioxin: ein weiteres, bekanntes Opfer einer Dioxin-Vergiftung ist der ehemalige Präsident der Ukraine, Wiktor Andrijowytsch Juschtschenko. Er wurde 2002 bei einem Abendessen mit Dioxin vergiftet. Neben den akuten Komplikationen, die damals im Rahmen eines stationären Aufenthaltes behandelt wurden, ist der Politiker bis heute von einer Chlorakne gezeichnet (Stahlmann & Sonnenburg, 2010).
Vietnamesische Opfer werden oft vergessen
Doch die Hautschädigungen sind nur kurzfristige Folgen des Kontaktes mit dem Gift. Bis heute, 50 Jahre nach dem Krieg, hat Agent Orange seine Spuren hinterlassen. aber nur wenige Studien befassen sich bisher mit den Folgen für die vietnamesische Bevölkerung. Eine Ausnahme ist die 2016 veröffentlichte Studie von Russischen Forscher:innen rund um Lyudmila Sycheva.
Sie untersuchten 40 Jahre nach dem Einsatz von Agent Orange die Belastung der Bewohner:innen in den betroffenen Gebieten (Sycheva et al., 2016) und fanden heraus, dass die Wangen – und Nasenschleimhäute starke Veränderungen des Genoms in der Zelle aufweisen. Diese Werte sind über die letzten Jahrzehnte zwar gesunken, aber zeigen noch immer einen höheren Wert als die Kontrollgruppe (Menschen, die nicht in den betroffenen Regionen leben).
Die Geschichte ist nicht vorbei
Der Fokus vieler Studien liegt bis heute auf den Leiden amerikanischer Veteran:innen.
Doch während sich ihr Kontakt mit Agent Orange auf die Kriegsjahre beschränkt, leben Millionen Vietnames:innen seit Jahrzehnten mit den Spätfolgen. Die Chemikalie hat sich in Böden, Pflanzen und Körpern festgesetzt – ein unsichtbares Erbe des Krieges. Die Nachkommen der Kriegsopfer leben mit den Folgen dieses Krieges noch für Generationen.
Kinder, die lange nach dem Ende der Kämpfe geboren wurden, tragen heute genetische Veränderungen in sich. Ihre Geschichten bleiben oft unerzählt. Doch sie sind der Beweis dafür, dass ein Krieg nicht mit dem letzten Schuss endet. In Vietnam ist Agent Orange kein Kapitel der Vergangenheit – sondern tägliche Realität
Bogen, Gilbert (1979) Symptoms in Vietnam Veterans Exposed to Agent Orange. JAMA.
1979;242(22):2391. doi:10.1001/jama.1979.03300220011002
Johannson, K. A. & Utell, M. J. (2022). The Long-Term Respiratory Perils of War.
American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine. Volume 206 Number 6.
https://doi.org/10.1164/rccm.202206-1064ED
Kaul, B.; Lee J.S.; Zhang, N. et al. (2022). Epidemiology of idiopathic pulmonary fibrosis
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Le D. T.; Pham, Thanh, M. P. et Polachek, Solomon (2022). The long-term health impact
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Olson, K.R. and Morton, L.W. (2019) Long-Term Fate of Agent Orange and Dioxin
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Stahlmann, R. & Sonneburg A. (2010). Dioxin-Intoxikation. Der Fall des Wiktor
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Sycheva, L. P,; Umnova, N. V.; Kovalenko M. A. et al. (2016). Dioxins and cytogenetic
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