Ballhausschwur von Jaques Louis David

Es scheint, dass der Nationalstaat die Probleme des 21. Jahrhunderts nicht lösen kann. Globale Herausforderungen fordern eine verstärkte internationale Politik. Doch wie kann eine solche Aussehen? Ist eine Welt ohne Staaten denkbar? 

Im Monat Mai geht es bei alexandria um die Frage: Too good to be real? Dafür haben wir uns einige spannende Konzepte und Entwicklungen aus Wirtschaft, Medizin, Politik und Technik herausgesucht, die unser Leben nachhaltig verändern könnten. Sind sie die Zukunft - oder doch „too good to be real"?

Sei es die 40-Stunden-Woche oder der Verbrennungsmotor: Strukturen und Technologien, die lange als selbstverständlich gesehen wurden, werden zunehmend in Frage gestellt.
Es scheint eine Umbruchstimmung in der Welt zu herrschen, geprägt von Herausforderungen politischer, wirtschaftlicher und sozialer Natur.

Eine solche Struktur, die von den meisten Menschen als ganz selbstverständlich hingenommen wird, ist die des Nationalstaats.
Die Einführung von Nationalstaaten bedeutete historisch auch die Einführung von Demokratie, Mitbestimmung und Bürger:innenrechten. Der Nationalstaat kann als ein Selbstverteidigungsmechanismus einer unterdrückten Gruppe fungieren, die durch Erreichen der Nationalstaatlichkeit Freiheit für die eigene Nation erreicht.
Der Nationalstaat ist im Idealfall ein Konstrukt, welches von den Menschen, die in ihm leben, regiert wird.

Da der Nationalstaat diesem Ideal oft nicht gerecht wird, trifft ihn viel Kritik. Nur Menschen mit der Staatsbürgerschaft jenes Staates, in dem sie leben, dürfen dort auch wählen – durch die Globalisierung und vor allem dem Freizügigkeitsgesetz der EU wird die (nie vollkommen erreichte) Homogenität der Nationalstaaten noch brüchiger.
Aber was gibt es für Alternativen? Und sind diese tatsächlich durchführbar oder too good to be real?

Der erste Staat

Der erste demokratische Nationalstaat Europas hieß Frankreich und konstituierte sich 1791 durch die Abschaffung des Absolutismus. Er legitimierte seine Existenz anders als die heutigen Nationalstaaten.
Der französische Nationalstaat verstand sich als politische Einheit, in der verschiedene Gruppen von Menschen leben und in der die Definition der Nation nicht von ethnischen Identitäten abhängt, sondern auf der Vereinbarung der Bürger:innen, den gleichen Gesetzen und einer gemeinsamen Verfassung zu folgen.
Einer der Haupttheoretiker der Französischen Revolution, Abbé Emmanuel Joseph Sieyès, beschrieb die Nation wie folgt: „Ein Körper, dessen Mitglieder unter einem gemeinsamen Gesetz leben und durch eine und dieselbe gesetzgebende Versammlung vertreten sind.“ (Kuhn 2012, 119)

Der Nationalstaat, wie wir ihn heute kennen, hat die Vorherrschaft einer dominierenden Nationalität in seiner DNA und konnte sich mit dem Zerfall der großen Imperien nach Ende des Ersten Weltkrieges auf dem europäischen Kontinent etablieren.
Das Konzept eines homogenen Staates, dessen Ideal es ist, Bürger:innen einer Nationalität zu beherbergen, im besten Fall ohne jegliche Minderheiten, entstand in einer Zeit von Umbrüchen und großer Unzufriedenheit – dem 19. Jahrhundert. (Reicher 2020, 34-36)

Insbesondere die Revolutionen von 1848/49 waren ein Katalysator für die Forderung nach einem Nationalstaat in ganz Europa und besonders auch in dem ethnisch extrem vielfältigen Habsburgerreich.
Der Absolutismus Metternichs, die innenpolitisch instabilen Verhältnisse des Habsburgerreichs sowie Hungersnöte und Massenarmut führten zu großer Verärgerung bei den Bäuer:innen sowie der neu entstehenden Klasse des sogenannten Proletariats, den Arbeiter:innen.

Missmut herrschte auch bei dem Bürgertum und den Intellektuellen, die für mehr politische Partizipation, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit einstanden. Für das Bürgertum war das Konzept eines Nationalstaates eine Waffe gegen die Bevormundung durch den Adel, für die Arbeiter:innen wurde er zur Waffe gegen die Ausbeutung durch das Bürgertum. Das Habsburgerreich schlug die Revolution letztendlich nieder und blieb ein Vielvölkerstaat.

Europa um 1913 und um 1920

Die Welt war nicht immer in Nationalstaaten eingeteilt, wie ein Blick in die europäische Geschichte zeigt. Viele europäischen Staaten legten das Fundament ihrer heutigen Form in der Zeit zwischen 1913 und 1920. (Quelle: Demokratiewebwerkstatt

Identität ist kein Paar Schuhe

Trotz verschiedener Wünsche - das Bürgertum forderte nicht zwingend eine Abschaffung der Monarchie, sondern mehr Teilhabe für die oberen Schichten - sahen alle Gruppen den Nationalstaat als Lösung für ihre Probleme an. Mehr politische und wirtschaftliche Gerechtigkeit schienen mit der Einführung des Nationalstaats garantiert.

Außerdem hängt der Nationalstaat stark mit der Identität der Menschen zusammen, brachte und bringt heute noch ein „Wir-Gefühl“ hervor und appelliert an die sprachliche, geschichtliche und kulturelle Zusammengehörigkeit einer Nation.
Es lohnt sich aber hinter diese Vorstellung einer „natürlichen“ Zusammengehörigkeit zu blicken und die Vorstellung einer „Schicksalsgemeinschaft“ zu hinterfragen.

1861 sprachen beispielsweise lediglich 2,5 Prozent aller Menschen in Italien das heutige Italienisch (das damals der toskanische Dialekt war und mit dem Risorgimento zur Standardsprache erhoben wurde). Die Idee eines homogenen Staates nach Hunderten von Jahren ethnisch, kulturell, religiös und sprachlich gemischter Imperien erscheint anachronistisch und schwer durchführbar.

Besonders die weitverbreitete Mehrsprachigkeit der Imperien zeigt, dass es schwierig ist, sich für lediglich eine Identität und eine Nation zu entscheiden. In den Worten des britischen Historikers Eric Hobsbawm (1917-2012):

„Das Konzept einer einzigen, ausschließlichen und unveränderlichen ethnischen, kulturellen oder sonstigen Identität ist ein gefährliches Stück Gehirnwäsche. Menschliche Identitäten sind nicht wie Schuhe, von denen wir nur ein Paar auf einmal tragen können.“  (Hobsbawm 1996, 1067)
„The concept of a single, exclusive, and unchanging ethnic or cultural or other identity is a dangerous piece of brainwashing. Human mental identities are not like shoes, of which we can only wear one pair at a time.” (Originalzitat Hobsbawm 1996, 1067)

Man denke hierbei an Persönlichkeiten wie Franz Kafka (Muttersprache: Deutsch, Geburtsort: Prag), dessen Nationalitätenfrage so umstritten ist, dass sie eine eigene Rubrik auf seiner Wikipediaseite hat.
Die Komplexität der Identität ist heute aktueller denn je: Andrej Kurkov (seit seinem zweiten Lebensjahr in Kyiv aufgewachsen) ist ein zeitgenössischer, russischsprachiger Autor, der sich als „ethnischer Russe“ und gleichzeitig „ukrainischer Schriftsteller“ identifiziert. Im Angesicht des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine scheint dies, der impliziten Forderung des Nationalstaates nach einer eindeutig definierten Identität zufolge, wie ein Widerspruch.

Wer gehört dazu?

Die Vorstellung der Nation und die daraus resultierenden Nationalstaaten konnten sich nach dem Ersten Weltkrieg durchsetzen. Diese Durchsetzung gelang in vielen Fällen aber nur durch massive Gewalttaten – der Entstehung der Türkei etwa geht der Völkermord an den Armeniern voran, der erzwungene Bevölkerungsaustausch zwischen der Türkei und Griechenland zog Traumata nach sich, die heute noch nachhallen.

Auch in Österreich wurden Minderheitenrechte vernachlässigt. Als Kärnten 1920 über seine Zugehörigkeit abstimmte, wurde der slowenischen Minderheit zuvor die Wahrung ihrer Kultur und Sprache versprochen.
Dieses Wahlversprechen folgte dem Schicksal, dem Wahlversprechen oft folgen: es wurde nicht eingelöst und die Slowenen wurden weiterhin diskriminiert. Einige wanderten in das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (später Jugoslawien) aus, viele von denen, die blieben, wurden dreiundzwanzig Jahre später von den Nazis vertrieben und ermordet.

Da der Nationalstaat für die Angehörigen der dominierenden Nationalität gegründet wurde, sind sie gegenüber anderen Gruppen privilegiert. Minderheiten sind der Gnade des Nationalstaates ausgeliefert, in dem sie leben. Hierbei spielt das Wahlrecht und daher die Staatsbürgerschaft eine immens wichtige Rolle.
Wien ist ein hervorragendes Beispiel für die Ungleichheiten, die damit einhergehen, in einem ethnisch vielfältigen Nationalstaat als jemand zu leben, der nicht der dominierenden Nationalität angehört: 30 Prozent der in Wien lebenden Menschen (in absoluten Zahlen fast eine halbe Million), die im wahlfähigen Alter sind, dürfen aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft nicht wählen.

Nicht-Wahlberechtige bei Wien-Wahl

In Wien ist fast ein Drittel der Einwohner nicht wahlberechtigt. (Quelle: OGM)

Wie repräsentativ und demokratisch ist eine Regierung, die ein Drittel ihrer wahlfähigen Bevölkerung vom Wahlprozess ausschließt?
Es kommt zu einem eigenartigen Widerspruch: Der Nationalstaat gewährt nur denjenigen, die seine Staatsbürgerschaft besitzen, unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit, das Wahlrecht, bezieht aber gleichzeitig seine Legitimität aus dem Ideal, eine homogene Einheit zu sein. Wird der Zugang zur Staatsbürgerschaft nicht erleichtert, wird die Zahl von Bürger:innen, die nicht wählen dürfen, noch weiter steigen.

Dieser wachsende Demokratiedefizit kann leicht zu Missmut führen, den Nationalstaat destabilisieren könnte. Diese Gefahr sieht auch der Politikwissenschafter Peter Filzmaier und warnt davor, dass sich „unerwünschte Ventile für Unzufriedenheit bilden“.
Die politische Unzufriedenheit schlägt sich auch in Zahlen nieder: Laut einer Statistik des Meinungsforschungsinstitut Sora im Jahr 2022 fanden nur 34 Prozent der Befragten, dass das politische System in Österreich gut funktioniert. 2018 waren es noch 64 Prozent.
„No taxation without representation“ – „Keine Besteuerung ohne Vertretung“ war immerhin bereits die Devise des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs.

Dass Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in seiner Rede zur Zukunft der Nation die Gastarbeiterbewegung als „Fehler“ bezeichnet, wird nichts daran ändern, dass Arbeitsmigration notwendig sein wird, um die mangelnden Arbeitskräfte in Österreich zu kompensieren, wie etwa der deutsche Ökonom Holger Bonin, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), sagt.

Mit der viel diskutierten Arbeitszeitverkürzung müssten noch mehr Arbeitskräfte nach Österreich gebracht werden. Der Nationalstaat Österreich ist nicht in der Lage, dieses Problem autark zu lösen, da laut Statistik Austria jetzt bereits 200.000 Arbeitskräfte fehlen. Mit der Arbeitsmigration wird Österreich noch mehr an Homogenität verlieren, die Zahl von Bürger:innen mit einem anderen ausländischen Pass wird steigen und damit auch der Missmut darüber, dass man in einem Land Steuern zahlt, in dem man aus dem demokratischen Prozess ausgeschlossen ist.

Globale Lösungen für globale Probleme

In einer bereits sehr globalisierten Welt sind viele der wichtigsten Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, internationaler Natur. Es ist das inhärente Abschotten nach außen von Nationalstaaten, welches globale Konfliktlösung schwierig macht.

Die Vereinten Nationen (UN) wurden aus genau dieser Motivation, sich international Ziele zu setzen und an ihrer Erfüllung zu arbeiten, gegründet. Die UN hat aber ein zentrales Problem bezüglich ihrer begrenzten Befugnisse und stolpert von Versäumnis zu Versäumnis.
So konnte nicht verhindert werden, dass Russland – Initiator eines Angriffskriegs gegen die Ukraine, gegen dessen Präsident Vladimir Putin vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein Haftbefehl verhängt wurde - den monatlich rotierenden Vorsitz des UN-Sicherheitsrates im April übernahm.

Das Versagen der UN hat viele Facetten. Teilweise ist es ein Versagen der Führung durch den Generalsekretär und seine Senior Officials verbunden mit schlechtem Management sowie eine tief verwurzelte Kultur der Korruption. Es liegt auch an einem Mangel an Moral und die fehlende Bereitschaft, Taten von totalitären Regimen zu konfrontieren. Ebenso wenig gibt es Berührungsängste mit Diktatoren. (Gardiner 2007, 40)

Eine der, wenn nicht die größte Herausforderung unserer Zeit ist der Klimawandel. Treibhausgase beschränken sich genauso wenig auf Grenzen wie die Auswirkungen eines steigenden Meeresspiegels. Die Emissionsreduktionen sind auf globaler Ebene ungleich verteilt. Einige der ärmsten Länder der Welt sind bei Weitem nicht so stark an dem Klimawandel beteiligt wie die reicheren, leiden aber darunter.

Eine globale Zusammenarbeit ist notwendig, um sich für faire und adäquate Maßnahmen einzusetzen. Außerdem beeinträchtigt die Änderung der klimatischen Zonen die landwirtschaftlichen Erträge und wirkt sich somit auf die Nahrungsmittelversorgung der ganzen Welt aus. In Großbritannien werden Obst und Gemüse aufgrund von Ernteausfällen in Südeuropa und Nordafrika bereits rationiert, es gibt auch weniger Erntehelfer:innen seit dem Brexit.

Der Direktor des Wirtschaftsverbands britischer Einzelhandelsunternehmen, Andrew Opie betont, dass dies auf die schlechten Wetterlagen zurückzuführen ist.
Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Sainsbury, eine der erfolgreichsten Supermarktketten Großbritanniens, sieht den Engpass als eine Konsequenz des EU-Austritts. Beide Probleme können nicht innerhalb eines Nationalstaates bzw. Staatenbundes (Großbritannien) gelöst werden, sondern nur auf supranationaler (überstaatlicher) Ebene.

Eine weitere Herausforderung ist die wachsende Vermögens- und Einkommensungleichheit, die wegen der engen Verflechtung der Weltwirtschaft auch global gesehen werden muss.
Einige Maßnahmen können ohne Frage auf nationaler Ebene ergriffen werden. Der globale Wettbewerb und die Handelspolitik reichen aber über die Grenzen der Nationalstaaten hinaus.

Multinationale Konzerne umgehen nationale Gesetze oft durch Steuerschlupflöcher oder die Transferpreisgestaltung. Internationale Steuerabkommen könnten dies beenden. Unternehmen sind immer auf der Suche nach günstigen Produktionsbedingungen und investieren daher in Länder, in denen die Arbeitskosten niedrig sind und die Arbeitsrechtsvorschriften weniger streng.
Innerhalb der EU besteht bereits die Forderung, angemessene Arbeitsbedingungen und die Einhaltung der Menschenrechte zu einer Vertragsbedingung für Handelsabkommen zu machen.

Eine Alternative zum Nationalstaat:
Eine Europäische Republik

Die Mitglieder der EU sind noch immer dominiert von nationalen Interessen. Dies hindert die EU daran, ihren immer wieder aufbrechenden Krise zu lösen.
Die Etablierung einer EU-Regierung mit einem mächtigen Parlament könnte das ändern. Dieser Meinung ist Stefan Collignon, deutscher Volkswirt, Professor für europäische politische Ökonomie und Unterstützer der Idee einer Europäischen Republik. Sei es die Europäische Republik oder europäischer Föderalismus in Form eines europäischen Bundesstaates – die Forderung, die Zusammenarbeit der Mitgliedsländer der EU zu intensivieren, demokratisieren und entnationalisieren, besteht schon länger. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert wird der Begriff der „Vereinigten Staaten Europas“ verwendet und wird oft auf Victor Hugo zurückgeführt.

Die EU erfüllt bereits wichtige Voraussetzungen für einen nachnationalen Staatenbund. Es besteht eine ausgewogene föderale Struktur und es bestimmt nicht ein dominierendes Zentrum über die ganze Union.
Vor allem verfügt die EU über einen starken wirtschaftlichen Charakter durch den Binnenmarkt und die Währungsunion – im Konkurrenzkampf mit China oder den USA wird von der EU wirtschaftlich als ein gemeinsames Ganzes gesprochen. Was der EU definitiv noch fehlt, ist das identitätsstiftende Element, es gibt nicht viele Menschen, die sich primär als Europäer:in identifizieren.

Zeitstrahl EU

Die EU hat sich in ihrer Geschichte stark verändert. Ob sie irgendwann zu einer Republik wird? (Quelle: Statistisches Bundesamt)

Durch die Mitgliedschaft in der EU verliert ein Staat bereits wichtige Elemente seiner Souveränität – das EU-Recht bekommt eine höhere Stellung als das nationale Recht. Dass dieses Konzept der Integration und Verlust der Bedeutung von Grenzen funktioniert, sieht man an der Reaktion von Nationalist:innen.

Wenn Ungarn oder Polen Gesetze verabschieden, die gegen das EU-Recht verstoßen, tun sie das im Namen des Erhalts ihres Nationalstaats und nicht ohne einen stark rassistischen Beigeschmack, der an die „Große Austausch“-Verschwörungstheorie erinnert.
In Ungarn handelte es sich bei diesen Verstößen beispielsweise um ein homophobes Gesetz, die Ausschaltung eines unabhängigen Radiosenders und die Beschneidung von Rechten von Asylwerber:innen.
In Polen ging es vor allem darum, dass das polnische Verfassungsgericht das nationale Recht über EU-Recht stellen wollte.

Einer der Kritikpunkte Collignons ist, dass die Regierungen der EU momentan nur die Interessen der eigenen Wählerschaft repräsentieren und nicht die aller EU-Bürger:innen.
In einer Europäische Republik würde es ein Parlament geben, welches von den einzelnen Bürger:innen gewählt wird. Für eine Demokratie braucht es kein homogenes europäisches Volk, da Demokratie nicht von kultureller Homogenität abhängig ist, sondern von der Kontrolle durch die Bürger:innen.

Eine solche Republik würde über eine gemeinsame Verfassung sowie eine Regierung verfügen. Ansätze, eine europäische Verfassung zu verabschieden, gab es bereits 2004, sie scheiterten an den Niederlanden und Frankreich.
Die Idee der Europäischen Republik steckt aber noch in Kinderschuhen und ist daher nicht eindeutig definiert. Das hier vorgestellte Konzept ist nur eine mögliche Interpretation, wie eine solche Republik aussehen könnte.

Im Endeffekt kann niemand mit Bestimmtheit sagen, wie genau eine Europäische Republik aussehen würde. Vereinigungen wie die der Union Europäischer Föderalisten oder die Partei der Humanisten in Deutschland haben sich die Förderung des europäischen Föderalismus und ein Maximum von Bürger:innebeteiligung zum Ziel gemacht.
Die Forderung nach einer „Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat“ ist immerhin auch in dem Koalitionsvertrag von SPD-FDP-Grüne enthalten.

In Österreich setzten sich vor allem die NEOS für die „Vereinigten Staaten von Europa“ ein. Das Austrian Democracy Lab hat 2018 eine Umfrage durchgeführt (online und telefonisch, n=4150) bei der 56 Prozent der Befragten der Aussage: „Ich würde mir wünschen, dass es in Zukunft einmal eine Art Vereinigte Staaten von Europa gibt“, zustimmten.

Die Idee einer Europäischen Republik mag heute weit weg und abstrakt erscheinen, sie ist jedoch eine Überlegung wert, vor allem in einem Europa, das Kriege erlebt hat, die auf nationale Interessen zurückzuführen sind.
Es ist nicht auszuschließen, dass die globalen Verflechtungen wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Natur, Grenzen und Homogenität bald überholt erscheinen lassen.

Gardiner, Nile. (2007). The Decline and Fall of the United Nations: Why the U.N. has
     Failed and How it Needs to be Reformed. Macalaster International, 19, 35-60.
Hobsbawn, Eric. (1996). Language, Culture and National Identity. Social Research, 63(4),
     1065-1080.
Kuhn, Axel. (2012). Die Französische Revolution. Reclam Verlag.
Reicher, Dieter. (2020). Kulturnationalismus. Wir-Krise und Nationalstaat Eine
     historische Untersuchung in vier unterschiedlichen Kulturfeldern
. Nomos Verlag.

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