Titelbild Bremer Fallturm

Wo würdest du den kältesten Ort des Universums vermuten? Vielleicht auf einem fernen Mond des Saturn, im Herzen eines ausgedehnten Gasnebels oder doch in der Leere des interstellaren Raums? Weit gefehlt, denn tatsächlich liegt der kälteste Ort des bekannten Universums auf der Erde.

Die Bewohner von Oimjakon sind Kälte gewohnt, immerhin gilt das russische Dorf als kältester bewohnter Ort der Erde. Im Winter fällt das Thermometer in Oimjakon auf bis zu -67,8°C, Temperaturen, die uns Zentraleuropäer nie begegnen. Doch selbst der abgebrühteste Bewohner Oimjakons würde am Südpol zu zittern beginnen. An der dortigen Forschungsstation wurden schon zähneklappernde -82,8°C gemessen. Allerdings wirken diese irdischen Kälterekorde mollig warm, vergleicht man sie mit den Temperaturen, die im All herrschen.

Das Nachglühen des Urknalls

Es scheint bizarr, dass das All eine Temperatur hat. Dennoch beträgt die Temperatur des offenen Weltalls etwa -270,5°C. Diese Temperatur entspricht der Nachwärme des Urknalls. Das frühe All war so heiß, dass die damals entstandene Strahlung noch immer messbar ist, allerdings bis in den Mikrowellen-Bereich rotverschoben. Diese Kosmische Hintergrundstrahlung wärmt das All auf etwa 2,7 Kelvin auf. Kelvin (mit dem Zeichen K) ist die physikalische Einheit der Temperatur. Anders als die Celsius-Skala geht die Kelvin-Skala vom Absoluten Nullpunkt aus. Dabei ist die Temperatur ein Maß für die Bewegungsenergie von Teilchen: Je heißer ein Objekt ist, desto schneller vibrieren seine Atome. Bei -273,15°C oder eben 0K kommt klassisch betrachtet diese Bewegung zum Erliegen, man spricht vom Absoluten Nullpunkt. Allerdings verbieten die Gesetze der Wärmelehre, dass dieser Punk erreicht wird: Kein System kann Null Kelvin haben. Dennoch kann man dem Absoluten Nullpunkt sehr nahekommen. So beträgt die Temperatur im Bumerangnebel des Sternbilds Centaurus bloß 1K.

Es geht gegen Null

Während also die niedrigste Temperatur im Weltall ein Kelvin beträgt, konnten Forscher:innen diesen Kälterekord um einige Größenordnungen unterbieten: Der kälteste Ort des bekannten Universums liegt in einem Labor, und zwar in Bremen. Physiker:innen haben dort ein Bose-Einstein-Kondensat (BEK) erschaffen, dessen Temperatur nur 38 Pikokelvin beträgt – also nur 38 Billionstel Grad über dem Absoluten Nullpunkt! Dafür schlossen die Wissenschaftler:innen etwa 100.000 Rubidiumatome in einer Magnetfalle ein und kühlten sie mit verschiedenen Verfahren herab.
Werden Atome sehr stark gekühlt, verlieren sie ihren Teilchencharakter und verhalten sich wie Wellen, die sich bei immer niedrigerer Temperatur schließlich überlagern und eine einzige Schwingung bilden – das BEK entsteht. Forscher:innen wollen an diesem exotischen Materiezustand untersuchen, wo die Grenze für Quantenphänomene liegt, denn bei großen Systemen, die aus vielen Teilchen bestehen, treten diese seltsamen Effekte normalerweise nicht auf. Doch entsteht ein BEK, reagiert das gesamte Ensemble aus vielen tausend Atomen wie eine Welle, offenbar ein Quantenverhalten. Tatsächlich kann ein BEK, ähnlich wie Lichtwellen, durch spezielle Linsen manipuliert werden, um Experimente durchzuführen und mehr über diesen Aggregatzustand herauszufinden. Doch bisher war es nicht möglich, das BEK in der Schwerelosigkeit zu stabilisieren: Die verbliebende Bewegungsenergie trieb die Teilchen auseinander und der BEK-Zustand verschwand. Das behindert zwar die Forschung daran, doch kann der Grad der Ausdehnung auch als Maß für die Energie im BEK und damit dessen Temperatur dienen.

Bose-Einstein-Kondesat

Entsteht ein Bose-Einstein-Kondensat, kommen sich die Atome plötzlich viel näher, da sie als stehende Welle eigentlich alle am selben Ort sind. Daher sieht man hier auch die Dichte in der Mitte stark ansteigen, wenn sich das BEK bildet

Turm der Kälte

Die Forscher:innen in Bremen haben ihren Kälterekord erreicht, indem sie die kollektive Welle ausgenutzt haben. Das BEK wurde erst dann zur Expansion gebracht, als es sich gerade in einer Schwingungsphase befand, die die Bewegungsenergie der Atomwolke herabsetzte. Dabei befand sich die gesamte Versuchsanordnung im freien Fall im Bremer Fallturm, sodass sich das BEK ungehindert ausdehnen konnte. Es zeigte sich eine langsamere Ausdehnung, das BEK bestand sogar für etwa zwei Sekunden – im Bereich der Atomphysik eine lange Zeit. Die langsamere Ausdehnung zeigte die niedrige Energie an, die wiederum der unglaublich tiefen Temperatur des BEK entsprach.

Bremer Fallturm

Der Bremer Fallturm enthält eine evakuierte Röhre, durch die eine Kapsel fällt, in der so Experimente in Schwerelosigkeit durchgeführt werden können.

Mit 38 Pikokelvin war der Bremer Fallturm also für zwei Sekunden der kälteste Ort des bekannten Universums. Wissenschaft kann punktuell extreme Situationen erschaffen, die es außerhalb eines Labors nie geben könnte. Doch während Kälterekorde relativ einfach zu schaffen sind, hat die Natur in anderen Bereichen klar die Nase vorne: Auf Erden werden wir wohl nie die Hitze einer Supernova, den Druck eines Neutronensterns oder die enorme Anziehung eines Schwarzen Lochs künstlich herstellen können. Doch vielleicht ist es auch ganz gut, dass wir solche Extrema nur aus sicherer Entfernung studieren.

Deppner, C., & et al. (2021). “Collective-Mode Enhanced Matter-Wave Optics”. Phys. Rev.
     Lett. 127
,  100401.

- Ein Artikel in scinexx über den Kälterekord
- Die Uni Bremen schreibt in diesem Bericht über den kältesten Ort des Universums

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