Saal Eins des HGM

Das HGM wird neu gedacht: Ein Werkstattbericht von alexandria über Wandel, Reibung und neue Perspektiven der Heeresgeschichte.

„In mehreren Medienberichten über das Heeresgeschichtliche Museum in Wien werden schwere Vorwürfe gegen die Museumsleitung erhoben. Im Kern geht es dabei um rechtsextreme Umtriebe, um die Verharmlosung des Nationalsozialismus“, heißt es in einer parlamentarischen Anfrage aus dem Jahr 2019. Lange Zeit war das HGM vor allem durch Kritik bekannt, weniger durch seine Ausstellungen. Heute aber ist das Haus im Umbruch. Unter der Leitung von Georg Hoffmann, den Verteidigungsministerin Klaudia Tanner 2023 zum Direktor ernannte, befindet es sich in einem Prozess der Neuausrichtung. alexandria hat hinter die Kulissen dieser Neuerfindung geblickt.

Georg Hoffmann ist seit 2023 Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums. Zuvor war er unter anderem Kurator im Haus der Geschichte.

Georg Hoffmann ist seit 2023 Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums. Zuvor war er unter anderem Kurator im Haus der Geschichte.

Der Mensch im Zentrum

„Das Museum ist in einer absoluten Reform“, sagt Hoffmann und betont die Schwierigkeit, ein so altes Gebäude, das von sich aus Geschichte ausstrahlt zu modernisieren. „Aber es ist dringend notwendig“, fährt er fort. Seine Worte werden von einer Geräuschkulisse begleitet, die selbst ein Indiz für Erneuerung ist: Baustellenlärm. Der gesamte Vorplatz des Museums befindet sich im Umbau. Der Untergrund wurde aufgebrochen, um barrierefreie Wege zu schaffen. Bald soll auch eine neue Buszufahrt Besucher:innen direkt vor das Haus bringen. Auch die auf dem Vorplatz stehende Statue eines Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg soll künftig durch wechselnde Kunstinstallationen ersetzt werden.

Das Gebäude selbst erzählt Geschichte und ist zugleich Gegenstand der Aufarbeitung. Mitte des 19. Jahrhunderts als Denkmal monarchischer Macht errichtet, zieren es militärische Symbole und heroische Gemälde von Habsburger Schlachten. Heute steht das Haus vor der Aufgabe, diese Erzählung zu dekonstruieren. In der „Ruhmeshalle“ etwa werden die dargestellten Schlachten nun auf Bildschirmen historisch kontextualisiert.

Im Zweiten Weltkrieg zerstört und hastig wieder zusammengesetzt, wird der ehemals wackelige Vorhof des HGM erneuert und barrierefrei gestaltet.

Im Zweiten Weltkrieg zerstört und hastig wieder zusammengesetzt, wird der ehemals wackelige Vorhof erneuert und barrierefrei gestaltet.

Hoffmann sieht in dieser Neuausrichtung mehr als nur eine bauliche Maßnahme: „Ein Museum ist ein zentraler Teil der Demokratie. Es darf nicht in der Vergangenheit stecken bleiben, sondern muss bis in die Gegenwart wirken.“ Die Verbindung von Militär und Gesellschaft, von Objekt und Mensch wird zum neuen Leitgedanken. Der Mensch steht im Zentrum. Militärgeschichte soll nicht länger als Abfolge von Feldzügen und Siegen verstanden werden, sondern als Spiegel menschlicher Erfahrung. „Egal, welches Objekt wir betrachten, dahinter steckt immer ein Mensch“, erläutert Direktor Hoffmann.

Die Tatsache, dass das HGM aus der Monarchie stammt, ist sowohl Herausforderung als auch Chance: Es verfügt über eine Sammlung, die weit über Österreich hinausreicht - bis nach Südosteuropa, in den Osten der Ukraine. In diesen Objekten steckt europäisches Gedächtnis, weshalb das Museum nicht nur Österreich, sondern ganz Mitteleuropa repräsentiert.

Ein Haus, das von sich aus Geschichte ausstrahlt: auf den Mauern um das Museum finden sich Einkerbungen aus den vergangenen Jahrhunderten.

Ein Haus, das von sich aus Geschichte ausstrahlt: auf den Mauern um das Museum finden sich Einkerbungen aus den vergangenen Jahrhunderten.

Zwischen Restaurierung und Reflexion

Die Reform zieht sich durch alle Bereiche des Hauses, auch personell. Zahlreiche neue Stellen wurden geschaffen, viele davon mit Frauen besetzt. Das Museum ist weiblicher geworden, eine bewusste Entscheidung, „Gerade auch in Führungspositionen und an mehreren Stellen des Hauses ist das Museum sehr viel weiblicher geworden und das war notwendig, weil tatsächlich war es im vorherigen Team nicht so,“ erzählt Hoffmann.

Zudem wurden erstmals Kurator:innen eingestellt, die mit neuen Perspektiven und wissenschaftlichen Ansätzen frischen Wind in die Ausstellungsarbeit bringen. Dadurch erweitert sich das Museum nicht nur inhaltlich, sondern auch räumlich. Neue Büros, neue Arbeitsräume und ein geplanter Konferenzsaal sollen Platz für Austausch fernab heroischer Schlachtenbilder schaffen.

Büroräume des HGM

Mit dem Zuwachs an Mitarbeiter:innen vergrößerten sich sowohl das Team als auch die Büroräume.

Dass sich das neue Selbstverständnis bereits bemerkbar macht, zeigt der Besucher:innen-Andrang. Trotz mehrerer geschlossener Säle verzeichnet das Haus steigende Zahlen. Die Veranstaltungen zu Krieg und Erinnerung oder sexueller Gewalt im 19. Jahrhundert zeigen, dass das HGM zunehmend als Raum für kritische Reflexion wahrgenommen wird.

Geschichte unter dem Putz

Wie tief die Veränderung reicht, wird liebevoll benannte „Saal Eins“ sichtbar. Während große Teile des Gebäudes im Zweiten Weltkrieg stark zerstört wurden, blieb dieser Raum erhalten, samt seiner unberührten Objekte aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Osmanische Fahnen, die nun von der Decke genommen wurden, hingen über siebzig Jahre lang an der gleichen Stelle. Heute zeigt sich ein anderes Bild: Der Saal ist eine Baustelle, grau und staubig, der Boden aufgebrochen, die Decken nun leer. Der Denkmalschutz gibt die Richtung vor: der Raum wird originalgetreu restauriert, die historische Farbgebung wiederhergestellt.

„Saal Eins“ des Heeresgeschichtlichen Museums. Über Jahrzehnte hinweg unberührt, jetzt eine Baustelle.

„Saal Eins“ des Heeresgeschichtlichen Museums. Über Jahrzehnte hinweg unberührt, jetzt eine Baustelle.

Ein Besuch in der Werkstatt für Holzrestaurierung zeigt, wie viel Sorgfalt und Fachwissen hinter der Erhaltung historischer Objekte steckt. Hier arbeitet Holzrestaurateurin Victoria  an einem brüchigen Ruder eines alten Seeflugzeugs. „Flugzeuge sind eigentlich nicht meine Stärke“, sagt sie lachend und fügt hinzu: „Es ist ein bisschen wie bei Sherlock Holmes – man rekonstruiert die Geschichte eines Objekts, Stück für Stück".

In der Werkstatt wird das brüchige Flugzeugruder vorsichtig bearbeitet.

In der Werkstatt wird das brüchige Flugzeugruder vorsichtig bearbeitet.

Das Flugzeugteil liegt neben einem Modell, das seine ursprüngliche Form zeigt.

Das Flugzeugteil liegt neben einem Modell, das seine ursprüngliche Form zeigt.

Zwischen Geschichte, Gegenwart und Gespräch

Während Restaurierung bewahrt, macht Vermittlung lebendig. „Das ist der wichtigste Bereich, weil wir hier direkt mit den Menschen in Kontakt treten“, erklärt Georg Rütgen, Leiter des Vermittlungsteams. Rund zwei Drittel der Besucher:innen kommen aus Schulklassen. Die Programme sind lehrplanorientiert und die Vermittler:innen scheuen nicht vor Diskussionen mit den Schüler:innen zurück, „Je mehr Kritik kommt, desto besser. Das zeigt Interesse, und daraus entstehen die besten Diskussionen.“

Historische Konflikte werden in Beziehung zur Gegenwart gesetzt, von den Religionskriegen des 17. Jhdt. bis zu heutigen geopolitischen Spannungen. „Im Grunde geht es in allen Kriegen immer um dasselbe: Macht und Geld. Und das kann man Jugendlichen anhand der Geschichte sehr gut erklären,“ erläutert Rütgen.

Mittlerweile umfasst das Team rund 28 Personen. Museumsbotschafter:innen, die Besucher:innen ansprechen, Fragen beantworten und Hintergründe erklären. Das ist besonders wichtig, weil das HGM ein komplexes Haus ist, dessen Inhalte manchmal sperrig wirken, erklärt Rütgen. Die Vermittler:innen helfen, sie zugänglich zu machen.

Ein Museum denkt sich neu

Das Heeresgeschichtliche Museum steht exemplarisch für die Herausforderung, ein historisches Haus institutionell und inhaltlich neu zu positionieren. Die Neuausrichtung verbindet bauliche Modernisierung, wissenschaftliche Kuratierung und erweiterte Vermittlungsarbeit, um militärische Geschichte kritisch zu reflektieren und stärker auf menschliche Erfahrungen und gesellschaftliche Zusammenhänge zu beziehen. So wird aus einem Haus der Repräsentation ein Ort der Reflexion.

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