Die Arbeitslosigkeit ist ein unerwünschter Zustand

Arbeitslosigkeit ist ein soziales Phänomen. Wie sie sich historisch entwickelte und warum wir heute mit Sanktionierung der Arbeitslosen dagegen vorzugehen versuchen, erklärt dieser Artikel.

Warum das wichtig ist: Die Sanktionierung der Arbeitslosen soll ein “normaler” Bestandteil unserer Gesellschaft sein. Doch ihre Unterdrückung fügt sich in eine Reihe künstlicher Prozesse ein, die eine Strukturierung der Gesellschaft nach neoliberalen Vorstellungen zum Ziel haben. Eine historische Aufarbeitung der Arbeitslosigkeit lässt die nüchterne Betrachtung unserer sozialpolitischen Gegenwart zu.

Wer am 4. Juli 2021 in der ZiB2 einschaltete, konnte Zeuge eines interessanten Momentes in der österreichischen Sozialpolitik werden. Was Arbeitsminister Kocher (ÖVP) vorsichtig auszudrücken versuchte, lässt sich folgenderweise zusammenfassen: Angesichts eines sich nach der Corona-Krise nur teils langsam erholenden Arbeitsmarktes erhöht die Regierung den Druck auf die Arbeitslosen durch die Wiederaufnahme ihrer Sanktionierung.
Dabei handelt es sich mit der Wiederaufnahme von Sanktionierungen um eine durchaus kontroverse Maßnahme aktiver Arbeitsmarktpolitik. Minister Kocher erklärt sie als notwendigen Teil der Wiederherstellung eines normalen Arbeitsmarktes, während oppositionelle Stimmen die Sanktionierung der Arbeitslosen als “faktenferne Propaganda” oder basierend auf falschen Annahmen zeichnen. Im Folgenden soll es jedoch nicht um diese Debatte eines richtig oder falsch gehen, sondern im Sinne der Foucault’schen Gouvernementalitätsstudien um das Verstehen der hintergründigen politischen Rationalität sowie ihrer intendierten und unintendierten Effekte: Warum begegnen wir Arbeitslosigkeit mit der Sanktionierung der Arbeitslosen?

Die Gouvernementalitätsstudien sind ein sozialwissenschaftliches Paradigma zentriert rund um den von Philosoph Michel Foucault geprägten Begriff der „Gouvernementalität“, zu deutsch „Regierung“. „Regierung“ bedeutet die systematisierte Ausübung von Macht durch Machtkonstruktionen wie z.B. staatliche Institutionen, hinter der eine legitimierende Rationalität steht. „Regiert“ wird dabei nicht nur im politischen Bereich, sondern auch individuelles wie kollektives Verhalten. Die Gouvernementalitätsperspektive inkludiert in der Analyse sozialer Phänomene somit die gesellschaftlichen Machtkonstruktionen, die legitimierenden Rationalitäten und die Auswirkungen dieser auf die Subjekte.

Die Feinheiten des Diskurses

In einem ersten Schritt, um die Sanktionierung der Arbeitslosen zu verstehen, muss der Bereich unserer Untersuchung abgesteckt werden. Dabei lässt sich eines schon vorwegnehmen: „Es mag immer Arbeitslose gegeben haben, dennoch ist Arbeitslosigkeit kein universelles oder ahistorisches Phänomen“ (Lemke 2000, S. 17). Die Unterscheidung zwischen “arbeitslosen Menschen“ und “Arbeitslosigkeit” ist semantisch klein und doch inhaltlich bedeutsam. Mit dem Adjektiv „arbeitslos“ werden Menschen ohne Arbeit bezeichnet, während “Arbeitslosigkeit” ein politischer Diskurs in Bezug auf das gesellschaftliche Problem der Armut ist (Walters 1994). Arbeitslose Menschen hat es schon immer gegeben, dasselbe lässt sich nicht über die Arbeitslosigkeit sagen. Dementsprechend gab es auch lange bevor arbeitslose Menschen als eigene Kategorie der Gesellschaft erkannt wurden, einen gesellschaftlichen Umgang mit ihren Träger:innen. Dieser Umgang nahm sie als Teil einer größeren Gruppe wahr und behandelte Sie als solchen. So wurden im Frankreich des 17. Jahrhundert Arbeitslose gemeinsam mit Irren, Bettlern, Armen und Sträflingen in den Einrichtungen des Hôpital général interniert, dasselbe lässt sich im Falle deutscher Gebiete in Verbindung mit Zuchthäusern erkennen (Foucault 1973). In anderen Fällen kam Arbeitslosen, subsumiert unter die Figur des „armen Kranken“, die gleiche Unterstützung und Mildtätigkeit zu wie den anderen Armen und Bettlern (Lemke 2014).

Arbeitslose wurden früher in Zuchthäuser geworfen

Abbildung 1: Im Frankreich des 17. Jahrhundert wurden Arbeitslose gemeinsam mit Irren, Bettlern, Armen und Sträflingen in den Einrichtungen des Hôpital général interniert, dasselbe lässt sich im Falle deutscher Gebiete in Verbindung mit Zuchthäusern erkennen. (Bildquelle: Geschichte-Wiki)

Damit sie versichert oder sanktioniert werden, ja damit Arbeitslosigkeit als Kondition überhaupt erst möglich wird, mussten sich Arbeitslose also in der öffentlichen Wahrnehmung erst als eine eigenständige gesellschaftliche Gruppe unter anderen herausbilden, ein Prozess, der sich durch die historische Untersuchung sozialpolitischer Diskussionen auf das 19. Jahrhunderts datieren lässt (Lemke 2014; Walters 1994).

Vom "Problem der Arbeitslosen" zur "Erfindung der Arbeitslosigkeit"

Die liberalen Gesellschaften wie das Königreich Großbritannien machen hier den Anfang. Sie diskutierten im 19. Jahrhundert innerhalb des größeren Bereiches der Armut ein neues Problem, das „Problem der Arbeitslosen“ (Walters 1994, S. 266). Auch dieser Diskurs ist von einer generellen Formulierung der Arbeitslosigkeit noch weit entfernt und dennoch signalisiert die Formulierung einen wichtigen Schritt in diese Richtung. Die Anerkennung der Arbeitslosen als eigenständige Gruppe stand im Zeichen der “Fragmentierung der Armut” (Lemke 2014, S. 195), die Arme, Kranke, Irre wie Sträflinge, Arbeitslose und Bettler aus ihrem gemeinsamen Zusammenhang löste. Wer, wenn nicht die „Arbeitslosen“, könnte besser veranschaulichen, worum es in diesem Prozess im Kern geht: Die Reorganisation des eigentlichen Problems “Armut” um den Pol der Arbeit.
Für die liberalen Staaten war die Erfahrung mit ihrem Vorgänger, den absolutistischen Monarchien, prägend. Ihnen entgegen möchte das liberale Projekt Eingriffe in die Gesellschaft vermeiden, um die Gleichheit und Freiheit aller Individuen zu ermöglichen. Gewaltsame Unterdrückungen wie Einsperrungen in Zuchthäusern verlieren somit als Umgangsformen mit Armut ihren Sinn. Gleichzeitig werden allgemeine Armenunterstützungen als (un-)ökonomische Intervention betrachtet, an ihre Stelle tritt die Unterscheidung “zwischen guten und schlechten Armen, freiwilligen Faulen und unfreiwilligen Arbeitslosen, Arbeitstauglichen und Untauglichen etc." (Lemke 2014, S. 195). Sie verlieh liberalen Staaten eine Imperative im Umgang mit der Armut: Unterstützungen für die Wenigen, die sie wirklich „verdienen“, und alle anderen wurden als freie und gleiche Individuen für eigenverantwortlich erklärt. Das Problem der Arbeitslosen war ein Problem der individuellen Moral. Besaßen die Arbeitslosen nur den „Willen“ zum Arbeiten, würde die Erwerbstätigkeit sie aus der Armut heben. Dieses Modell ist umso relevanter, weil die historische Vereinigung zwischen Armut und Arbeit offensichtlich bis heute fortbesteht, wenn auch ohne die Annahme, durch die rechtliche Gleichstellung der Individuen allein würde sich jegliche Ungleichheit in einer Rückkehr zum natürlichen Zustand der Menschheit auflösen (Donzelot 1991).
Im Laufe des 19. Jahrhundert ging diese liberale Rechnung der Kopplung von Armut und Arbeit in einer freien Wirtschaft immer weniger auf. Die Arbeit beseitigte die Armut nicht, ganz im Gegenteil: Es fügte sich der bestehenden Armut in Gestalt arbeitender Armer bislang unvorstellbares Elend hinzu. Armut avancierte so zum großen Problem seiner Zeit, nämlich zur sogenannten ‘sozialen Frage’. Dabei artikulierte sich das Problem der Massen-Armut komplexer als die bloße Tatsache industriekapitalistischer Ausbeutung: Erst aufgrund der Vorstellungen von Freiheit und Gleichheit aller Individuen, wurde die durch ökonomische Freiheit produzierte neue Ungleichheit zum Problem (Lemke 2014). Die Fragilität dieser Situation in den Fragen der Arbeit zeigte sich schon allein im französischen Juniaufstand 1848, währenddessen die gesellschaftlichen Klassen der besitzenden Bourgeois und besitzlosen Proletarier eine erste klare Trennung vollziehen (Donzelot 1991). Welche Rolle sollte der Staat einnehmen, möchte er doch die Freiheit der Wirtschaft garantieren, während er zur Gleichheit der Individuen verpflichtet ist?
“Arbeitslosigkeit” bedeutet eine solche Neupositionierung des Staates. Sie rückt das Problem der Armut vom sozialen und moralischen Bereich in den ökonomischen. Die arbeitslosen Individuen wurden aus der absoluten Verantwortung für ihre Existenz gelöst und ein Teil dieser in den regelhaften Abläufen der Industrie wiedererkannt (Walters 1994). In der Folge legitimieren Diskurse wie “Arbeitslosigkeit” im Namen einer neuen Arbeitsmarktpolitik weitreichende Eingriffe in die Gesellschaft. Ihre Notwendigkeit sehen die Politiker der verschiedenen Parteien unterschiedlich begründet, in jedem Falle erkannte sich der Staat nun aber in einer anderen Rolle als zuvor: Nicht mehr als Institution zur Herstellung natürlicher Ordnung, sondern als “Garant gesellschaftlichen Fortschritts” (Donzelot 1991, S. 173). Konkret bedeutete das aber auch eine krasse Machtausweitung staatlicher Kompetenzen, die der so entstehende Sozialstaat beansprucht. Er verwaltete nun mehr die Gesellschaft und konnte Eingriffe in individuelle Lebenswelten, gesellschaftliche Institutionen sowie ihren gesamten Zusammenhang bedeutend einfacher legitimieren.

Arbeitslosigkeit bedeutet...

…also entgegen der ‘sozialen Frage’ des 19. Jahrhunderts die Repositionierung des liberalen Staates als Sozial- und Wohlfahrtsstaat. Dieser Sozial- und Wohlfahrtsstaat geht nicht mehr davon aus, dass die Deklaration von Freiheit und Gleichheit der Bürger:innen eine Rückkehr zur natürlichen Ordnung universaler Gleichheit hervorbringt, er sieht sich selbst als vitalen Bestandteil in diesem Prozess. Er garantiert den Fortschritt der Gesellschaft, erweitert mit diesem Anspruch aber auch seine Macht um ein Vielfaches. In Ausübung dieser Macht und Kreation gesellschaftlichen Fortschrittes folgte er einer sehr spezifischen Vision, die für seine Politiken und deren Effekte maßgeblich sein sollte.
Die Zukunftsvorstellung der Sozial- und Wohlfahrtsstaaten war die der zunehmend sozialen, demokratischen und dennoch eindeutig patriarchalen, bürgerlichen Gesellschaft - und sein Ziel ist es, durch gezielte Eingriffe die Menschen auf dem Weg dorthin anzuleiten (Donzelot 1991). Die Realisierung dieser Vision lässt sich insbesondere anhand seiner eindeutig genderspezifischen Politiken erkennen; der Sozialstaat etablierte einen staatlichen regulierten Arbeitsmarkt und konstituierte der Arbeitslosigkeit entgegen einem Normalarbeitsverhältnis. Dieses schützte zwar Arbeiter, engte die Handlungsspielräume von Arbeiterinnen jedoch von vornherein ein und grenzt diese aus (Walters 1994). Er schafft ökonomische Sicherheit der Arbeiter im Zuge der Arbeitslosenversicherung und stabilisiert somit die Machtgefälle des patriarchalen Haushaltes. Zuletzt erlaubte er dem verheirateten Mann, seiner Ehefrau die Aufnahme jeglicher Erwerbsarbeit komplett zu unterbinden, ein Schritt, mit dem sie vollends in den Bereich der Reproduktionsarbeit zurückgedrängt wurde. Die Eingriffe der Sozial- und Wohlfahrtsstaaten garantierten für ihre Zeit die fortlaufende ökonomische Unterdrückung der Frau, auch das ist eine der Bedeutungen von ‘Arbeitslosigkeit’ und ihren Politiken.

Ohne Beruf, dafür zuhause: die Frau gilt dennoch nicht als arbeitslos

Abbildung 2: Die Eingriffe der Sozial- und Wohlfahrtsstaaten garantierten für ihre Zeit die fortlaufende ökonomische Unterdrückung der Frau, auch das ist eine der Bedeutungen von 'Arbeitslosigkeit' und ihren Politiken. (Bildquelle: Tageswoche)

Warum versichern wir die Arbeitslosen?

Somit löst sich der vermeintliche Gegensatz zwischen der wohlfahrtsstaatlichen Vergangenheit und unserer neoliberal geprägten Gegenwart auf, denn: Versicherung und Sanktion stehen nicht im Zeichen allumfassenden epochalen Bruchs, sondern der Kontinuität eines Systems zur Regierung der Gesellschaft (Lemke 2002). Anstelle eines Rückzuges des Staates handelt es sich mehr um eine Transformation seiner Politik, während sich nicht das Ausmaß staatlicher Interventionen, sondern vielmehr deren hintergründige Ziele verändert haben (Lemke 2000, 2002, 2014). Das Faktum weitreichender staatlicher Machtausübung über die Gesellschaft schwindet – entgegen jeglichen politischen Statements – mit Maßnahmen wie der Sanktionierung von Arbeitslosen niemals! Im Gegenzug muss sie als Teil einer gesellschaftlichen Regierung nach spezifischen Vorstellungen erkannt werden.

Sanktionierung der Arbeitslosen - Prekarisierung der Gesellschaft

Erst in dieser Art und mit großer Achtsamkeit für ihre Effekte auf gesellschaftliche Strukturen lässt sich die mit der neoliberalen Wende einsetzende Sanktionierung der Arbeitslosen betrachten.
Anstelle einer kollektiven Übernahme von Verantwortung für Risiken, die aus dem Leben in der Gesellschaft entstehen, steht die Sanktionierung der Arbeitslosen vor dem Hintergrund ihrer Problematisierung (Lemke 2014). Die Verantwortung für gesellschaftliche Risiken wie Armut oder Arbeitslosigkeit wird in den Bereich der Individuen übertragen. Gleichzeitig werden diese nicht (wie zuvor im Liberalismus) aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang entbunden, stattdessen werden Menschen zum potenziellen Kostenpunkt für die Gesellschaft erklärt. Der arbeitslose Mensch muss gesichert werden, er soll aber nicht auf Kosten der Gesellschaft in der angeblich selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit zur „Belohnung“ Sicherheit erhalten. Auf diese Art wird Arbeitslosigkeit mit einer völlig anderen Logik verstanden, nicht mit der Logik eines klassenüberbrückenden sozialen Bandes und der Versicherung, sondern in der Logik einer möglichst effektiven Unternehmensführung.
Bei diesem Umgang mit der Arbeitslosigkeit handelt es sich nicht um ein singuläres Phänomen. Die Sanktionierung der Arbeitslosen lässt sich als Teil einer ganzen Reihe von Maßnahmen verstehen, die ein allgemeines “Klima der Verknappung” (Borvitz 2020, S. 14) erzeugen. Viele Bestandteile dessen, was einmal die Arbeit und somit das gesicherte Überleben in der Gesellschaft ausmachten, befinden sich mittlerweile in der Auflösung. Mit dem graduellen Verschwinden des unbefristeten Arbeitsvertrags, der Garantie eines direkten Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und der „normalen“ Anstellung zur Vollzeit werden die Arbeitswelten grundlegend transformiert (Borvitz 2020). Die Sanktionierung der Arbeitslosen spielt als Teil dieser Prozesse eine besondere Rolle, weil mit ihr die Unternehmenslogik auch in die Verwaltung der Armut übersetzt wird. Von einer solchen Politik sind nicht nur die Arbeitslosen betroffen, sondern auch diejenigen, die sich von der Arbeitslosigkeit bedroht fühlen müssen (Marchart 2013; Verwiebe 2021). Das Ziel ist nicht mehr das Verhindern gesellschaftlicher Spaltung oder die Erfüllung eines bürgerlichen Ideals, im Neoliberalismus geht es zuallererst um die Universalisierung der Unternehmensform bis in die letzte Ecke unseres individuellen und kollektiven Daseins. Zu diesem Ende führt der neoliberale Staat seine Bürger:innen und „motiviert“ diese durch die Verbreitung von Unsicherheit und angsterfüllten Zuständen (Borvitz 2020). Sozialwissenschaftler:innen diagnostizieren als Resultat dieser Politiken unsere soziokulturelle Realität eine “Prekarisierungsgesellschaft” (Marchart 2013, S. 7), die mit Maßnahmen wie der Sanktionierung der Arbeitslosen nicht ein natürliches Korrelat unserer Lebenswelten, sondern “Ausdruck (neoliberalen) politischen Willens” (Bourdieu 1997, S. 6) ist.

Prekarität beschreibt für betroffene Personen einen Zustand der Unsicherheit, Instabilität und vor allem der Abhängigkeit in einem Kontext asymmetrischer Machtverhältnisse. In unserer Gegenwart bedeutet sie die Unsicherheit unserer Arbeitsverhältnisse und die potenziell daraus folgende Instabilität unserer Lebensführung in einer individualisierten Umgebung, die Prekarität als naturgegeben annimmt. Mit der Bezeichnung „Prekarisierungsgesellschaft“ postulieren Sozialwissenschaftler:innen, dass die vor allem in der Unterschicht vorherrschende Prekarität durch die Verbreitung angsterfüllter Zustände - der Angst vor dem sozialen Abstieg - die Mittelschicht und potenziell die ganze Gesellschaft erreicht.

Was Arbeitsminister Kocher vorsichtig auszudrücken versuchte, lässt sich demnach folgenderweise deuten: Das Corona-Krisenmoment scheint überwunden und aus einem krisenbedingten Umstand staatlich garantierter Sicherheit heraus wird wieder der ursprüngliche Zustand staatlich garantierter Unsicherheit forciert. Und während die Künstlichkeit beider Situationen selten so offensichtlich war wie heute, führt uns letztlich die Sanktionierung der Arbeitslosen wieder zu einem normalen Arbeitsmarkt zurück. Wir dürfen jedoch durchaus hinterfragen, was wir als unsere Normalität akzeptieren wollen.

Dominic Ellwardt studiert Kultur- und Sozialanthropologie (BA) und Psychologie (BA) an der Universität Wien. Hier beschäftigt er sich mit der Konstruktion unserer Alltagswelten, beispielsweise für den Bereich der Arbeit, der Migration und der humanitären Organisationen. Dabei interessieren ihn besonders jüngere historische Entwicklungen und ihre Anknüpfungspunkte an die allgegenwärtigen gesellschaftlichen Machtkonstellationen.

Borvitz, S. (2020). Einleitung - Prekäres Leben. In Borvitz, S. (Hg.). Prekäres Leben: Das Politische und die Gemeinschaft in Zeiten der
     Krise.
Transcript, 11-37.
Bourdieu, P. (1998). Prekarität ist überall, In Gegenfeuer: Wortmeldungen im Dienste des Widerstands gegen die neoliberale Invasion.
     UVK, 96-102.
Donzelot, J. (1991). The mobilization of society. In Burchell, G., Gordon, C., & Miller, P. (Hg.). The Foucault Effect: Studies in
    
Governmentality.
     The University of Chicago Press, 169-181.
Foucault, M. (1973). Wahnsinn und Gesellschaft: Eine Geschichte des Wahnsinns in einem Zeitalter der Vernunft. Suhrkamp.
Lemke, T. (2000). Neoliberalismus, Staat und Selbsttechnologien. Ein kritischer Überblick über die governmentality studies.
    
Politische Vierteljahresschrift, 41(1), 31-47.
Lemke, T. (2002). Foucault, Governmentality, and Critique. Rethinking Marxism, 14(3), 49-64.
Lemke, T. (2014). Eine Kritik der politischen Vernunft – Foucaults Analyse der modernen Gouvernementalität. Argument Verlag.
Marchart, O. (2013). Die Prekarisierungsgesellschaft: Prekäre Proteste. Politik und Ökonomie im Zeichen der Prekarisierung. Transcript.
Wiesböck, L. & Verwiebe, R. (2021). Die Mittelschicht in Österreich unter Druck – einleitende Bemerkungen. In Wiesböck, L., &
     Verwiebe, R. (Hg.). Mittelschicht unter Druck: Dynamiken in der österreichischen Mitte. Springer VS, 1-13.
Walters, W. (1994). The discovery of ‘unemployment’: new forms for the government of poverty. Economy and Society, 23(3), 265-290.

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