Falling Walls Science Summit Titelbild

Der Falling Walls Science Summit findet jährlich in Berlin statt. Als Erinnerung an den Fall der Berliner Mauer führt eine Frage Wissenschaftler:innen aus aller Welt zusammen: Welche Mauern wird die Wissenschaft als nächstes niederreißen?
Drei Tage lang widmen sich die Teilnehmer:innen dieses interdisziplinären und internationalen Summits genau dieser Frage. 2022 nahmen die alexandria-Redakteurinnen Hannah, Mariana und Veronika am Science Summit teil.

Tag 1: Photosynthese-Shirt und getanzte Butter

Nach einer umweltfreundlichen und gefühlt endlosen Zugfahrt am Vortag machten wir uns am Montag, dem 7. November, auf den Weg über die Spree auf die Ostseite von Berlin. Als wir aus der U-Bahn ausstiegen, fanden wir uns in einer Industriegegend wieder.

Breite, vielbefahrene Straßen trennten den Ostbahnhof auf der einen Straßenseite von Fabrikhallen und Bahnhofshotels auf der anderen. Doch die Orientierungslosigkeit verflog bald. Eine rote Linie wies uns den Weg zum Veranstaltungsort.

Das ‚Radialsystem‘ ist ein über hundert Jahre altes Ziegelbauwerk, das früher als Maschinenhalle diente. Sie besitzt heute einen modernen Überbau aus Glas und steht direkt an der Spree. Im Empfangszelt vor dem Gebäude wiesen wir uns aus und erhielten eine rote FFP2-Maske und unsere Presseausweise.

Der Falling Walls Science Summit 2022 begann für uns, wie es sich für eine echte Wiener Delegation gehört, erstmal mit Kaffee. Bevor wir den Vortragssaal betraten, wurde noch hastig ein Cappuccino (Melange kannte man nicht) an der Bar hinuntergekippt. Es sollte nicht der letzte gewesen sein…

Zuerst sahen wir uns die Falling Walls Labs an. Über der Bühne im großen Veranstaltungssaal hing ein riesiger Bildschirm, der die Vortragenden und deren Präsentationen übertrug. Wir nahmen auf einer Tribüne Platz.

In den Falling Walls Labs sollen Projekte von jungen Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Disziplinen gefördert werden. Hierfür müssen die Kandidat:innen gegeneinander antreten. Jede:r bekam drei Minuten und drei Folien lang Zeit, um ein Projekt vorzustellen und das Interesse der Jury bzw. potentieller Investor:innen zu wecken.

Am Ende erfolgte die Bewertung durch die Jury. Neben der Relevanz und Aktualität der eigenen Forschung ist auch eine erfolgreiche Präsentation ganz wesentlich, um die Jury zu beeindrucken.

Während Hannah und Veronika sich Notizen machten, begann Mariana, unsere Instagram-Follower:innen über die Stories daran teilhaben zu lassen. Einige Vortragende, wie beispielsweise die indische Umweltingenieurin Kiranmai Uppuluri (Forscherin im EU-Projekt Aquasense am Lukasiewicz-Institut für Mikroelektronik und Photonik in Krakau, Polen), gefielen uns besonders gut.
Ihre Forschung konzentriert sich auf Materialien, die als Alternative in platingruppenmetallbasierten Sensoren zur Anwendung in der Wasser- und Lebensmittelqualitätsüberwachung verwendet werden können. Ihre Vision ist es, ein erschwingliches, schnelles und zuverlässiges Wasserqualitätsprüfsystems herzustellen, das am Ende seiner Lebensdauer keinen Elektroschrott produziert.

Kiranmai Uppuluri

Die Umweltingenieurin Kiranmai Uppuluri (Universität Krakau) beeindruckte mit einem Vortrag über Wasser- und Lebensmittelqualitätsüberwachung

Manche Bewerber:innen nutzten ihre Zeit, um Werbung für ihr Produkt zu machen, ohne jedoch die wissenschaftliche Funktionsweise dahinter zu erklären. Ein T-Shirt, das Photosynthese betreibt, ein blutstillendes Algenpflaster und ein Airbag-Gürtel für häufig stürzende Senior:innen sind nur ein paar der kuriosen Erfindungen, die uns am ersten Vormittag vorgestellt wurden.

Das vegane Mittagessen sowie weitere Heferl Cappuccino genossen wir zu dritt am Stehtisch. Für den zweiten Teil des Tages teilten wir uns auf, da mehrere Veranstaltungen gleichzeitig stattfanden.

Während die Labs im großen Saal manche junge Forscher:innen ins Schwitzen brachte, fanden parallel auch Falling Walls Venture und Falling Walls Engage statt. Während Hannah ein nahegelegenes Hotel, das als zweite und weitaus kleinere Veranstaltungslocation fungierte, besuchte, erklomm Veronika die Stufen in den fünften Stock. Mariana begleitete zunächst Hannah und dann Veronika, um möglichst viele Eindrücke für unsere Follower:innen einzufangen.

Bei den Falling Walls Venture stellten sich bereits etablierte Firmen vor, um Sponsoren anzulocken. Hierfür musste das Projekt bzw. die Firma von einer Person nominiert werden, welche die Vorstellung übernimmt und anschließend die verantwortliche Forscher:in ankündigte.
Es folgte ein fünf Minuten langer Vortrag, warum diese Forschung das Interesse der Menschen wecken sollte, sowie die Vorstellung der wichtigsten Leute in diesen Firmen. Danach waren weitere fünf Minuten für Fragen angesetzt, die vor allem von Kritiker:innen und der Konkurrenz genutzt wurden.

Beim Falling Walls Venture für Health Solutions wurden zahlreiche moderne Verfahren vorgestellt, von Organen aus 3D-Druckern und Untersuchung unterschiedlicher Pharmaka über künstliche Intelligenz, die klinischen Erfolg messen kann, bis hin zu Computerprogrammen, die Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung dabei helfen sollen, ihre eigene Amygdala (Emotionszentrum) zu kontrollieren.

Besonders die Vorstellung eines einfachen Bluttests zur Früherkennung vieler Krebsarten (der 14 häufigsten) noch vor dem Auftreten der ersten Symptome war sehr beeindruckend.

Die Moderatorin wurde nicht müde zu betonen, dass ihr persönlich an diesem Tag zu viele weiße Männer teilnahmen und doch bitte, bitte diverse Menschen und vor allem FRAUEN das Feld stürmen sollen.

Bei Falling Walls Engage wurden Konzepte zur Wissenschaftsvermittlung vorgestellt. Einige dieser Ideen wurden von den Vortragenden auf kreative und teils auch skurrile Weise präsentiert: Miki Igarashi, eine Wissenschaftlerin aus Japan, vollführte einen Tanz und schüttelte dabei eine Flasche voll Schlagrahm zu Technomusik, bis der Flascheninhalt zu Butter wurde. Diese ‚dancing science‘ sollte mehr junge Frauen für Naturwissenschaften und Technik begeistern.
Ein anderer Vortragender inszenierte auf der Bühne einen Dialog zwischen zwei Gangstern, bei dem er selbst beide Rollen spielte, um damit Einblicke in seine ‘Neuro-Show’, ein Theaterstück zur Vermittlung von Neurowissenschaften, zu geben. Aber auch Technik-Baukästen für junge Mädchen und Experimentier-Workshops für Schulen wurden vorgestellt.
Nachdem wir nicht nur uns selbst, sondern auch unseren Instagram-Kanal um einige Eindrücke bereichert hatten, kehrten wir zurück in unser AirBnB, um für unseren ersten Interviewtag fit zu sein.

Tag 2: Der Himmel über Berlin

Tag zwei unseres Aufenthaltes startete mit Sonnenschein über Berlin. Die Spree glitzerte fast schon kitschig schön und gab der Atmosphäre den letzten Schliff. Am anderen Ufer, auf der Gewerkschaftszentrale der verdi, steht in den Farben der ukrainischen Fahne FRIEDEN.
Noch bevor wir den Tag mit weiteren Cappuccini begonnen hatten, klingelte bereits mehrmals das Telefon, da kurzfristig einige Interviewpartner zusagten, uns heute zu treffen.

Wir hatten die Gelegenheit Joachim von Braun (forscht an Lösungen gegen den globalen Hunger, einen Artikel über ihn findet ihr hier: Wie ernährt man die Welt?), Ulrike Felt (Wiener Professorin der Wissenschaftsforschung), Randall Platt (Biotechnologe aus Zürich) und Jaime Celedón (Schöpfer des photosynthetischen T-Shirts) zu sprechen und ihnen Fragen zu ihrer Arbeit zu stellen.

Auch diesmal hielt Mariana alles für unsere Community fest und schoss nebenbei noch einige hundert Fotos. Nach den Interviews genehmigten wir uns - wie könnte es anders sein - noch einige Cappucini. Mit den Baristas hatten wir uns mittlerweile angefreundet, was half, Tipps für gute Clubs und Bars in Berlin zu bekommen. Auch die Wissenschaft braucht mal eine Pause.

Hannah beim Falling Walls

Redakteurin Hannah im Einsatz, hier im Interview mit Ulrike Felt, Professorin für Wissenschaftsforschung in Wien

An diesem Tag fanden erneut mehrere Symposien parallel statt. Dabei trugen Expert:innen über ihre Forschung vor.
Beim Health Symposium Life Sciences waren Marcus Mall, Randall Platt, Evan Eichler und Benyamin Rosental vertreten, über deren Arbeit wir bei alexandria bereits genauer berichtet haben und noch berichten werden (hier der Artikel zur Forschung von Marcus Mall: Cystische Fibrose: Wie Wasser in der Lunge).

Danach gab es Fragerunden. Nicht nur das Publikum stellte Fragen, auch die Vortragenden befragten sich untereinander zu ihren Forschungsansätzen. Dadurch fanden die Diskussionen stets auf einem unglaublich hohen Niveau statt, sodass auch Expert:innen etwas mitnehmen konnten.

Veronika bei Falling Walls

Redakeutrin Veronika im Gespräch mit dem Mediziner Marcus Mall

Am Abend hieß es dann: Job done. Wir durften uns von aufmerksamen Journalistinnen in weniger aufmerksame Touristinnen verwandeln: Es ging für uns über „den Alex“ hoch hinaus auf den Berliner Fernsehturm.
Wir genossen den Ausblick über diese beeindruckende Stadt. Mariana arbeitete fleißig weiter und schoss noch einige Promofotos für unser Magazin. Als Social Media-Delegierte kann man das iPhone eben nur schwer aus der Hand legen.

„Gute Nacht Berlin“ sagte sie leise, während sie ein letztes Foto machte und das iPhone endgültig in ihrer Tasche verschwand. Eine Stadt wie diese sollte man durch die eigenen Augen sehen. Nicht durch die Linse einer Kamera.

Tag 3: Gegen die Mauern dieser Welt

An unserem letzten Tag erinnerte sich Berlin an die unglaubliche Leistung, die es am 09.11.1989 vollbracht hat. Der friedliche Umsturz der Berliner Mauer und damit der DDR war für Deutschland ein Neuanfang.
Wie schwierig und lange der Weg der Wiedervereinigung war und noch immer ist, zeigt sich am ostensivsten in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Die Wissenschaft arbeitet unabhängig jeder Staatsform unter mal schlechteren oder eben besseren Bedingungen. Ohne Wissenschaft kein Fortschritt - und zwar für keinen der oben genannten Bereiche.

Brandenburger Tor

Das Brandenburger Tor, ein Wahrzeichen Berlins

Die Vorträge waren an diesem Tag besonders spannend. Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt und quer durch alle Disziplinen trugen ihre Forschung vor. Eine Politikwissenschaftlerin aus Brasilien, Lilia Moritz Schwarcz, präsentierte ihre Ergebnisse zur Entstehung illiberaler Demokratien. Anhand ihres Heimatstaates analysierte sie, wie aus einer Demokratie schleichend ein autoritäres Regime werden kann.

Besonders beeindruckt waren wir von dem US-amerikanischen Neurochirurgen Edward Chang, der als allerletzter vortragen durfte. Mit der Ableitung elektrischer Impulse von der Hirnrinde ermöglicht es seine Forschung Menschen, die ihre Sprachfähigkeiten z.B. durch einen Schlaganfall verloren haben, diese in Teilen zurückzugewinnen.

Der letzte Tag brachte auch endlich einen Platz zum Arbeiten im stets überfüllten Pressezelt. Wir knüpften Kontakte zu internationalen Medien wie beispielsweise einem Wissenschaftsmagazin aus Athen und zu einer freien Journalistin aus Sri Lanka. Der Name alexandria Magazine for Science, Vienna AT auf unserem Presseausweis sorgte für breites Interesse. Wir wurden oft angesprochen und gefragt, woran wir arbeiten und wer alexandria denn überhaupt sei.

Sowohl große, etablierte als auch kleinere Medien und die vortragenden Wissenschaftler:innen selbst waren sehr angetan von der Idee, junger Wissenschaft eine Plattform zu geben. Auf den letzten Metern tauschten wir noch einige Visitenkarten aus. An der Garderobe und beim endgültig letzten Cappuccino an der Bar.
Vielleicht ist es doch kein Klischee, dass wir Österreicher:innen am besten beim Kaffee kommunizieren. Wissenschaftlich und privat.

Hinter den Kulissen

Ein Blick hinter die Kulissen des Falling Walls Science Summits

Irgendwann ging auch der letzte Tag zu Ende. Es war ein bewegtes Finale, denn einer der Veranstalter sprach in seiner Abschlussrede über die menschenfeindlichen Zustände im Iran, in der Ukraine und in anderen Teilen der Welt.

In diesem Moment war noch ein letztes Mal die Symbolik hinter dieser Veranstaltung spürbar. Wäre die Mauer nicht 33 Jahre zuvor gefallen, könnte heute nicht die ganze Welt im Namen von Wissenschaft und Forschung in Berlin zusammenkommen. Zum Abschluss wurde das Publikum zum Niederreißen der Mauern in unserer Gesellschaft aufgerufen.

Der Falling Falls Science Summit zeigte auch in diesem Jahr, wie wichtig es ist, Mauern nicht nur zu überwinden, sondern sie völlig niederzureißen. Denn hinter ihnen wartet nicht selten eine neue Welt.

Nachtzug

Mit dem Zug ging es wieder zurück nach Wien - aber wir kommen gerne wieder!

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