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Was ein wenig wie die Suche nach dem Heiligen Gral klingt, ist für Johannes und Regina Grillari Gegenstand ihrer täglichen Forschung: Sie arbeiten an einer Möglichkeit, das Altern unserer Zellen zu stoppen und altersassoziierte Krankheiten zu heilen. Schon seit ihrer Dissertation forschen die Zellbiologin Regina Grillari und der Molekularbiologe Johannes Grillari zusammen. Beide haben unterschiedliche Schwerpunkte gewählt, aber der Bereich ist derselbe: die medizinische Biotechnologie.

Warum das wichtig ist: Zellen sind die kleinsten lebenden Einheiten, die einen Organismus bilden. Mit zunehmendem Alter können Zellen ihre Teilung nicht mehr regulieren und werden "unsterblich". Das kann zu Krebserkrankungen führen. Will man aber normale Körperzellen besser studieren, muss man sie zunächst isolieren und dann künstlich "immortalisieren", also unsterblich machen. Durch die Erforschung dieser unsterblichen Zellen verstehen wir besser, wie Krankheiten entstehen und können auch den Einsatz von Tierversuchen reduzieren. Wichtig ist diese Arbeit vor allem für die Krebsforschung, die biologischen Alternsforschung, die Biomedizin, aber auch für alle Bereiche der Zell- und Molekularbiologie.

Wie bleibt man ewig jung?
Johannes Grillari: Forschen hält jung, da man einerseits täglich neu und auf eine andere Art gefordert wird und andererseits mit jungen Leuten zusammenarbeitet.

Habt ihr beide den gleichen Forschungsgegenstand?
Johannes Grillari: Ich gehe in die Richtung Alterung als Grundlagenforschung und komplementär darauf aufbauend: Wie kann ich das Leben der Zellen mit biotechnologischen Mitteln verlängern?
Regina Grillari: Wir suchen ewig wachsende Zellsysteme für die Herstellung von Pharmazeutika. Für diese Zellsysteme muss man die Mechanismen, die das Wachstum bremsen, ausschalten, um Zellen zu immortalisieren.

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Zellbiologin Regina Grillari und der Molekularbiologe Johannes Grillari gemeinsam an der Universität für Bodenkultur (Foto: (c) BOKU Alumni/Haroun Moalla)

Was sind eure Entdeckungen? 
Johannes Grillari: Wir erforschten an Zellen den Zustand der Seneszenz. Regina entdeckte Mechanismen, diese zu umgehen. Dadurch wachsen humane Zellen für immer – ohne ihre Eigenschaften zu verlieren. Wir können Nierenzellen nun in einem standardisierten Zustand in großen Mengen herstellen. Wir arbeiten mit Zellmodellen, welche in Forschung, Pharmaindustrie oder Chemischer Industrie verwendet werden, um Produkte auf ihr Potenzial oder ihre Toxizität zu testen. Diese Zellen gelten als Modelle weltweit als Best Practice, was zur Gründung unseres Unternehmens Evercyte geführt hat. Man kann humane Zellen, weil sie nun immer wachsen, in Massen produzieren, ohne dass sie ihre primären Eigenschaften verlieren. Ausschlaggebend ist der Moment, in dem extrazelluläre Vesikel reproduziert werden. Denn die sind scheinbar aktive therapeutische Bestandteile von vielen erfolgreichen Stammzelltherapien. Transplantierte Stammzellen integrieren sich nicht im Körper, aber das Sekret der extrazellulären Vesikel scheint eine heilende Wirkung zu haben. Die immortalen Zelltypen können wir nun auch als Zellfrabriken verwenden, um solche therapeutische Vesikel herzustellen. Unser nächster Schritt sind Zellen als Therapeutikum. Immortalisierung ist auch durch Reprogrammierung in pluripotente Stammzellen möglich. Da haben wir ein Patent, das Urinzellen für die Reprogrammierung in pluripotente Stammzellen verwendet. Die Zellen werden aus dem Urin isoliert, unsterblich gemacht, differenziert und für Therapien verwendet. 

Wie seid ihr dazu gekommen, Zellen unsterblich zu machen und sie als medizinische Behandlungsmethode einzusetzen? 
Regina Grillari: Startpunkt war meine Dissertation unter der Betreuung von Universitätsprofessor Hermann Katinger 1996: Nierenzellen zu Herstellung von Erythropoetin, ein Enzym zur Differenzierung von Erythrozyten. Damals glaubte niemand an humane Zellen als Produktionsstätte. Jetzt sind wir so weit, dass sie für die Produktion von komplexen Molekülen, rekombinanten Proteinen oder eben Vesikel von der Industrie aufgegriffen werden.

Gibt es Diskussionen zur Gentechnik?
Regina Grillari: Nicht mehr im Bereich der medizinischen Biotechnologie. 

Am Beginn von bösartigen Tumoren stehen Mutationen: Veränderungen im genetischen Material. Können eure Zellen also Tumore bilden, wenn sie sich immer weiter teilen? 
Regina Grillari: Das Gute an unseren Zellen: Wir verändern sie so, dass sie keine tumorigenen Eigenschaften besitzen. Denn wir testen unsere Zellen immer über einen sehr langen Zeitraum. Unter anderem gibt es In-Vitro-Tests für bestimmte Eigenschaften, welche nur Tumorzellen haben. Eine andere Möglichkeit ist, sie in immunsuprimierte Mäuse zu spritzen. Das ist leider immer noch der ultimative Test, bei dem sie allerdings keine Tumore zeigen. Außerdem ist durch unser Verfahren – Reaktivierung der Telomerase – die genetische Stabilität in den Zellen erhöht. Ein weiteres Ziel: Wir gehen mit unseren Zellen stark in Richtung „3R“: Replace (Vermeiden), Reduce (Verringern) und Refine (Verbessern) von Tierversuchen, da wir damit ernsthafte Alternativen bieten, um die hohe Anzahl der notwendigerweise durchgeführten Tierversuche reduzieren zu können. In der kosmetischen Industrie sind Tierversuche mittlerweile verboten, weshalb unsere Modelle noch wichtiger geworden sind. Die erweiterte Lebensspanne unserer Zellen ermöglicht standardisierte, reproduzierbare Versuche. Immer wieder auf vom Spendegewebe isolierte Primärzellen zurückgreifen zu müssen, ergibt nämlich eine unerwünschte Spender-Variabilität. 

Manche Zellen werden in Petrischalen, andere in kleinen Fläschchen, sogenannten Flüssigkulturen, kultiviert. Das heißt, sie teilen sich und nach einer gewissen Zeit hat sich ihre Anzahl verdoppelt. Dafür muss man den Zellen bestimmte Nährstoffe zuführen. Aus was besteht euer Futter für die Zellen?
Regina Grillari: Es ist ein festes oder flüssiges Nährmedium aus Proteinen, Zucker, Mineralstoffen, Vitaminen, Aminosäuren, und einem pH-Indikator, der anzeigt, wann „nachgefüttert“ werden muss. Das machen wir mit unserer Firma Evercyte. 

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Abbildung 1: In Petrischalen werden Zellen kultiviert

Welche Art von Zellen kultiviert ihr für eure Forschung?
Johannes Grillari: Unter anderem sind das induzierte pluripotente Stammzellen aus dem Urin. Innerhalb von drei Wochen reprogrammiert Regina aus Urin  einen embryonalen Stammzellen-Typ, den sie zum Beispiel in Richtung Herzmuskelzellen differenzieren kann. Das heißt: Sechs Wochen nach Urinabgabe werden daraus spontan schlagende Herzmuskelzellen in der Kulturschale – eine Sensation, worüber im renommierten Online Journal Nature Protocols publiziert wurde. Die Zellen erinnern sich daran, was sie sind, welche Funktion sie haben. Es ist auch möglich, diese Zellen als Endothelzellen, die eigentlich unsere Blutgefäße auskleiden, zu programmieren. Sie beginnen dann Blutgefäße zu bilden, indem sie sich „erinnern“, Röhren zu machen. 

Ihr habt mit der Forschungsabteilung von Chanel kooperiert und dabei die Herstellung einer Creme ermöglicht, die der Kosmetikkonzern auf den Markt gebracht hat. Vor allem eure Forschungsergebnisse zu seneszenten Zellen, also Zellen, die sich ab einem gewissen Alter nicht mehr teilen, haben dabei geholfen. Die Creme reduziert nun nachweislich das mit der Hautalterung einhergehende Erscheinungsbild: Trockenheit und Falten. Denkt ihr nun an ein eigenes Produkt am Markt?
Johannes Grillari: Nicht für die Kosmetik. Der Vorteil an der Kooperation mit Chanel war, dass wir tief in die grundlegende Biologie der Hautalterung schauen durften. Die Wirkung der Creme basiert auf einem Pflanzenextrakt und lässt sich sehr gut reproduzieren – intern ist es eines ihrer besten Produkte. Die Effekte, die wir in unseren dreidimensionalen Zellkultur-Modellen sehen, sieht Chanel auch bei den Proband:innen. Chanels Interesse an der Hautgesundheit und der Grundlagenforschung macht sie zu richtig guten Kooperationspartner in unserem siebenjährigen Forschungsprogramm. Dabei beobachten wir im Christian-Doppler-Labor die Kommunikation der Zellen in der Dermis mit dem Barriere-Zelltyp, den Keratinozyten. Als erstes konnten wir zeigen: Dies erfolgt auch mit Hilfe extrazellulärer Vesikel. Unsere Haut kann im Alter 20 % bis 50 % seneszenter Zellen enthalten. Fibroblasten, unsere Bindegewebszellen, unterdrücken die Differenzierung der Keratinozyten, wenn sie seneszent werden: Die Barriere wird nicht mehr so gut ausgebildet – und auch ihre Dicke sinkt. Das führt zu einem größeren Wasserverlust der gesamten Haut – typisch für die reifere Haut, die ja vor allem mit Trockenheit zu kämpfen hat. Außerdem schütten seneszente Fibroblasten Faktoren aus, die das Bindegewebe in der Haut stören: Die Kollagenmatrix verändert sich unter anderem auch dadurch. 

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Abbildung 2: Aufbau der menschlichen Haut – vor allem die Keratinozyten spielen in der Forschung der Grillaris eine wichtige Rolle

Wie lange läuft das Projekt noch?
Johannes Grillari: Bis Ende Juni.  

Wie ist es am neuen Institut im Lorenz Böhler Krankenhaus? 
Johannes Grillari: Super: 13 Arbeitsgruppen, 70 Wissenschaftler:innen, rund 20 Ärzt:innen, die mitarbeiten – wir haben einen starken transdisziplinären Fokus, unter anderem im Bereich Intensivmedizin. Ich baue meine Arbeitsgruppe für Geweberegeneration und Alterung auf. Dank Reginas Idee, sich die Knochen- und Gefäßzellen in vitro anzusehen, haben wir auch hier ein Wechselspiel von seneszenten Gefäßzellen und mensenchymalen Vorläuferzellen gesehen, welche die Knochenbildung hemmen. Auch hier spielen Vesikel eine wichtige Rolle. Diese transportieren micro-RNAs als Steuerelemente. Um diese Erkenntnis diagnostisch zu nutzen, gründeten wir die Firma TAmiRNA mit mittlerweile drei verschiedenen Tests am Markt. Mit einem genetischen, rein blutbasierten Test lassen sich nun mehrere osteoporotische Faktoren rechtzeitig vorhersehen und wunderbar behandeln, um das Risiko von Knochenbrüchen um 50 % bis 60 % zu senken. Unser Test zeigt einen Snapshot mehrerer Gewebe an, die bei Osteoporose eine Rolle spielen. 
Regina Grillari: Evercyte und TAmiRNA haben gemeinsam vier Labors, Kühlräume, weitere Nebenräume und Büros. Wir nutzen auch die Infrastruktur vom Vienna BioCenter um die Ecke – hauptsächlich Core Facilities.

Habt ihr im Krankenhaus Möglichkeiten, die Ergebnisse eurer Forschung direkt bei der Behandlung von Patient:innen anzuwenden?
Johannes Grillari: Ja, zum einen in der Akutmedizin: Traumata, Sepsis, Schock, Gerinnungsstörungen bei Polytraumata. Hier haben wir eine extrem gute Arbeitsgruppe für Unfälle, die sich mit der Blutstillung nach Unfällen beschäftigt und und unterschiedliche Gründe für Störungen der Gerinnung und einhergehende gezielte Therapieansätze einsetzt. Dank dieser Forschung und Diagnostik wurden schon ziemlich viele Leben gerettet. Auch bei Sepsis ist die Diagnostik noch nicht gut genug. Zum anderen in die Geweberegeneration: Knochen wachsen häufiger als man glaubt nicht zusammen. Außerdem erschweren Faktoren wie Rauchen oder Diabetes die Heilung. Knorpelschäden führen über lange Zeit zu Abnützungen, die beispielsweise einen Knieersatz fordern. Weil wir sämtliche Unfallchirurgen im Hause haben, gibt es hier auch eine experimentelle Chirurgie. Da werden chirurgische Techniken in präklinischen Experimenten ausgetestet. 

Sind seneszente Zellen tatsächlich so böse?
Johannes Grillari: Ja, vergleicht man zwei gleich alte Mäuse, so ist die Maus, deren seneszente Zellen gelöscht wurden, wesentlich jünger in ihrer Erscheinung. Sämtliche wissenschaftliche Papers belegen: Entfernt man seneszente Zellen, kann man alle großen altersassoziierten Krankheiten wie Arteriosklerose, Diabetes, Nieren- und Lungenkrankheiten, Myokardinfarkt, Osteoarthritis, Osteoporose und Muskelschwund wesentlich verbessern. 

Welche Journale publizieren eure Entdeckungen?
Regina Grillari: Wir träumen natürlich alle von Nature und Science. Dann gibt es einige Journale, die auch in unserem Bereich fachspezifisch sehr gut sind: zum Beispiel Journal of Investigative Dermatology, Aging Cell Journal

Wie geht es in Zukunft weiter? 
Regina Grillari: Unter anderem mit der regenerativen Medizin. Denn alle Vesikel, die wir herstellen, können wir in den Zellmodellen anschauen und austesten. Ist eine diabetische Wunde, welche nicht ausheilt, mit unseren Mitteln dann doch heilbar? 
Johannes Grillari: Wie können wir residente Stammzellen reaktivieren, damit sie uns in der Regeneration von Knochen, Knorpel, Sehnen, Bänder und Nerven helfen? Wie können wir seneszente Zellen eliminieren? Wir haben schon ein eigenes Patent für eine Substanz, die eine entsprechende Wirkung hat. Sie ist jedoch noch nicht am Markt.
Regina Grillari: Mir wird jetzt erst bewusst, wie mich das Department für Biotechnologie geprägt und gefördert hat. Kein Mensch, der mit Vesikel arbeitet, hat eine Ahnung davon, was man dafür an ethischen und regulatorischen Anforderungen braucht. Was sind xenofreie Medien? Was bedeutet Standardisierung, was Dokumentation? Ohne mir bewusst zu sein, habe ich mir dieses Wissen ganz nebenbei auf der BOKU einverleibt. 

Welche Informationen übermitteln Vesikel in der Zellalterung genau?
Johannes Grillari: Im Wesentlichen sind es Alarmsignale, die nicht abgeschaltet werden … 
Regina Grillari: ... die Information, dass es Zeit zum Altern ist – ein gemeinsamer Mechanismus von vielen altersassoziierten Krankheiten.

Habt ihr Angst vor dem Altwerden? 
Johannes Grillari: Ich nicht, im Gegenteil. 
Regina Grillari: Eher nicht. 

Was ist euer Ansporn in diesem Bereich?
Johannes Grillari: Es geht in erster Linie darum, die Gesundheit der Patient:innen zu verbessern. 
Regina Grillari: Ganz konkret: Wenn ich an die extrazellulären Vesikel denke, an ihr Potenzial, an Studien und Beispiele … alleine das Gefühl, einen kleinen Beitrag leisten zu können, damit Patient:innen wieder vollständig genesen können, ist für mich ein Traum. 
Johannes Grillari: Das Gefühl der Nützlichkeit. Etwas mit den eigenen Möglichkeiten, Talenten und dem Privileg, studieren zu dürfen, anzufangen. Das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und all das genießen zu dürfen und diesen Weg gemeinsam zu beschreiten. 
Regina Grillari: Es war immer sehr inspirierend, gemeinsam zur gleichen Zeit mit der Dissertation und Habilitation anzufangen, immer einen Gesprächspartner zu haben. Zur Frage, wie es ist, mit dem Partner zusammenzuarbeiten: Es ist immer großartig. 

Das Interview entstand in Zusammenarbeit mit unserem Kooperationspartner BOKU Alumni Magazin.

Regina und Johannes Grillari schlossen 1996 ihr Studium der Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur (BOKU) ab. Im selben Jahr beendete Johannes Grillari auch das Studium der Betriebswirtschaftslehre an der WU Wien. Regina Grillari folgte mit einem Abschluss in Industriemanagement, Wirtschaft und Recht (TU Wien) 1997 ebenfalls in die wirtschaftliche Richtung. Beide Forscher habilitierten an der BOKU: Johannes Grillari 2006 in Molekularbiologie, Regina Grillari 2008 in Zellbiologie. 2011 gründeten sie gemeinsam ihr Unternehmen Evercyte GmbH, von dem Regina seit 2014 technische Vorständin ist. Die Evercyte GmbH stellt Zelllinien zur Verfügung, die als Modellsysteme sowie für Zelltherapien angewendet werden können. 2013 gründeten sie die TAmiRNA GmbH, ebenfalls ein biotechnologisches Unternehmen, das diagnostische Lösungen für schwere altersbedingte Erkrankungen anbietet. Johannes Grillari ist seit April 2019 Direktor des Instituts für experimentelle und klinische Traumatologie am Ludwig Boltzmann Institut

- Hintergrundinformationen zu den extrazellulären Vesikeln: Extrazelluläre Vesikel (Journal Trillium) 
- Ein kurzes Video, was mit unserem Körper passiert, wenn wir altern: Warum altern wir? (Biologie - simpleclub)
- Johannes Grillari hat an diesem Paper über extrazelluläre Vesikeln in der menschlichen Haut mitgearbeitet (englisch): Extracellular Vesicles in Human Skin (NCBI)
- ORF-Reportage mit Johannes Grillari: Wie alt kann ein Mensch werden? (ORF) 

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