Das Gebäude der Central European University in Wien

Zum Abschluss unseres science&policy-Programmschwerpunkts schreibt unser Redakteur Mislav über die Central European University und geht der Frage nach, wie sehr sich die Politik in die Wissenschaftseinrichtung ihres Landes einmischen kann und darf.

Dieser Beitrag erscheint in der Reihe science&policy. In diesem Schwerpunkt setzt sich alexandria mit der Frage auseinander, wie Politik und Wissenschaft sich gegenseitig beeinflussen und wie die Wissenschaft bei gesellschaftspolitischen Entscheidungen helfen kann.
Mehr dazu findest du hier.

Die Central European University (CEU) ist eine Privatuniversität, die 1991 in New York gegründet wurde und Außenstellen in Budapest und Wien besitzt. Diese Tatsache, die unter gewöhnlichen Umständen medial wenig Beachtung finden würde, ist spätestens seit 2017 nicht nur in ungarischen Massenmedien ein breit diskutiertes Thema. Die rechtskonservative Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán (Fidesz) verabschiedete vor knapp vier Jahren ein umstrittenes Hochschulunterrichtsgesetz, das Lehrgänge, die amerikanische Hochschuldiplome vergaben, verbot und somit Lehre und Forschung der CEU am Standort Budapest vor massive Probleme stellte. In diesem alexandria erklärt wollen wir rekonstruieren, wie sich diese Entwicklung vollzog und welche Probleme damit einhergingen. 

Wissenschaft als Teil einer offenen Gesellschaft

Die Idee zur Gründung einer internationalen Universität mit rechts-, geistes- und sozialwissenschaftlichem Fokus wurde Ende der 1980er Jahre im Zuge der weite Teile Osteuropas umfassenden Demokratisierungsprozesse geboren. Der US-amerikanische Milliardär und Philanthrop George Soros, 1930 in Budapest geboren, fungierte dabei als Gründer und Hauptinvestor. Die Student:innen kamen vorwiegend aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa und konnten Kurse in Prag, Warschau und Budapest belegen. Der Campus in der ungarischen Hauptstadt etablierte sich ab 1995 als Hauptstandort. Der Unterricht fand in den folgenden Jahren nahezu ausschließlich dort statt. Im Jahr 2019 wurde ein weiterer Standort in Wien eröffnet. Im Vorfeld kam es dabei in Budapest ab 2017 zu Spannungen zwischen der Universität und der rechtskonservativen Regierung der Fidesz-Partei, der die CEU aufgrund ihres „Bekenntnisses zu einer offenen und pluralistischen Gesellschaft“ ein Dorn im Auge war. Das Konzept der "offenen Gesellschaft" wurde vom österreichischen Denker Karl Popper geprägt. Er bezieht sich damit auf eine Gesellschaft, in der die kritischen Fähigkeiten des Menschen Platz finden können. Eine Diktatur der Mehrheit wird darin ebenso abgelehnt wie die Zentrierung der gesamten Staatsgewalt bei einer Partei. Es ist eine traurige Ironie, dass Viktor Orbán höchstpersönlich in den 1990er Jahren an der Eliteschmiede CEU studierte. Doch wofür steht die Fidesz-Partei rund um Orbán?

Die illiberale Demokratie

Vor knapp einem Jahr veröffentlichte Viktor Orbán einen Aufsatz in der nationalkonservativen und der Fidesz-Partei nahe stehenden Zeitung „Magyar Nemzet“. In diesem kam sein politisches Weltbild hinsichtlich Ungarns Gegenwart und Zukunft im Rahmen der EU zum Ausdruck. Orbán sieht sich als konservativer Anführer im Kampf gegen die im Westen grassierende „liberale geistige Unterdrückung“. Meinungspluralismus innerhalb der eigenen Partei wird abgelehnt, christlich geprägter Konservativismus begrüßt. Die im Aufsatz propagierte Haltung überrascht kaum noch jemanden, zumal der ungarische Staatschef seit Jahren politisch immer mehr nach rechts driftet. Dies war nicht immer so: Orbán galt nach der Wende als einer der politischen Hoffnungsträger Ungarns, der das ehemalige Ostblockland zu einem liberal ausgerichteten, grunddemokratischen Staat transformieren könnte. Anfangs schien auch der Weg der Fidesz-Partei ein vielversprechender zu sein: 1988 von einer Gruppe junger Intellektueller gegründet, mauserte sich die Partei in den Jahren nach der Wende zu einem wichtigen Eckpfeiler ungarischer Politik. Die von Orbán propagierten Werte in den 1990er-Jahren schienen somit zunächst durchaus mit den Grundfesten der CEU vereinbar. Wie aber konnte es dann im Laufe der Jahre zur stetigen Zuspitzung der innenpolitischen Lage und schlussendlichem Zerwürfnis zwischen der internationalen Universität und Ungarns Regierungspartei kommen?

Der Protest gegenüber der Regierung war groß

Abbildung 1: Zahlreiche Menschen demonstrierten gegen die Repressionen der Politik gegenüber der CEU. Die Universität übersiedelte schließlich aus Budapest nach Wien.

Staatsfeind Nr. 1

Laut dem Nations in Transit Index (Nations In Transit 2021) ist Ungarn eine semi-konsolidierte Demokratie. Eine eindeutige Tendenz weg von einer konsolidierten (vollendet rechtstaatlichen) hin zu einer defekten Demokratie (Autokratie) ist seit einigen Jahren zu beobachten. Dabei wurde Ungarn Anfang der 2000er Jahre als Musterschüler unter den damaligen EU-Beitrittskandidaten gepriesen. Im Laufe der darauffolgenden Jahre schlitterte der mitteleuropäische Staat unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány (MSZP), der nach Orbáns erstem Regierungsmandat (1998-2002) das Land anführte, jedoch in eine wirtschaftliche Krise, die nahezu zur kompletten Zahlungsunfähigkeit führte. Bei den Parlamentswahlen 2010 riss Orbán das politische Ruder zum wiederholten Male an sich und steht seither an der politischen Spitze eines Landes, dessen Politiker:innen in den letzten Jahren immer häufiger medialem und politischen Kreuzfeuer der internationalen Kritik ausgesetzt sind. Orbáns Taktik hin zur totalitär anmutenden Machtkumulation erweist sich dabei als erfolgreich. So nutzt er etwa die Flüchtlingskrise zur Verbreitung antimuslimischer und -semitischer Propaganda, unterstützt durch staatlich kontrollierte Medien. Nicht zuletzt ist es die Konstruktion äußerer Feinde, mit Hilfe derer Orbán Angst in der Bevölkerung schüren möchte. Dabei kristallisierte sich eine Persönlichkeit während der letzten paar Jahre als Staatsfeind Nr.1 heraus: George Soros, der Gründungsvater der CEU.

Populismus & Verschwörungstheorien

Die Konstruktion von Feindbildern ist ein wesentlicher Bestandteil populistischen Handelns. Feindbilder drücken den Unwillen aus, sich auf die Komplexität der politischen oder gesellschaftlichen Verhältnisse einzulassen. Soros‘ Ideal der offenen Gesellschaft trifft dabei auf Orbáns Modell der illiberalen Demokratie – zwei Konzepte, die kaum vereinbar sind. Demzufolge verwundert es wenig, dass Orbáns Propagandamaschinerie stetig gegen den 91-jährigen, aus einer jüdischen Familie stammenden Holocaustüberlebenden Soros arbeitet (und sich dabei antisemitischer Stereotypen bedient), um die Botschaft über diverse Medienkanäle an ein möglichst breit gefächertes Publikum zu bringen. So wird dem Milliardär unter anderem vorgeworfen, er würde im Rahmen ausgeklügelter Strategien („Soros-Pläne“) Muslim:innen nach Europa verhelfen, um Ungarn:innen bzw. Europäer:innen ihrer christlichen Identität zu berauben. Zudem werden Gesetzesänderungen, die auf die Einschränkung von Soros’ Engagement abzielen, beschlossen. 2018 wurde mit Stimmen der rechtskonservativen Regierungsmehrheit das als „Stop Soros“ bezeichnete Gesetzespaket erlassen, das strafrechtliche Konsequenzen für „Beihilfe zur illegalen Migration“ vorsieht. Im Zuge dessen zog sich Soros‘ Stiftung Open Society Foundations (OSF) aus Ungarn zurück und übersiedelte nach Berlin. Diesem Beispiel folgte alsbald auch die CEU.

das neue Gebäude der CEU in Wien-Favoriten

Abbildung 2: Das CEU-Gebäude in Wien-Favoriten

Ist die Freiheit der Wissenschaft gefährdet?

2017 demonstrierten in Budapest 80.000 Menschen gegen den umstrittenen Gesetzesentwurf und für den Verbleib der Universität in Budapest – vergeblich, wie sich zeigen sollte. Obwohl ein EuGH-Urteil dem Gesetz Verstöße gegen geltendes EU-Recht bescheinigte, änderte dies nichts am Rückzug der CEU aus Budapest und dem 2018 verkündeten Umzug nach Wien, der 2020/21 zur Gänze abgeschlossen werden soll. Aktuell sind in etwa 1.500 Student:innen aus über 100 Ländern inskribiert. Studiengänge können aktuell aus 13 Fachbereichen ausgewählt werden. Derzeit wird ein provisorisches Gebäude in Wien-Favoriten genutzt, 2025 soll der Umzug nach Wien-Penzing erfolgen. Die Zukunft der CEU scheint somit bis auf weiteres gesichert. Wie die Zukunft Ungarns im Rahmen der EU aussieht, bleibt ungewiss. Besorgniserregend ist die Einmischung von Politik in universitäre Belange und damit einhergehende Einschränkung wissenschaftlicher Freiheit allemal. Es bleibt zu hoffen, dass die Causa CEU als Einzel- und nicht als Präzedenzfall in die europäische Wissenschaftsgeschichte eingeht.

Feldner, G. (2021). Die Konstruktion des Feindbildes George Soros in Ungarn. Masterarbeit, Universität Graz.
Homepage der Central European University, www.ceu.edu (CEU, zuletzt abgerufen am 27.08. 2021)
Das Feindbild Soros:  (DW, zuletzt abgerufen am 27.08. 2021)
Zur Person Viktor Orbán (Britannica, zuletzt abgerufen am 27.08. 2021)

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