Der Rauch verdunkelt den Himmel als wäre es Nacht: Niemand soll vergessen, dass es brennt. Während ein Erdbeben nur wenige Sekunden oder Minuten andauert, wütet ein Waldbrand für gewöhnlich tage-, manchmal sogar wochenlang. Die ständige Erinnerung am Himmel führt zu beängstigenden Fragen: Wie wird sich das Feuer weiterbewegen? Wie viel Wald wird es verschlucken? Und in welche Richtung zieht der gesundheitsschädigende Rauch?
Wenn man in der dritten oder vierten Augustwoche die kanarische Insel Teneriffa besucht hat, konnte man den Brand weder übersehen noch überhören: Egal ob Tourist:in oder Einheimische:r, alle Gespräche drehten sich um die Flammen. Die Menschen nicken, zeigen in den Himmel, legen ihre Stirn in Falten.
Die Besorgnis, die den Menschen ins Gesicht geschrieben ist, dürfte auch einigen Nachrichtenlesenden bekannt sein. Die mediale Präsenz von Waldbränden in den vergangenen Monaten lässt vermuten, dass es sich um eine weltweite Katastrophe in ungeahntem Ausmaß handelt.
Zuerst hüllen kanadische Waldbrände die Großstadt New York in gelben Rauch, danach dominieren Fotos und Videos von evakuierten Tourist:innen auf der Insel Rhodos die Online-Medien. Zuletzt erklärt die EU, dass es sich bei dem Feuer im Nord-Osten Griechenlands um den größten Brand in der Geschichte der Union handelt.
Doch ist die Situation tatsächlich so furchtbar, wie sie in den letzten Monaten dargestellt wurde?
Ein Brand in der Mojave-Wüste: Die Rauchentwicklung ist besonders gefährlich für die menschliche Gesundheit.
Rauch birgt besondere Gesundheitsgefahr
Laut dem Lexikon der Geowissenschaften von „Spektrum“ wird ein Waldbrand definiert als ein „durch Blitzschlag oder von Menschenhand, meist nach längerer Trockenheit, fahrlässig oder mit Absicht ausgelöstes Feuer in Waldbeständen“. Die Flammen selbst sind zerstörerisch und bedrohen das Leben und die Gesundheit von Mensch und Tier, beispielsweise durch Verbrennungen oder extrem hohe Temperaturen von über 1.000 Grad Celsius. Ein Feuer kann sich unvorhersehbar und schnell ausbreiten und dadurch auch Standorte betreffen, die noch kurz davor als sicher galten.
Ein weiteres Gesundheitsrisiko stellt der Rauch eines Feuers dar. Laut der WHO entstehen bei einem Vegetationsbrand zahlreiche gefährliche Luftschadstoffe, unter anderem zählen hierzu Feinstaub, NO₂, Ozon, aromatische Kohlenwasserstoffe und Blei. Die WHO hebt speziell den Feinstaub hervor, der mit „vorzeitigem Tod in der gesamten Bevölkerung“ assoziiert wird. Er übt negativen Einfluss auf beinahe alle Organe aus, beispielsweise auf die Lunge, das Herz, die Haut und den Darm.
Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass Feinstaub Konsequenzen auf die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen ausüben und zu Gedächtnisverlust führen könnte. Der Rauch im Allgemeinen kann diverse Lungenfunktionseinschränkungen auslösen. Dazu zählen unter anderem Asthma und die Krankheit COPD, die die Lunge dauerhaft schädigen und die Lebensdauer um einige Jahre verkürzen kann (Reid et al., 2016).
Ein Waldbrand kann dementsprechend zu starken gesundheitlichen Problemen bis hin zum Tod führen. Im Gegensatz zu vielen anderen Naturkatastrophen sind die Konsequenzen direkter erkennbar, denn ein Erdbeben, Hochwasser oder Tsunami allein ist mit keinem Risiko verbunden. Erst wenn eine Mauer einbricht oder man vom Wasser mitgerissen wird, gibt es in diesen Szenarien Verletzte oder Tote. Um einschätzen zu können, ob Vegetationsbrände tatsächlich so gefährlich sind wie in den Medienberichten beschrieben, ist der Vergleich zu diesen anderen Naturkatastrophen unumgänglich.
Impakt von Waldbränden auf Menschen ist
vergleichsweise gering
Der kanarische Surflehrer Johnny Herrera hat sein ganzes Leben auf Teneriffa verbracht. Sein Aussehen entspricht dem Stereotyp eines Surfers: Seine schulterlangen Haare sind durch Sonne und Meersalz erblondet, sein Körper ist durchtrainiert vom Wellenreiten. Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit fährt er eine kurvige Bergstraße mit seinem Auto entlang, als er die Lage auf der Insel erklärt.
„Ich bin 39 Jahre alt und in meinem Leben habe ich noch nie so einen Waldbrand erlebt. Die Älteren denken das Gleiche… eigentlich kenne ich niemanden, der etwas Anderes sagt.“ Seine Worte waren prophetisch. Schon am nächsten Tag titeln die Zeitungen damit, dass der Brand auf der kanarischen Insel zumindest der größte der vergangenen 40 Jahre ist. Im Endeffekt umfasste er mehr als sieben Prozent der gesamten Fläche von Teneriffa und raffte ein Viertel des Waldbestands hinweg. Es handelte sich um den bisher größten Waldbrand Spaniens im Jahr 2023.
Überschattet wurde die Berichterstattung von Teneriffa durch das Feuer, das gleichzeitig auf Maui tobte. Die Medien zeigten Fotos von zerstörten Städten und kohlrabenschwarzen Bäumen. Mutmaßlich stellt der Buschbrand die gewaltigste Naturkatastrophe Hawaiis dar und den größten Waldbrand der USA seit 100 Jahren.
Die Brände auf Maui im Sommer 2023 waren der größte Waldbrand der USA seit 100 Jahren (Foto: Pressemitteilung Maui County)
In einem Punkt unterschieden sich die Katastrophe von Hawaii und der Waldbrand auf Teneriffa allerdings deutlich. Während in Maui über hundert Menschen starben und tausende Gebäude zerstört wurden, zählt die kanarische Insel keine Toten und nur wenige bis keine beschädigten Häuser. Das liegt unter anderem an den klimatischen und lokalen Gegebenheiten, aber auch an der durchdachten Durchführung der Brandbekämpfung der Spanier.
Vergleicht man diese beiden Zahlen mit Statistiken zu anderen Naturkatastrophen, stellt sich schnell Verwunderung ein. Auf der Website „Our World in Data“ werden wissenschaftliche Daten über verschiedenste Themen gesammelt und aufbereitet. Laut ihr starben zwischen 2010 und 2019 pro Jahr durchschnittlich 88 Menschen aufgrund von Waldbränden – eine erstaunlich kleine Summe, die eventuell Lücken aufweist.
Menschen, deren Leben sich durch das Einatmen des Rauchs verkürzt, scheinen in den Statistiken beispielsweise nicht auf. Die Todeszahl liegt in diesem Jahr definitiv höher: Allein auf Hawaii starben mehr als hundert Menschen, in Griechenland mindestens 20. Auch in anderen Ländern wurden vereinzelt Opfer gemeldet. 2023 weist also mit Sicherheit mehr als doppelt so viele Todesfälle durch Waldbrände auf, wie es laut der Statistik durchschnittlich in den 2010er Jahren der Fall war.
Doch der Unterschied zu anderen Naturkatastrophen lässt erahnen, dass diese weitaus mehr Leben fordern. So starben aufgrund von Unwettern in der gleichen Periode jährlich rund 1.690 Menschen, durch Dürren 2.012 und bei Überflutungen 5.066. Erdbeben gelten mit durchschnittlich 26.748 Todesopfern pro Jahr als die gefährlichste Naturkatastrophe.
Allerdings sind nicht nur diese Zahlen bedeutend, auch die Gesamtmenge an Betroffenen ist wichtig. Diese gibt indirekt Auskunft darüber, welchen Impakt eine Naturkatastrophe tatsächlich hatte.
Hier weisen Dürren und Überschwemmung die größten Zahlen auf: Rund 70 Millionen Menschen waren zwischen 2010 und 2019 weltweit jährlich von ihnen betroffen (hier ein Artikel darüber). Bei Waldbränden ist die Zahl deutlich geringer, jedoch trotzdem noch sehr hoch: 1,13 Millionen Menschen mussten fliehen, ihre Häuser neu erbauen oder wurden verletzt.
Diese Zahlen spiegeln allerdings nur den direkten Impakt von Naturkatastrophen wider. Es gibt noch weitere Kriterien, die bei Waldbränden berücksichtigt werden sollten. Die Größe der Brandfläche spielt eine wichtige Rolle, die nicht unterschätzt werden darf.
Waldbrände verschärfen Klimakrise - und
umgekehrt
Die Hektaranzahl der abgebrannten Flächen ist aus mehreren Gründen bedeutsam. Einerseits stellen Waldgebiete die Heimat einer Vielzahl von Tieren dar. Wenn sie brennt, wird die Biodiversität gefährdet. Dies kann letztlich zu einem Ungleichgewicht in der Natur führen, was sich wiederum auf den Menschen auswirkt.
Andererseits wird bei Waldbränden eine enorme Menge von CO₂ freigesetzt, die ansonsten noch Jahre oder Jahrzehnte in den Pflanzen geschlummert hätte.
Hier kommt ein weiteres Narrativ ins Spiel, das die Medien in den vergangenen Monaten in den Fokus gerückt haben: Waldbrände sind heutzutage schon katastrophal, aber durch den Klimawandel werden sie in Zukunft noch viel katastrophaler sein. Wenn man einen wissenschaftlichen Blick hinter diese Aussage wirft, scheint sie sich zu bewahrheiten.
Die meisten großen Waldbrände ereignen sich nach Perioden mit geringem Niederschlag oder nach Dürren. Die Vegetation ist zumeist stark ausgetrocknet.
Obwohl es durch den Klimawandel in vielen Gebieten der Welt nicht weniger regnet, werden die Erde und damit auch die Bäume trockener: Die Niederschlagsmenge bleibt über mehrere Monate oder ein Jahr zwar ungefähr dieselbe, aber regnet es seltener – wenn es allerdings regnet, dann heftiger. Vor diesen starken Niederschlägen ist die Erde allerdings bereits so ausgetrocknet, dass sie weniger Wasser aufnehmen kann, wie dieses eindrucksvolle Video, das von einem Meteorologen der US-Uni Reading stammt und das sich auf Social Media verbreitete, unter Beweis stellt.
Obwohl die Niederschlagsmenge in den letzten Jahren ungefähr gleich geblieben ist, dringt immer weniger Wasser in die Erde. Dies könnte beispielsweise in Zukunft zu einem Mangel an Trinkwasser führen. Andererseits trocknet die Vegetation stärker aus, da die Wurzeln weniger Wasser aufnehmen und die Dürreperioden länger anhalten. Deswegen können sich Waldbrände effektiver über größere Flächen ausbreiten.
Diese Theorie spiegelt sich auch in den Zahlen wider. Das Institut für Waldbau an der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU) erfasst einmal im Jahr alle wichtigen Informationen zum Thema Vegetationsbrand. Eine Grafik zeigt die Hektaranzahl an verbrannter Fläche in Österreich über den Zeitraum zwischen 1994 und 2022. Selbst wenn man die – scheinbaren – Ausreißerjahre 2003 und 2022 außer Acht lässt, ist die Tendenz zu einer größeren abgebrannten Fläche in Österreich klar erkennbar.
Der Anstieg an von Waldbränden betroffener Bodenfläche in Österreich steigt über die Jahre an. (Grafik: Institut für Waldbau BOKU)
Wie gefährlich sind Waldbrände? "Es ist ein
Kreislauf"
Haben die Medien die Berichterstattung nun übertrieben?
Objektiv gesehen ist diese Frage nicht beantwortbar. Einerseits sind weniger Menschen von Waldbränden betroffen als von anderen Naturkatastrophen, doch nicht nur der Vergleich ist wichtig, auch die absoluten Zahlen spielen eine Rolle. Andererseits müssen wir die Auswirkungen des Feuer auf die Biodiversität und den Klimawandel mitbedenken.
Wie Surflehrer Johnny aus Teneriffa richtig anmerkte: „Feuer ist natürlich und Waldbrände sind natürlich.“ Schon lange vor dem Menschen gab es Vegetationsbrände und sie werden auch noch nach dem Menschen Teil von natürlichen Prozessen sein.
Doch aktuell ist der Homo sapiens die einzige Tierart, die den Umgang mit Feuer erlernt hat – und das hat fatale Konsequenzen. Denn laut diversen Statistiken entstehen rund 89 Prozent aller Waldbrände von Menschenhand, wie beispielsweise die „Federation Of American Scientist“ berichtet. Zigaretten werden unachtsam weggeworfen, ein Lagerfeuer wird in einem trockenen Gebiet angezündet. Bei einem kleinen Teil der Vegetationsbrände handelt es sich sogar um vorsätzliche Brandstiftung.
Im Endeffekt ist die Frage, ob Waldbrände in Zukunft noch verheerender werden, genau wie die Klimakrise eine Frage der Politik und der Einstellung der Menschheit: Auch wenn sich die Flammen durch den Klimawandel schneller ausbreiten können, würde die Zahl der verbrannten Flächen stark sinken, wenn kein oder kaum Feuer von Menschen entfacht werden würde.
Waldbrände können sogar Vorteile für die Natur haben. Laut der Universität von Nevada wachsen manche Pflanzen, abhängig von Art und Feuer, nach einem Wald- oder Buschbrand schnell wieder nach. Und auch die amerikanische National Forest Foundation stimmt zu, dass ein Waldbrand manchmal sogar vorteilhaft sein kann: „Jedes Brandregime ist wichtig für die Erhaltung der Wald- und Graslandgesundheit, auch wenn es auf den ersten Blick schädlich erscheint.“
Surflehrer Johnny bringt es auf den Punkt:„Es ist ein Kreislauf. Das Material, das bei einem Waldbrand produziert wird, ist wohltuend für die Umwelt. Es nährt den Boden und macht ihn fruchtbar. Die Bäume, die wir durch das Feuer verloren haben, werden wieder nachwachsen, schneller und stärker als jemals zuvor.“
Waldbrände können - sofern sie auf begrenztem Gebiet stattfinden - eine wichtige Funktion für die Erneuerung der Flora und Fauna spielen.
Waldbrände haben also immer schon eine Rolle bei der Erneuerung der Vegetation gespielt. Allerdings können sie diese schöpferische Rolle nur erfüllen, wenn sich Brände nicht unkontrolliert ausdehnen, wie es durch den Klimawandel immer häufiger geschieht, und wenn sie nicht durch die Unachtsamkeit von Menschen ausgelöst werden.
In solchen Fällen wird der Bestandteil eines natürlichen Kreislaufs zu einer Naturkatastrophe, die für Umwelt, Tier und Mensch verheerend ist. Dabei kann jede:r selbst dazu beitragen, dass es nicht soweit kommt.
Reid, C. E., Brauer, M., Johnston, F. H., Jerrett, M., Balmes, J. R., Elliot, C.T. (2016).
Critical Review of Health Impacts of Wildfire Smoke Exposure. Environmental Health
Perspectives, 124(9), 1334-1343.