Die brennende Bibliothek von Alexandria

Wie überlebt Wissen die Jahrhunderte? Dieser Artikel beleuchtet die Mythen rund um den Brand der Bibliothek von Alexandria, zeigt, warum Desinteresse gefährlicher ist als Feuer, und wie sich historische Texte bis heute bewahrt haben. Ein spannender Einblick in die Techniken und Herausforderungen der Wissensbewahrung – von antiken Manuskripten bis ins digitale Zeitalter.

Wie Wissen wirklich verloren geht

48 vor Christus, Cäsar will das ägyptische Alexandria einnehmen und lässt im Zuge dessen die ägyptische Flotte anzünden. Das Feuer breitet sich vom Hafen in die Stadt aus, bedeutendes Opfer des Brandes: die legendäre Bibliothek von Alexandria. Oder so ähnlich. Der Brand der Bibliothek von Alexandria hält sich als eine der hartnäckigsten historischen Mythen bis heute. Kostbare Schriften gingen für immer verloren, das menschliche Wissen wurde Jahrhunderte zurückgesetzt, so ist es in vielen Geschichten zu lesen.

Tatsächlich besagt der heutige Forschungsstand, dass durch das Feuer von Cäsar wahrscheinlich ein kleines Lager verbrannt ist, aber nicht die gesamte Bibliothek. Der wahre Grund für das Ende der Bibliothek ist viel furchteinflößender: Desinteresse. Verwenden durften sie nur Gelehrte des königlichen Hofes. Als das Herrschergeschlecht der Ptolemäer das Interesse daran verlor – beziehungsweise mit dem Führen von Kriegen anderweitig beschäftigt war – fiel die Bibliothek einem langsamen Niedergang zum Opfer. (Barnes, 2000) Warum Wissen wirklich verloren geht und durch welche Methoden Wissen über Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart erhalten und weitergegeben wurde, darum wird es in diesem Artikel gehen.

Fragment und Fundament

Was die Erzählung eines allumfassenden Brandes so fesselnd macht, ist nicht nur der Verlust von Wissen, sondern vor allem die Frage, wie Wissen vor solch einem Schicksal beschützt werden kann. So gut wie jeder altertümliche Text, über den wir heute noch verfügen, ist das Resultat generationenübergreifender Arbeit. Vor der Einführung des Buchdrucks in Europa im 15. Jahrhundert war das Kopieren von Texten die einzige Möglichkeit, Wissen zu bewahren. Texte, die in der alexandrinischen Bibliothek mit der Zeit verschwanden, überlebten so zumindest durch Kopien.

Texte überlebten nicht zufällig, sondern wurden aufgrund bewusster Entscheidung am Leben gehalten. Welche Texte kopiert wurden, hing maßgeblich davon ab, was die Gelehrten ihrer Zeit als wertvoll erachteten. Die frühesten bekannten Kopien stammen aus mittelalterlichen Klöstern, als bereits auf Pergament geschrieben wurde, das viel stabiler, aber auch teurer zu produzieren war als Papyrus. Dass Lateinschüler:innen sich heute mit Sachen wie dem Ablativus Absolutus quälen, verdanken sie den Mönchen, die in ihrem sogenannten „Scriptorium“ für das Kopieren zuständig waren. Neben religiösen Texten pflegten sie ihre Lateinkenntnisse durch das Abschreiben von Autoren wie Cicero oder Tacitus.

Für Tacitus interessierte sich auch eine Bewegung von Humanisten in der Renaissance, die sich in Klöstern und Bibliotheken auf die Suche nach Überresten von antiken Texten machten und diese kopierten. Vorzeigebeispiel jener Gruppe ist Poggio Bracciolini (1380-1459), der unter anderem bis dahin unbekannte Reden von Cicero in Frankreich fand und nach Italien „zurückbrachte”. Die Überlieferungen spannen ihre Kreise aber weiter als nur von Italien nach Frankreich – arabische Übersetzungen griechischen Wissens, heute bekannt als die „griechisch-arabische Übersetzungsbewegung“, fanden ebenso ihren Weg zurück nach Europa.

Röntgenbild des zweitausend Jahren alten Herculanensischen Papyrus

Wissenschaftler haben 2023 mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und Röntgenbildern Worte aus den zweitausend Jahre alten Herculanensischen Papyri erkennen können. Diese Schriften, die bei dem Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. verkohlt wurden, sind bisher weitgehend unlesbar. (https://uknow.uky.edu/research/breakthrough-discovery-made-within-2000-year-old-herculaneum-scrolls)

Trotz einzelner Ereignisse, wie die Brände der Kaiserlichen Bibliothek von Konstantinopel oder der Brand der Nationalbibliothek von Sarajevo 1992, bei dem Primärquellen aus fünf Jahrhunderten völlig zerstört wurden, fielen die meisten antiken Texte keinen schrecklichen Ereignissen zum Opfer. Im Gegenteil, still und leise zerfielen sie Zeile für Zeile in dunklen Regalen von Klöstern oder Bibliotheken.

Digitaler Friedhof?

Ob ein italienischer Humanist in Florenz im 14. Jahrhundert oder eine Archivarin in Wien 2024, eine Frage stellt sich beiden: Wie sichert man Wissen am besten? Tinte und Feder sind nicht mehr relevant, dafür aber Bits und Bytes. Unser digitales Zeitalter bietet nicht nur neue Möglichkeiten der Wissensbewahrung, sondern auch Risiken. Die Gefahr des „Digital Dark Age“ beschreibt einen möglichen Verlust von Quellen, die derzeit digital gespeichert sind, aufgrund technologischer Fehler.

Multispectral Imaging (MSI)

Multispectral Imaging (MSI) ist eine Technik, bei der Bilder in verschiedenen Lichtarten aufgenommen werden, die das menschliche Auge nicht sehen kann. Die Kamera fängt verschiedene Wellenlängen des Lichts ein, wie zum Beispiel UV-Licht. So können Textstellen, die durch dunkle Flecken schwer lesbar sind, sichtbar gemacht werden (Perino et al., 2024).

Das ist kein unbegründetes Szenario. Fünfundzwanzig Prozent aller Webseiten, die zwischen 2013 und 2023 existieren, sind nicht mehr zugänglich. Während physische Dokumente über Jahrhunderte erhalten bleiben können, verschwinden Online-Inhalte in rasantem Tempo. Nicht unähnlich der mittelalterlichen Mönche arbeiten auch heutige Historiker:innen und Archivar:innen mit Kopien. Ein eindrückliches Beispiel bietet die „Rosetta Disk“, eine münzgroße Scheibe aus Nickellegierung, auf der Informationen mikroskopisch klein eingeätzt sind. Die Disk beinhaltet Texte auf mehreren Sprachen über die Menschheitsgeschichte und soll eine Art universelle Wissensbasis für zukünftige Generationen schaffen, selbst wenn die heute verwendeten Technologien in Zukunft nicht mehr zugänglich sind. Ob in antiken Bibliotheken, mittelalterlichen Klöstern oder zeitgenössischen Büros, der Drang, Wissen zu bewahren und zu verbreiten, zieht sich durch unsere Geschichte und macht sie erst möglich.

Perino, Michela, Lucilla Pronti, Candida Moffa, Michela Rosellini, and Anna Candida Felici. "New Frontiers in the Digital Restoration of Hidden Texts in Manuscripts: A Review of the Technical Approaches." Heritage 7, no. 2, 2024.

MacLeod, Roy M. The Library of Alexandria: Centre of Learning in the Ancient World. London: Bloomsbury Academic, 2000.

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