Verkehr 3a

Mobilität gilt als eine Schlüsselfrage in der Bewältigung der Klimakrise. Viele Menschen nutzen nach wie vor das Auto, um von A nach B zu kommen. Das führt zu Stau und damit einhergehender Umweltbelastung. Daher werden trotz strenger Umweltziele Straßen gebaut oder erweitert, um die bestehenden Verkehrswege zu entlasten. Doch funktioniert das überhaupt?

Dieser Beitrag erscheint in der Reihe science&policy. In diesem Schwerpunkt setzt sich alexandria mit der Frage auseinander, wie Politik und Wissenschaft sich gegenseitig beeinflussen und wie die Wissenschaft bei gesellschaftspolitischen Entscheidungen helfen kann.
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Im Wiener Stadtplanungsressort hängt der Hausfrieden schief, seit das Klimaministerium ein Prestigeprojekt gestoppt hat: Der Lobautunnel ist seit Jahren in Planung und soll unterhalb der Lobau verlaufen, einem Naturschutzgebiet. Umweltschützer protestieren und weisen auf die Schäden hin, die das Ökosystem nehmen könnte. Befürworter argumentieren mit der Entlastung für staugeplagte Wiener Umfahrungen und Autobahnen. Doch es zeigt sich: Mehr Straßen bedeuten nicht unbedingt weniger Stau. Oft ist das Gegenteil der Fall.

Das Braess-Paradoxon

Für diese überraschende Tatsache hat der Mathematiker Dietrich Braess einen strengen Beweis vorgelegt. Man stelle sich etwa vor, dass auf dem Weg zwischen zwei Orten ein Hindernis liegt, das auf zwei Arten umfahren werden kann:

● Strecke 1: Zuerst über einen Autobahnbogen, der das Hindernis großräumig umfährt, dann über eine Landstraße.
● Strecke 2: Zuerst über ein Stück Landstraße und dann die Autobahn.

Während die Fahrtdauer auf den Autobahnen nicht von der Auslastung abhängt und immer 50 Minuten beträgt, bestimmt allein die Auslastung die Fahrtdauern der Landstraßen. Fahren dort etwa 1.000 Autos, so sind diese 10 Minuten auf dem Landstraßenabschnitt unterwegs. Wollen 6.000 Fahrer:innen von Ort A nach Ort B gelangen, beträgt so die Fahrtdauer für alle 80 Minuten, wenn man annimmt, dass je 3.000 Autofahrer Strecke 1 und 2 wählen.

Verkehr 2

Abbildung 1: Nicht trotz, sondern wegen des Tunnels brauchen alle Autofahrer:innen nun 10 Minuten länger für ihre Strecke.

Doch was passiert, wenn das Hindernis untertunnelt wird? Es gibt jetzt drei Möglichkeiten, um von A nach B zu kommen:

● Strecke 1: Zuerst Autobahn, dann Landstraße
● Strecke 2: Zuerst Landstraße, dann Autobahn
● Strecke 3: Zuerst Landstraße, dann Tunnel und nochmal Landstraße

2.000 Fahrer:innen, ein Drittel, werden sich für Strecke 3 entscheiden. Die übrigen zwei Drittel fahren dieselben Routen wie zuvor. Auf allen Strecken sind also 2.000 Autos unterwegs. Wie vor dem Tunnelbau brauchen alle Fahrer unabhängig von der Route gleich lange, um ihr Ziel zu erreichen. Doch jetzt ist die Fahrzeit für alle 90 Minuten, also länger als vor dem Straßenneubau!

Dieser Umstand ist als Braess-Paradoxon bekannt. Wieso kommt es zu der Verlängerung der Fahrzeit? Der Tunnel ist eine breite Straße, daher brauchen Autofahrer:innen unabhängig vom Verkehrsaufkommen 10 Minuten, um ihn zu durchqueren. Doch nachdem er gebaut wurde, sind auf den beiden Landstraßenabschnitten je 4.000 Autos unterwegs, sodass sich die Fahrzeit dort auf 40 Minuten erhöht. Die zusätzlichen Autos verstopfen also die Landstraßen. Da auch die Strecken 1 und 2 einen Landstraßenabschnitt beinhalten, steigt die Fahrtdauer für alle. Dabei handelt es sich nicht nur um eine mathematische Spielerei, in New York wurde etwa beobachtet, dass der Verkehr besser floss, als die 42. Straße zeitweise gesperrt wurde!

Induzierter Verkehr

Neben dem mathematischen Argument gibt es auch einen psychologischen Grund, warum mehr Straßen nicht weniger Stau bedeuten. Denn fließt der Verkehr nach einem Straßenneubau wieder, wo früher nur Stau war, zieht das neue Autos an. Dies nennt man induzierten Verkehr: Für Menschen, die sonst wegen des Verkehrschaos auf Öffis oder Rad zurückgegriffen haben, ist plötzlich das Auto wieder ein attraktives Verkehrsmittel. Diese zusätzlichen Autofahrer:innen drängen nun auf die neu errichtete Straße – bald herrscht wieder Stillstand auf der kurzfristig entlasteten Strecke.
Ist eine Strecke überlastet, sind oft Straßenbauprojekte die Antwort. Doch neue Straßen haben keinen oder sogar einen negativen Effekt auf den Verkehrsfluss. Gleichzeitig widmet die Menschheit dem Auto gigantische Flächen und versiegelt so immer mehr wertvollen Boden. Falls in Wien der Lobautunnel gebaut wird, kommt dies höchstens der Stadterweiterung im Norden zu Gute, die Wiener Autofahrer:innen werden wohl trotzdem im Stau stehen. Hingegen versprechen der Ausbau der Öffis und Radinfrastruktur echte Entlastungen – und das Klima freut sich auch.

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